Hisbollah meldet Kämpfe mit Israel, Netanjahu kündigt Vergeltung an
Erstmals seit dem Beginn der israelischen Bodenoffensive im Libanon hat die Schiitenmiliz Hisbollah dort direkte Kämpfe mit israelischen Bodentruppen gemeldet. Diese hätten versucht, in den libanesischen Ort Odaisseh direkt an der Grenze zu Israel einzudringen, erklärte die Hisbollah. Deren Mitglieder hätten im Morgengrauen mit den Kräften der israelischen Infanterie "gekämpft" und sie zum Rückzug gezwungen. Auf israelischer Seite habe es Opfer gegeben.
Die israelische Armee hatte zuvor am frühen Mittwochmorgen erklärt, erneut Hisbollah-Ziele angegriffen zu haben. Aus libanesischen Sicherheitskreisen verlautete, dass die israelische Armee zwei Angriffe im Süden der Hauptstadt Beirut ausgeführt habe. Kurz zuvor hatte die israelische Armee die betroffene Bevölkerung nachts aufgerufen, "sofort" zu ihrer eigenen Sicherheit zwei Gebäude in einem südlichen Vorort von Beirut zu verlassen und die gesamte Umgebung im Umkreis von 500 Metern zu meiden. Die südlichen Vororte von Beirut sind eine Hochburg der pro-iranischen Hisbollah-Miliz.
Nach dem iranischen Raketenangriff auf sein Land hat Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu Vergeltung angekündigt. "Der Iran hat heute Abend einen großen Fehler gemacht, und er wird dafür bezahlen", sagte Netanyahu nach Angaben seines Büros. Der Iran warnte Israel indes vor einem Vergeltungsschlag und drohte eine heftige weitere Reaktion an.
Die israelische Armee hatte angekündigt, weiterhin "kraftvoll" im Nahen Osten angreifen zu wollen. "Die Luftwaffe arbeitet weiterhin mit voller Kapazität und heute Nacht werden wir im Nahen Osten weiterhin kraftvoll zuschlagen, wie das seit einem Jahr der Fall ist", erklärte Militärsprecher Daniel Hagari am Mittwoch. Er warf dem Iran vor, den Nahen Osten Richtung "Eskalation" zu treiben.
Ziel war demnach erneut die libanesische Hauptstadt Beirut. Die Armee attackiere "terroristische Ziele in Beirut", wurde am frühen Mittwochmorgen mitgeteilt. Details nannte das Militär zunächst nicht. Die iranischen Raketenangriffe hätten keine Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe, hieß es. Dabei wurden knapp 200 Raketen auf Israel abgefeuert, zumindest eine Person kam ums Leben und mehrere wurden verletzt. In einem aktuellen Update hieß es seitens der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), dass sich "zusätzliche Kräfte" den "begrenzten, örtlich begrenzten und gezielten Angriffen auf Ziele der Hisbollah" im Südlibanon anschließen würden.
Bei israelischen Angriffen im Gazastreifen sind nach Angaben von palästinensischen Sanitätern am Mittwoch mindestens 60 Menschen ums Leben gekommen. Unter den beschossenen Objekten sei auch eine Schule, die vertriebenen Familien Schutz bieten sollte, sagte das medizinische Personal an Ort und Stelle. Dort seien mindestens 17 Menschen getötet worden.
Wie der örtliche Radiosender Stimme Palästinas und Hamas-Medien berichteten, griffen israelische Panzer zudem mehrere Gebiete im Osten und Zentrum von Khan Younis im Süden der Enklave an und zogen sich anschließend teilweise zurück.
Angriff auf iranische Nuklearanlagen?
"Wir werden entscheiden, wann wir den Preis fordern und unsere präzisen und überraschenden Angriffsfähigkeiten demonstrieren werden", sagte Israels Armeechef Herzi Halevi. Dies geschehe auf Anweisung der Regierung. Wie genau ein Vergeltungsschlag aussehen könnte, teilte der israelische Generalstabschef nicht mit. Die New York Times berichtete unter Berufung auf US-Beamte, in einem möglichen Szenario könnte Israel die iranischen Nuklearanlagen angreifen. Insbesondere die Anreicherungsanlagen in Natanz, dem Herzstück des iranischen Programms, könnten im Visier stehen.
Halevi zufolge hat Israel seine Fähigkeit gezeigt, den Erfolg seines Feindes zu verhindern. Grund sei das vorbildliche Verhalten der Zivilbevölkerung sowie seine starke Luftabwehr. Landesweit hatten Millionen Menschen gemäß den offiziellen Anweisungen Zuflucht in Bunkern und Schutzräumen gesucht. Auch die US-Regierung bewertete den Raketenangriff auf Israel als "vereitelt und unwirksam". Dennoch handle es sich um eine "bedeutende Eskalation", sagte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan in Washington. Das US-Verteidigungsministerium warnte den Iran vor weiteren Angriffen auf Israel. Pentagon-Sprecher Pat Ryder sagte: "Wir hoffen natürlich, dass sie das nicht tun, aber wir müssen natürlich auf diese Möglichkeit vorbereitet sein."
Austausch mit den USA
US-Präsident Joe Biden warb dafür, die Reaktion auf den iranischen Raketenangriff gut abzuwägen. Auf die Frage, wie Israel auf den Iran reagieren sollte, antwortete Biden im Weißen Haus in Washington: "Das ist momentan eine laufende Diskussion. Wir müssen uns alle Daten genau ansehen. Wir sind in ständigem Kontakt mit der israelischen Regierung und unseren Partnern, und das bleibt abzuwarten." Die USA stünden voll und ganz hinter Israel. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bezeichnete den iranischen Raketenangriff als "verabscheuungswürdigen Akt der Aggression". "Wir fordern den Iran auf, alle weiteren Angriffe einzustellen, auch von seinen Stellvertreter-Terroristengruppen", sagte er.
Die Europäische Union verurteilt den Angriff Irans auf Israel ebenfalls. "Der gefährliche Kreislauf von Angriffen und Vergeltungsmaßnahmen droht, außer Kontrolle zu geraten", schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf der Plattform X. Ein sofortiger Waffenstillstand in der gesamten Region sei erforderlich. Ähnlich äußerte sich EU-Ratspräsident Charles Michel. "Die EU ist bereit, die Bemühungen um eine Deeskalation und den Schutz der Zivilbevölkerung zu unterstützen", teilte der Belgier auf X mit.
Auch Frankreich hat die iranischen Raketenangriffe scharf verurteilt. Die französische Regierung habe heute ihre militärischen Mittel im Nahen Osten mobilisiert, um die iranische Bedrohung abzuwehren, teilte der Élysée-Palast nach einer Sitzung des Verteidigungs- und Sicherheitsrats mit. Präsident Emmanuel Macron habe bekräftigt, dass die proiranische Hisbollah-Miliz ihre terroristischen Aktionen gegen Israel einstellen müsse. Macron forderte zudem, dass Israel seine Militäreinsätze im Libanon so schnell wie möglich beenden solle. Es seien bereits jetzt zu viele Zivilisten Opfer dieser Operationen. Die Souveränität und territoriale Integrität des Libanon müssten wiederhergestellt werden.
Das britische Militär hat sich nach Angaben von Verteidigungsminister John Healey am Abend an Versuchen beteiligt, eine weitere Eskalation im Nahen Osten zu verhindern. "Ich verurteile den Angriff des Irans auf Israel aufs Schärfste", teilte Healey auf der Plattform X mit und dankte den Beteiligten des britischen Militärs für ihren Mut und ihre Professionalität. "Das Vereinigte Königreich steht voll und ganz hinter Israels Recht, sein Land und seine Bevölkerung gegen Bedrohungen zu verteidigen", betonte der Verteidigungsminister weiter. Einzelheiten zu der genauen Art der britischen Beteiligung nannte er nicht.
Applaus im Iran
Das iranische Außenministerium teilt unterdessen auf X mit, die Aktion des Landes sei abgeschlossen - es sei denn, Israel entscheide sich für weitere Vergeltungsmaßnahmen. Das iranische Vorgehen sei ein Akt der Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta gewesen. Israels Unterstützer hätten nun eine erhöhte Verantwortung dafür, "die Kriegstreiber in Tel Aviv" zu zügeln.
Im iranischen Staatsfernsehen sind die Raketenangriffe gefeiert worden. Nach Verkündung der Angriffe auf Israel durch die iranischen Revolutionsgarden lobte ein Moderator im Staatsfernsehen am Dienstag "das mutige iranische Volk" für die Attacken. Zu Bildern von in den Himmel abgeschossenen Raketen spielte der Sender fröhliche Musik. Außerdem zeigte er Aufnahmen von feiernden Menschen in mehreren iranischen Städten, die Fahnen der libanesischen Hisbollah-Miliz und deren am Freitag von Israel getöteten Chef Hassan Nasrallah hochhielten.
Kommentare