Irak-Proteste erreichen neue Eskalationsstufe
Tausende Anhänger der schiitischen Hashed-al-Shaabi-Milizen haben am Donnerstag das zentrale Protestlager der regierungskritischen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Bagdad übernommen. Die Männer strömten offenbar koordiniert aus mehreren Richtungen auf den Platz im Zentrum der irakischen Hauptstadt. Gegner der Regierung haben dort Anfang Oktober ein Protestcamp errichtet. Einige Milizionäre trugen dabei irakische Flaggen oder das Emblem der paramilitärischen Einheit. Andere hielten das Porträt des angesehenen Großayatollahs Ali al-Sistani in die Höhe, der am vergangenen Freitag mit einem Appell an das Parlament die Regierung von Adel Abdel Mahdi zum Rücktritt gezwungen hatte.
Völlig unklar ist, was hinter der Aktion steckt. Möglich erschienen mehrere Szenarien: Dass sich die Miliz auf die Seite der Protestbewegung stellte; dass diese die Protestbewegung an sich reißen wollte oder dass es das eigentliche Ziel der Aktion war, die Proteste niederzuschlagen.
Die Protestbewegung stützt sich zwar überwiegend auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit. Bisher hat sie es aber geschafft, sich jeder Vereinnahmung durch Parteien oder Milizen zu verwehren und eine gesamt-irakische Ausrichtung zu wahren. Beteiligt an den landesweiten Protesten, die bisher Hunderte Todesopfer gefordert haben, sind auch viele Kurden und Sunniten. Religiöse Symbolik und auch religiös motivierte politische Forderungen oder Slogans wurden bisher penibel vermieden.
Die Proteste richten sich ausschließlich gegen die als korrupt und unfähig empfundene politische Elite des Landes sowie gegen den Einfluss des Iran in Bagdad. Ziel der Aktionen der Bewegung waren bisher Regierungsbehörden, Sicherheitskräfte, diplomatische Einrichtunge des Iran und auch Büros Iran-naher Milizen. Die Hashed-al-Shaabi-Milizen sind eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden, die eine zentrale Rolle bei ihrer Finanzierung und Ausbildung gespielt haben.
Viele der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz reagierten daher auch äußerst beunruhigt auf den Aufmarsch der Miliz-Leute. „Sie ruinieren es“, sagte ein Demonstrant, während ein anderer die Befürchtung äußerte, dass es nun „dreckig“ werde. Zunächst blieb es aber ruhig.
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