Offensive im Süden: "Die Lage wird von Stunde zu Stunde schlimmer"

Offensive im Süden: "Die Lage wird von Stunde zu Stunde schlimmer"
Israel treibt seine Offensive im Gazastreifen voran und konzentriert sich verstärkt auf den Süden. Es kam zu heftigen Kämpfen. Die WHO beklagt das Leid der Zivilbevölkerung.

Angesichts heftiger Kämpfe im gesamten Gazastreifen hat Israels Militär vom "intensivsten Tag seit Beginn der Bodenoffensive" gesprochen. Die Truppen seien nun auch "im Herzen" von Khan Younis, der größten Stadt im Süden des Gazastreifens, teilte das Militär am Dienstag mit. Auch im Norden gebe es heftige Kämpfe. Laut UNO sind die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe im Gazastreifen seien "nicht gegeben".

Mit Blick auf die Zahl "der getöteten Terroristen, der Anzahl der Gefechte und des Einsatzes von Feuerkraft an Land und in der Luft" sei dies der bisher intensivste Tag seit Beginn der Offensive im Norden des Küstenstreifens Ende Oktober, hieß es seitens der israelischen Armee. Diese bereitete sich darauf vor, Khan Younis einzukesseln. "Unsere Kräfte kreisen nun den Raum Khan Younis ein", sagte Generalstabschef Herzi Halevi.

Weiters in diesem Artikel:

  • Militär: "Machen mit der zweiten Phase weiter"
  • UNO: Zahl der in Gaza getöteten Zivilisten "nimmt rapide zu"
  • Israel bereit, Hamas-Tunnel zu fluten
  • Israel hat Informationen zum Verbleib der übrigen Geiseln
  • Erneut Gefechte an Israels Grenze zum Libanon

Israel rückt in den Süden Gazas vor

Im Raum Chan Yunis liegt aktuell das Zentrum der Kämpfe. Die militant-islamistische Hamas erklärte im Onlinedienst Telegram, ihre Kämpfer hätten in der Nähe von Chan Yunis zwei Truppentransporter und einen Panzer angegriffen. 

Die israelische Armee erklärte ihrerseits, sie ergreife "aggressive" Maßnahmen gegen die "Hamas und andere terroristische Organisationen" und begann bereits am Wochenende den Süden verstärkt unter Beschuss zu nehmen.

Am Montag waren nach Angaben von Augenzeugen Dutzende israelische Panzer, Truppentransporter und Bulldozer in den Süden des Palästinenser-Gebiets eingedrungen. 

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Militär: "Machen mit der zweiten Phase weiter"

Israel stellt sich auf einen schwierigen weiteren Verlauf seiner Militäroffensive im Gazastreifen ein. "Wir machen jetzt mit der zweiten Phase weiter. Eine zweite Phase, die militärisch schwierig sein wird“, sagte ein israelischer Regierungssprecher. 

Hinsichtlich der Minderung des Leids für die Zivilbevölkerung sei Israel offen für "konstruktives Feedback". Dieses müsse aber im Einklang stehen mit dem Ziel, die radikal-islamische Hamas zu zerstören.

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Die israelische Armee hatte die Zivilbevölkerung aufgerufen, "falls erforderlich" sichere Bereiche aufzusuchen. Dafür sei eigens eine "humanitäre Zone innerhalb des Gazastreifens" eingerichtet worden. Dabei handelt es sich um ein kleines Küstengebiet um den Ort Al-Mawasi. Dem israelischen Militär sei "durchaus bewusst, dass der Platz und der Zugang begrenzt" seien, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus.

UNO: Zahl der in Gaza getöteten Zivilisten "nimmt rapide zu"

Nach der Ausweitung des israelischen Einsatzes wächst angesichts des Leids der Zivilbevölkerung die Kritik am Vorgehen der Armee. 

"Die Zahl der getöteten Zivilisten nimmt rapide zu", schrieb der Generalkommissar des Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, am Montag in einer Mitteilung. Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Ältere, Kranke und Menschen mit Behinderungen, seien die Hauptleidtragenden des Krieges. 

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Im Süden Gazas würden "sich die Schrecken der vergangenen Wochen" wiederholen, beklagte Lazzarini. Viele der Menschen seien bereits mehrmals vor dem Krieg in andere Teilen des abgeriegelten Gebiets geflohen. Der Evakuierungsbefehl dränge die Menschen auf weniger als ein Drittel des Gazastreifens zusammen. "Sie brauchen alles: Nahrung, Wasser, Unterkunft und vor allem Sicherheit. Die Straßen in den Süden sind verstopft", hieß es. Die als sicher ausgewiesenen Zonen seien "winzige Flecken Ödland".

Hilfsorganisationen sprechen im Süden von "Horror" und "unerträglichem Leid der Zivilbevölkerung“. Keiner fühle sich sicher, wenn alle zehn Minuten Bomben fallen würden, sagte der Sprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef, James Elder, der BBC.

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Wie prekär die Lage für die Zivilbevölkerung ist, schilderte einmal mehr auch der WHO-Gesandte  Peeperkorn. Es gebe im Gazastreifen viel zu wenig Versorgungsgüter, sagte er. Außerdem würden medizinische Notfall-Teams benötigt. 

"Höllischeres Szenario"

Die UNO-Koordinatorin für humanitäre Angelegenheiten in den palästinensischen Gebieten, Lynn Hastings, erklärte, die Voraussetzungen für humanitäre Hilfe im Gazastreifen seien "nicht gegeben". 

"Möglicherweise wird sich ein noch höllischeres Szenario entfalten", warnte Hastings. "Es ist nirgendwo sicher in Gaza und man kann nirgendwo mehr hin", fügte sie hinzu.

ISRAEL-PALESTINIAN-CONFLICT

Israeli forces move along the central Gaza border

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Offensive im Süden: "Die Lage wird von Stunde zu Stunde schlimmer"

Satellite imagery over Deir al-Balah, Gaza

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TOPSHOT-ISRAEL-PALESTINIAN-CONFLICT

Israel bereit, Hamas-Tunnel zu fluten

Israel erwägt einem Medienbericht zufolge die Flutung der von der radikal-islamischen Hamas genutzten Tunnel im Gazastreifen. 

Israel habe ein großes Pumpsystem installiert, um die von der militanten Gruppe genutzten Tunnelsysteme unter dem Gazastreifen zu fluten und die Kämpfer zu vertreiben, berichtete die Zeitung Wall Street Journal unter Berufung auf US-Vertreter.

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Mitte November habe die israelische Armee die Installation von mindestens fünf Pumpen etwa eine Meile nördlich des Flüchtlingslagers Al-Schati abgeschlossen. Mit Tausenden Kubikmetern Wasser pro Stunde könne das unterirdische Netzwerk innerhalb weniger Wochen geflutet werden. 

Unklar blieb in dem Bericht, ob Israel den Einsatz der Pumpen erwägt, bevor alle Geiseln freigelassen sind. Reuters konnte die Details des Berichts zunächst nicht überprüfen.

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Das israelische Verteidigungsministerium reagierte zunächst nicht auf eine Anfrage von Reuters. Ein Vertreter der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) lehnt einen Kommentar zu dem Plan ab, wird aber mit den Worten zitiert: "Die IDF arbeitet daran, die Terrorkapazitäten der Hamas auf verschiedene Weise und mit verschiedenen militärischen und technologischen Mitteln zu zerstören. 

Die radikal-islamische Hamas nutzt seit Jahren ein weit verzweigtes Tunnelsystem für militärische Zwecke. Bei ihrem Großangriff auf Israel sollen die Kämpfer dieses genutzt haben, um auf israelisches Territorium zu gelangen. Nach Angaben der Hamas sollen sich in den Tunneln noch entführte Geiseln befinden. 

Die israelische Armee entdeckte auch einen Tunnel unter dem Al-Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen. Die Hamas hat bestritten, dass ihr militärisch genutztes Tunnelsystem auch unter zivilen Einrichtungen wie Krankenhäusern verläuft.

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Israel hat Informationen zum Verbleib der übrigen Geiseln

Der Armeesprecher sagte unterdessen, man habe nachrichtendienstliche Hinweise zum Verbleib der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. 

Auf die Frage, ob das Militär nachrichtendienstliche Informationen habe, wo sich die Geiseln befinden könnten, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus: „Ja, haben wir“. Nähere Angaben könne er nicht machen. Israel geht davon aus, dass noch 137 Geiseln festgehalten werden.

Unter ihnen sind laut Verteidigungsminister Joav Galant 15 Frauen und zwei Kinder. Rund 240 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt. Vergangene Woche wurden während einer Feuerpause 105 Geiseln im Austausch gegen 240 palästinensische Gefängnisinsassen freigelassen.

Die Hamas will nach eigenen Angaben Verhandlungen über die Freilassung weiterer Geiseln erst nach Ende des Kriegs fortsetzen. Man wolle alle Geiseln zurückholen, sagte der israelische Armeesprecher Conricus in der Nacht zum Dienstag. Falls dies nicht durch Verhandlungen möglich sei, werde man andere Mittel anwenden.

Erneut Gefechte an Israels Grenze zum Libanon

Israels Militär hat unterdessen in Reaktion auf Beschuss aus dem Libanon Stellungen der dortigen Hisbollah-Miliz angegriffen. Wie die israelische Armee in der Nacht zum Dienstag mitteilte, hätten Kampfflugzeuge kurz zuvor Raketenstellungen der vom Iran unterstützten Schiiten-Miliz getroffen. Auch „Terrorinfrastruktur und ein Militärgelände“ seien unter Feuer genommen worden. 

Lesen Sie alle aktuellen Informationen im Nahost-Liveticker

Man habe auf Beschüsse aus dem Libanon auf Ziele in Israel vom Vortag reagiert. Seit Beginn des Gaza-Krieges kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen Israels Armee und militanten Gruppierungen wie der Hisbollah in der Grenzregion zum Libanon. Auf beiden Seiten gab es schon Tote.

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