28. Mitglied? Warum Island doch wieder über einen EU-Beitritt nachdenkt

Viel mehr Island geht eigentlich nicht: Als Ursula von der Leyen im Juli den Inselstaat im Nordatlantik besuchte, überflog sie im Helikopter Gletscher, Highlands, Strände – und sogar einen aktiven Vulkanausbruch. Auf der anschließenden Pressekonferenz mit Islands Premierministerin Kristrún Frostadóttir lobte die EU-Kommissionspräsidentin die "atemberaubend schöne Landschaft“, Islands "einzigartigen Ansatz in Sachen Sicherheit" - und das "ungenutztes Potenzial" in der Zusammenarbeit mit der EU.
Bei ihrer Gastgeberin rennt sie damit offene Türen ein. Die Sozialdemokratin Frostadóttir liebäugelt nämlich mit einem Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union. Ihre Drei-Parteien-Koalition will bis spätestens Ende 2027 die Bevölkerung in einem Referendum über die Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche entscheiden lassen.
Verhandlungen abgebrochen
Denn Island und die EU, die haben bereits gemeinsame Geschichte: 2009 beantragte Island - damals ebenfalls unter EU-freundlicher sozialdemokratischen Führung - den Beitritt. Die Verhandlungen wurden im darauffolgenden Jahr aufgenommen. Im Jahr 2013 folgte dann die abrupte Kehrtwende: Die neu gewählte rechtsgerichtete isländische Regierung schlug Brüssel die Tür zu und stoppte die Verhandlungen. Im Jahr 2015 beantragte Island schließlich, nicht mehr als Bewerberland zu gelten.
Der Auslöser für den ursprünglichen Kurswechsel war die Finanzkrise 2008: Damals erschien die EU-Mitgliedschaft mitsamt Eurozone als Ausweg aus der Krise.
Neue Sicherheitslage
Seitdem hat sich viel geändert, insbesondere die weltweite Sicherheitslage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. In den USA, Islands zweitwichtigstem Handelspartner nach der EU, brach Präsident Donald Trump einen Zollstreit vom Zaun und fantasiert über eine Annexion der Nachbarinsel Grönland. Dazu die wachsenden Ambitionen Russlands und Chinas in der Arktis. Das alles sorgt auf dem Eiland für Verunsicherung – und den Wunsch nach verlässlichen Partnern.
In Brüssel freut man sich. Island, das auch NATO-Mitglied ist, liegt in einer strategisch wichtigen Lage im Nordatlantik (Stichwort GIUK-Lücke). Dazu kommt: Island ist reicher als der EU-Durchschnitt, klein (nicht mal 400.000 Einwohner) - und z.B. bei der Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit sogar weiter als einige Mitgliedsstaaten, wie unlängst auch EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos betonte. Die Verhandlungen könnten also entsprechend schnell beendet werden.
Zumal auch Islands Beitrittsantrag noch immer gültig - und man sich in vielen Bereichen ohnehin einig ist: Bereits jetzt ist Island Teil des Schengenraums und des Europäischen Wirtschaftsraums. Von insgesamt 35 EU-Verhandlungskapiteln wurden im ersten Verhandlungsanlauf bereits 27 eröffnet und 11 vorläufig geschlossen. Zum Vergleich: Montenegro, das als derzeit als Westbalkan-Vorreiter bei den EU-Verhandlungen gilt, hat sieben Kapitel vorläufig abgeschlossen.
Sicherheitspartnerschaft
Schon vor dem Referendum sucht Reykjavík den Schulterschluss mit Brüssel. Eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft soll noch heuer fixiert werden, etwa zum Schutz von Unterseekabeln und Stromnetzen. Ein Expertengremium soll zudem prüfen, ob die isländischen Krone dem Euro weichen könnte.
Scheitern könnten das Projekt EU-Beitritt jedoch bei den Themen Fischerei, Landwirtschaft und Energie, wie Außenministerin Þorgerður Katrín Gunnarsdóttir unlängst im Gespräch mit Politico sagte. Gerade der Fischereisektor, Rückgrat von Islands Wirtschaft, hat nämlich schon einmal zum Ende Verhandlungen beigetragen. So sträubt sich Island vehement dagegen, seine exklusiven Fischereirechte aufzugeben. Auch Regierungschefin Frostadóttir betonte in einem Interview im Tagesspiegel unlängst: „Ich bin nicht bereit, einen Antrags- und Beitrittsprozess zu durchlaufen, der unserer Fischerei schadet.“
Zudem ist der politische Wille unklar: Zwar einigte sich die Koalition auf ein Referendum, doch ein Junior-Regierungspartner, die Volkspartei, lehnt einen Beitritt eigentlich ab - ebenso wie alle drei Oppositionsparteien. Frostadóttir, die seit Dezember im Amt ist, betonte bei dem Besuch von von der Leyen jedoch, dass alle Koalitionspartner das Ergebnis des Referendums akzeptieren würden.
58 Prozent der Isländer sprechen sich laut einer Umfrage vom Jänner übrigens dafür aus, die Abstimmung abzuhalten. Und: 45 Prozent sind demnach für einen EU-Beitritt, 35 Prozent sind dagegen - und 20 Prozent sind noch unentschlossen.
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