Ioan Holender: "Rumänien hat keinen Kanzler Kurz"
Bundeskanzler Sebastian Kurz reist am Freitag nach Bukarest, um den EU-Vorsitz an Rumänien zu übergeben. Die bevorstehende Präsidentschaft des osteuropäischen Landes steht allerdings unter keinem guten Stern. Ein Streit zwischen Staatspräsident Klaus Iohannis und der Regierung sowie massive Kritik der EU-Kommission wegen erheblicher Defizite bei der Korruptionsbekämpfung belasten den EU-Vorsitz. Ministerpräsidentin Viorica Dancila und der sozialdemokratische Parteichef Liviu Dragnea werfen der EU vor, Rumänien zu Unrecht zu kritisieren, andere Länder seien noch „viel korrupter“, Rumänien werde von der EU als „Land zweiter Klasse“ behandelt. Einer, der das Land kennt und beobachtet, ist der ehemalige Direktor der Wiener Staatsoper Ioan Holender, ein gebürtiger Rumäne.
KURIER: Herr Holender, was erwarten Sie sich vom rumänischen EU-Vorsitz?
Ioan Holender: Rumänien hat keinen Kanzler Kurz, der gescheite Sätze sagen kann. EU-Kommissionspräsident Juncker hat Ministerpräsidentin Dancila gegenüber öffentlich versichert, dass Rumänien auf die Präsidentschaft gut vorbereitet ist. Frau Dancila ist sicherlich bildungsmäßig als Regierungschefin ungeeignet. Der starke Mann hinter der Regierung ist Parteichef Dragnea, der aber wegen Machtmissbrauch und Korruption vorverurteilt ist.
Präsident Iohannis hat gesagt, dass Rumänien nicht auf die Präsidentschaft vorbereitet ist.
Iohannis’ vielfache Aussagen schaden öffentlich seinem Land. Das Problem ist der tiefe Dissens, der Kampf und die große Abneigung zwischen dem Präsidenten und der Regierung. Aber: Sowohl der Präsident als auch die Regierung sind demokratisch gewählt. Iohannis hat gegen alle Erwartungen die Wahl gewonnen, die Auslandsrumänen haben ihn unterstützt. Die Sozialdemokraten haben mit großer Mehrheit die politischen Wahlen gewonnen.
Von außen betrachtet ist Iohannis der Gute, Nicht-Korrupte.
Das ist vollkommen falsch.
Warum ist das falsch?
Weil es nicht den Tatsachen entspricht. Iohannis ist in der Bevölkerung unbeliebt und wird nicht geachtet. Außerdem wird er in den Medien wegen der Unterstützung der nach dem Krieg verbotenen Deutschen Ethnischen Gruppe in Rumänien mit schweren antisemitischen Vorwürfen konfrontiert. Iohannis hat noch weitere Fehler begangen.
Welche Fehler?
Zum einen konnte er die finanziellen Mittel zum Erwerb von sieben Häusern in Sibiu nicht glaubhaft dokumentieren, was ihm den Vorwurf der Korruption einbrachte. Anlässlich des Besuchs der rumänischen Regierung in Israel, als sie sich für den Umzug der rumänischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem aussprach, hat Iohannis dies mit dem fatalen Satz kommentiert: Die Vertreter der Regierung seien nach Tel Aviv gefahren, um dort „irgendwelche Juden zu treffen“. Das hat zu Protesten Israels geführt. Jetzt hat Iohannis einen jüdischen Politiker, der von den Sozialdemokraten für ein Ministeramt vorgeschlagen wurde (Ilan Laufer, Anm.), ohne Erklärung abgelehnt.
Haben Sie noch Vertrauen in Rumänien?
Zum Land ja, zum Präsidenten und zur Regierung nein. Das Katastrophalste ist, dass die jungen Leute massenweise das Land verlassen und ihr Glück im Westen suchen.
Die Demonstrationen im Herbst gegen die Regierung zeugen doch von Unzufriedenheit?
Es gab Versammlungen gegen die Regierung wegen Gesetzesänderungen im Hinblick auf Korruption und anschließend von Sozialdemokraten organisierte Demonstrationen. Ich bin gegen die Macht der Straße, man kommt damit nicht weiter. Die Menschen vertrauen den Politikern nicht mehr, Rumänen sind sehr politikverdrossen.
Wie kam es nach Ende des kommunistischen Regimes zu diesem Ausmaß an Korruption?
Die Korruption ist nicht im Kommunismus, sondern im neuen Kapitalismus durch Oligarchen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge entstanden. Rumänien hat die Korruption aber nicht erfunden.
Wie stark ist der Antisemitismus in Rumänien?
Große Schriftsteller und Künstler Rumäniens sind jüdischer Abstammung. Natürlich gab und gibt es in Rumänien Antisemitismus, aber in viel geringerem Ausmaß als in Ungarn oder Polen. Der Elie Wiesel-Report war ein wichtiger Schritt zu dessen Beseitigung. Das offizielle Rumänien ist seit der Nachkriegszeit immer Israel-freundlich.
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