"Ist Ihre Berichterstattung vertrauenswürdig?"
Der amerikanische Kriegsreporter Tom A. Peter findet sich in einer luxuriösen Eigentumswohnung in Florida wieder. "Woher kommen Sie?", fragt die Besitzerin. "Ich bin soeben aus Syrien heimgekehrt, ich war dort als Journalist tätig." Die Dame starrt ihn an: "Ist Ihre Berichterstattung vertrauenswürdig?" Peter zögert.
Die Frage der Frau verblüfft den Journalisten. Er berichtete unter schwierigsten Verhältnissen sieben Jahre lang aus den Konfliktherden dieser Welt und die erste Reaktion, die ihm entgegenkommt, ist Misstrauen in seine Berichterstattung.
Aber warum die Skepsis? Medien, so die Vermutung der Frau, halten ihr Informationen vor. Und wenn Journalisten doch berichten, dann nicht ausführlich genug. Sie nennt ein Beispiel: Sie wisse zwar, dass Präsident Bashar al-Assad böse sei, aber wer gehört zur oppositionellen Bewegung in Syrien? Der Kriegsreporter atmet tief durch.
Auszeit: Krisengebiet
Die "tägliche Hektik" war ein Grund, warum Peter als Journalist in Krisengebieten arbeitete, erklärt er in einem vom Magazin New Republic veröffentlichten Essay. Er wollte den Lesern Informationen aus erster Hand liefern. Aber der Glanz, den sich viele Menschen vorstellen, sei lediglich Schein. Nun hat er sich eine Auszeit genommen. Ständig habe man mit der Angst zu kämpfen, die Bedrohungen seien enorm, sagt der Journalist im KURIER-Gespräch (siehe unten).
Den Entschluss in den Vereinigten Staaten zu bleiben, fasste er vor zwei Jahren im Norden Syriens. Während der Rückfahrt nach Aleppo wurde sein Team von maskierten Männern aufgehalten. Mit Kalaschnikows bewaffnet stiegen die Fremden ins Auto und fuhren los. Peter wollte flüchten, aber allein der Gedanke war irrsinnig.
Es ist nicht mein Krieg, es ist nicht mein Land und nun sterbe ich.
Stunden später kamen Peter und seine Kollegen frei. "Ich weiß nicht warum, aber wir hatten Glück. Es war ein Missverständnis", erklärt der US-Reporter.
Vertrauen im Keller
Nun kämpft Peter unter anderem mit dem Misstrauen der Dame in Florida. Und tatsächlich liegt das Ansehen der Journalisten derzeit im Keller. Laut der "Trust in Professions 2014"-Studie finden lediglich 64 Prozent der Befragten Journalisten vertrauenswürdig. Auffallend ist, dass in Ländern, denen eine hohe Pressefreiheit attestiert wird, das Vertrauen ausgesprochen niedrig ist - in Österreich sind es 43, in Schweden gar nur 35 Prozent.
"Grundsätzlich kümmern sich Menschen nicht um das Produkt, das wir produzieren", bilanziert Peter. In Wirklichkeit, so der Journalist, wollen Leser bestätigt werden. Informationen und Fakten, die der eigenen Meinung widersprechen, seien für sie irrelevant. "Obwohl wir in einigen Fällen unser Leben für ausführliche Recherchen riskieren."
Dass das Risiko in Krisengebieten weiterhin hoch ist, bestätigt auch die Organisation Committee to Protect Journalists (CPJ). In den letzten zehn Jahren wurden 620 Journalisten getötet. Besonders lokale Journalisten sind von den Attacken betroffen (siehe Statistik unten). Reporter werden zunehmends zu Zielscheiben der Gewalt. Mit der Ermordung der US-Journalisten Steven Sotloff und James Foley steigt die Zahl der diesjährigen Todesopfer auf 33 an.
Über syrische Rebellen
Peter arbeitet mittlerweile als Journalist in den USA. Das steigende Risiko und das sinkende Vertrauen in den Journalismus seien nur zwei Gründe, warum er derzeit nicht aus Krisengebieten, wie Irak oder Syrien, berichtet. Eine Rückkehr will er aber nicht ausschließen.
Auf die Frage der Frau antwortet Peter schließlich auch noch: "Kurz vor meiner Rückkehr schrieb ich einen Artikel über die Opposition in Syrien. Außerdem hat die New York Times eine ähnliche Story in ihrer aktuellen Ausgabe veröffentlicht." Der Journalist zeigt auf den Kaffeetisch: "Hier liegt übrigens ein Exemplar."
KURIER: Herr Peter, in ihrem Essay "Why I Decided War Reporting Was No Longer Worth the Risk" schildern Sie Ihre Erfahrungen als Journalist im Kriegsgebiet. Sie üben aber auch Kritik am Leser. Warum? Tom A. Peter: Nicht nur am Leser. Als ich diesen Essay verfasst habe, wollte ich beide Seiten der Medien konfrontieren: den Nachrichtenproduzenten als auch den Nachrichtenkonsumenten. Auf der einen Seite müssen wir erkennen, dass sich Menschen grundsätzlich nicht um das Produkt, das wir produzieren, kümmern. Obwohl wir in einigen Fällen unser Leben für ausführliche Recherchen riskieren.
Auf der anderen Seite, hoffe ich, dass Leser ihre eigenen Annahmen hinterfragen: ‚Sind meine Fakten belegbar?“ Und wenn sie einen neuen Artikel mit Informationen, die ihrer aktuellen Sichtweise widersprechen, lesen, dann sollten sie nicht sagen: 'Das stimmt nicht.'
Die Reputation des Journalisten sinkt. Das schreiben Sie auch in Ihrem Essay. Wie sieht es Ihrer Meinung nach mit dem Ansehen im Ausland aus, vor allem im Krisengebiet? In Nahost und Afghanistan werden Journalisten aus dem Westen respektiert. Viele von ihnen sehen sich regelmäßig die Nachrichten im Fernsehen an. Sie sind auch einigermaßen auf den neuesten Stand, aber nicht weniger starrsinnig als viele 'westliche' Menschen, die ich kennengelernt habe. Wir werden respektiert, aber man muss auch mit Respekt antworten.
Wie können wir uns den Alltag eines Journalisten im Kriegsgebiet vorstellen? Ich mochte das Leben von Tag zu Tag. Als ich zum Beispiel mit NATO-Truppen unterwegs war, hieß es früh aufstehen, mit der Armee mit auf eine Mission gehen, spät heimkommen und lang aufbleiben. Irgendwann musste ich auch meine Story schreiben. Für eine Berichterstattung über eine Demonstration musste ich die ganze Nacht auf den Straßen sein. Erst am Morgen konnte ich meine Geschichte verfassen. Aber das alles bevor der Chefredakteur in den USA in sein Büro kommt.
Demnach verbrachten Sie viel Zeit im Feld, wenn man es so nennen kann. Ja. Aber trotzdem war ich oft im Zimmer vor dem Laptop. Ein Bericht über die aktuelle Situation muss natürlich geschrieben werden. Dazu kommt noch die gesamte Recherche und die täglichen Telefonanrufe. Wie in jedem Job, ist die glanzvolle Portion der Arbeit, wie Menschen es sich vorstellen, bloß ein kleiner Teil.
Und der andere Teil ist ... Unter anderem Angst, täglich. Wenn man als Journalist im Krisengebiet arbeitet, sind Angst und Furcht ständige Begleiter. Die meiste Zeit ist man von anderen Menschen abhängig, z.B. von Mitgliedern der NATO oder von den Rebellen - sie geben dir unter anderem den nötigen Schutz. Klar gibt es auch regelmäßige Telefonanrufe vom Chefredakteur aus den Staaten. Aber grundsätzlich ist man auf sich alleine gestellt. Deswegen ist eine sorgfältige Planung wichtig, aber auch kritisch.
Warum kritisch? Um ehrlich zu sein, es kommt in den seltensten Fällen vor, dass alles so klappt wie man es im Vorhinein geplant hat. Man kann die Vorgehensweise grob durchdenken, zum Beispiel die Orte, die man besuchen will, aber das aktuelle Tagesgeschehen verändert sich minutiös. Da kann eine zu detaillierte Planung nicht immer von Vorteil sein.
Sind Sie als Journalist im Krisengebiet versichert? Eine Versicherung habe ich. Sie deckt meine Aktivitäten in Kriegsgebieten ab. Zusätzlich habe ich ein Training für feindliche Umgebungen machen müssen. Das hilft tatsächlich. Und anlassbezogen trage ich eine Schutzweste an meinem Körper und wenn es möglich ist, nehme ich noch einen Erste-Hilfe-Kasten mit.
Mit wem sind Sie im feindlichen Gebieten unterwegs? Für gewöhnlich arbeite ich mit einem Fixer [zB ein Journalist aus der Umgebung] zusammen, nicht nur im feindlichen Gebiet, sondern überall. Er knüpft für mich Kontakte und falls es nötig ist, ist er auch mein Übersetzer. Ansonsten bin ich alleine unterwegs, gelegentlich noch mit einem Fotografen. Einige Journalisten haben noch ein BGAN [Broadband Global Area Network] mit, um eine Internetverbindung aufbauen zu können. Aber die sind wirklich teuer. Üblicherweise versuche ich mich mit einem lokalen Netzwerk zu verbinden.
Ist Kriegsberichterstattung das Risiko nicht mehr wert? Viele Menschen, die meinen Essay gelesen haben, glaubten, ich zeige dem Journalismus die kalte Schulter und werde ein Gemüsebauer am Land oder ähnliches. Aber das ist wirklich nicht der Fall. Ich habe nie erwähnt, dass ich meine journalistische Laufbahn beende. Mein Leben hat die Balance verloren und ich brauchte eine Verschnaufpause um ein Mensch zu bleiben. Ich arbeite noch immer als Journalist, aber derzeit habe ich keine Pläne wieder in ein Konfliktgebiet zurückzugehen. Wenn sich die Möglichkeit wieder auftut, hätte ich nichts dagegen nach Syrien zurückzukehren.
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