Dschihadismus: Aktionsbefehl per Web
Langsam, aber sicher tritt die Kehrseite einer Maßnahme hervor, die die französische Regierung zur Eindämmung des Dschihad-Tourismus beschließen ließ: das Ausreiseverbot. Auftrieb erhalten diese Zweifel durch einen jüngst vereitelten Anschlag. Mitte Juli war ein Trio festgenommen worden, das einen Überfall auf eine Überwachungsstation der französischen Marine an der Mittelmeerküste vorbereitete. Die drei – zwei Jugendliche aus muslimischen Familien und ein frischer Konvertit – hatten sich nie persönlich getroffen, bevor sie in der Pariser Geheimdienstzentrale verhört wurden. Sie hatten sich per Internet ausgetauscht: Die Wachposten der Marine-Basis sollten erschossen werden. Strittig blieb bloß, ob der diensthabende Offizier vor laufender Minikamera mit einem Messer oder einem Beil enthauptet werden sollte.
Ausweichziele
Den Befehl erhielt das Trio ebenfalls per Web, von einem Einflüsterer beim „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien. Es sollte dies eine Ausweichlösung sein für das ursprüngliche Reiseprojekt der drei zum IS. Das Vorhaben war an der Mutter des jüngsten Dschihad-Aspiranten gescheitert, einem Computergenie, das gerade mit Auszeichnung maturiert hatte. Ihr war nicht entgangen, das ihr Sohn in den Cyber-Dschihadismus abdriftete. Sie hatte bei den Behörden eine elterliche Verfügung gegen seine Ausreise aus Frankreich hinterlegt.
Ähnliches dürfte sich auch bei sechs weiteren vereitelten Attentatsplänen seit Jänner abgespielt haben. Es gibt inzwischen Tausende Hinweise auf potenzielle Dschihadisten über eine Hotline. Die Behörden können nicht all diese Jugendlichen mit gleicher Intensität und über endlose Zeiträume hinweg überwachen. Ihre Ausreise wird aber zumindest erschwert. In der Masse dieser verhinderten Dschihadisten kann der IS per Web genügend Anwärter fernrekrutieren und dann vor Ort zu wandelnden Bomben machen. „Al Kaida traf noch eine gewisse Auswahl der Terroristen“, erklärt der Pariser Anti-Terror-Richter David Benichou: „Der IS sagt: Nimm irgendeine Waffe und greif irgendein Ziel an. Das sind oft nur mehr Facebook-Kontakte“.
Neben dem Web bleibt eines der Rekrutierungsfelder der „Salafismus“ (Bewegung, die die Lebensart Mohammeds haargenau nachahmen möchte, Anm.). Laut Behörden haben die Salafisten 89 der insgesamt etwa 2000 muslimischen Gebetsstätten übernommen.
Seit 2012 wurden 40 radikale Imame ausgewiesen. Innenminister Bernard Cazeneuve hat die Möglichkeit der Auflösung ganzer Moscheen erwogen. Muslimische Würdenträger misstrauen derartigen Schließungen. Aber die Enthauptung eines Firmenchefs in der Nähe von Lyon im Juni haben den Rektor der örtlichen Großmoschee, Kamel Kabtane, verunsichert: „Nach dem Schock der Anschläge vom Jänner in Paris glaubten wir, das Schlimmste wäre hinter uns. Aber jetzt erscheint alles, was wir seither unternommen haben, zerstört. Angesichts einer derartigen Heimsuchung muss uns der Staat zu Hilfe kommen.“
Kommentare