"AfD ist auf ähnlichem Weg wie die FPÖ"
KURIER: Ihre Lebensgefährtin, AfD-Chefin Frauke Petry, hat beim Parteitag in Stuttgart den Machtanspruch gestellt. Koalieren will aber niemand mit ihr – wie fühlt sich das an?
Marcus Pretzell: Sie hat ja auch gesagt, dass das keine Option für die nähere Zukunft ist. Wir reden nicht über 2017. In Österreich sieht man, wie schnell das geht, dass sich die Verhältnisse ändern. Und wenn das passiert, ist auch die Beweglichkeit der etablierten Parteien überaus groß.
Sie meinen die Öffnung von SPÖ und ÖVP zur FPÖ?
Ja. Ich glaube, dass der Weg der AfD ein ähnlicher sein wird wie der der FPÖ. Wenn die AfD vielleicht 2021 stärkste Kraft im deutschen Bundestag ist – und davon gehe ich fest aus –, dann reden wir ganz neu über die Frage von Koalitionsfähigkeit.
Sie sitzen selbst im EU-Parlament, wettern aber gegen das Establishment. Wie lässt sich das vereinbaren?
Naja, Sie haben es selbst gesagt: Niemand will mit uns reden, niemand will mit uns koalieren. Das fühlt sich nicht so an, als wäre man Teil des Establishments.
Diese Haltung verbindet Sie mit der FPÖ. Sie haben am Parteitag Grüße von HC Strache ausgerichtet. Gibt es eine spezielle Verbindung zwischen ihnen?
Es gibt seit geraumer Zeit eine Verbindung zwischen AfD und FPÖ. Im Nachgang nach dem Parteitag in Essen mit der Führungsveränderung haben wir das Gespräch zu vielen europäischen Parteien gesucht, zuallererst zur FPÖ. Es existieren gute Verbindungen mit den Kollegen, mit Harald Vilimsky etwa. HC Strache ist auf meine Einladung zu einer Veranstaltung in Düsseldorf gekommen, wo auch Frauke Petry war.
Teile Ihrer Partei – vor allem Björn Höcke – vertreten sehr extreme Positionen; etwa, dass der Islam die Weltherrschaft anstrebe. Sehen Sie das auch so?
Ich finde es irrelevant, ob der Islam die Weltherrschaft anstrebt oder nicht. Ich mache keine Politik für die Welt, sondern für Deutschland. Mich interessiert die Rolle des Islam in Deutschland. Wir sollten erst einmal klein anfangen, das steht vor allem deutschen Politikern gut zu Gesicht, sich erstmal um Deutschland zu kümmern und nicht um die ganze Welt.
Wird Björn Höcke in Zukunft eine größere Rolle in der Partei spielen?
Eine noch größere Rolle als Vorsitzender in einem der kleineren Landesverbände in der AfD zu sein? Die Frage stellt sich derzeit nicht.
Ihre Lebensgefährtin und Sie selbst haben auch für Kontroversen gesorgt, etwa mit Ihren Aussagen zum Thema Waffeneinsatz an der Grenze. Bereuen Sie die Aussage?
Man weiß nie, wie die Geschichte gelaufen wäre, wenn sie anders gelaufen wäre. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es geschadet hat, weil die Menschen schon gesehen haben, was gesagt worden ist und was daraus gemacht worden ist. Das ist das selbe Prinzip, das die FPÖ auch gut kennt: Es gibt mediale Zuschreibungen, die Parteien, wie der FPÖ und der AfD, überaus nützlich sind.
Zum Verständnis: Was wurde gesagt, was wurde daraus gemacht?
Ich habe einen Vortrag gehalten und wurde am Ende gefragt, ob ich in letzter Konsequenz bereit wäre, Waffen einzusetzen, wenn Menschen die Grenze mit Gewalt überwinden. Da habe ich zehn Minuten lang erklärt, warum das nicht notwendig ist – weil es Polizei gibt, weil es Wasserwerfer gibt. Dann habe ich aber gesagt, dass es selbstverständlich immer als Ultima Ratio denkbar ist – es gibt diese Fälle, dass an der deutschen Grenze geschossen worden ist, das ist geltendes deutsches Recht. Wem das nicht gefällt, der muss das im deutschen Bundestag ändern. Die AfD sitzt nicht im Bundestag, und wenn CDU und SPD das für einen Skandal halten, müssen sie das ändern.
Würden Sie einen Antrag dazu einbringen?
Nein, ich halte diese Rechtslage für absolut sinnvoll. Und es ist im Übrigen bei allen Dingen so. Wenn Sie sich mit Gewalt weigern, Ihre Steuern zu zahlen, dann werden Sie Bekanntschaft mit Schusswaffen machen. Das ist Ultima Ratio des Staates in jedem Fall. Nur in den seltensten Fällen ist es nötig, davon Gebrauch zu machen. Ich gebe da eine ehrliche Antwort und sage nicht, wie die meisten Politiker, diese Frage stellt sich nicht.
Zur Person: Marcus Pretzell (42) ist Vorsitzender der AfD Nordrhein-Westfalen und sitzt seit 2014 im EU-Parlament. Demnächst wechselt er in die Fraktion der FPÖ, mit der ihn enge Kontakte verbinden. Der nationalkonservative Politiker gilt zudem als einflussreichster Einflüsterer Frauke Petrys, mit der er seit einigen Monaten in einer Beziehung lebt. Gemeinsam haben die beiden acht Kinder.
"Die deutsche Kanzlerin dreht sich ja auch gerade", sagt Beatrix von Storch, und der Satz geht ihr mit einem Lächeln von den Lippen. Als die AfD-Vizechefin diese Woche mit Journalisten über ihr neues Programm diskutiert, vermittelt sie stets eines: Die AfD ist nicht mehr Schmuddelkind, sondern gehört zu den "Normalen" – man hat Zulauf, man setzt Themen, die anderen Parteien springen auf.
Offensichtlich ist das spätestens seit dem Parteitag am vergangenen Wochenende. Was die Rechtspopulisten dort beschlossen hatten, wurden tags darauf so breit diskutiert, als wäre die AfD bereits im Bundestag. Selbst Angela Merkel hat das in der CDU offen thematisiert – genau darauf spielte von Storch auch an: Denn die Kanzlerin sagte erstmals, dass man sich mit den Meinungen der AfD auseinanderzusetzen müsse – "ohne Schaum vor dem Mund und ohne Pauschalurteile."
Wie in Österreich
Die AfD stellt die deutschen Altparteien vor ein Dilemma, das den österreichischen Großparteien nur allzu bekannt ist: Wie soll man mit den Rechtspopulisten umgehen? Sie ausgrenzen, mit ihnen reden – oder vielleicht sogar mit ihnen koalieren?
Die beiden Großparteien sind sich da uneins. Die SPD hält es mit Franz Vranitzky, der diese Frage für Österreich 1986 mit einem einfachen "Ignorieren" beantwortete. Die CDU zeigt sich so gespalten wie der Altkanzler selbst, der seine Ablehnung von damals ja mittlerweile relativierte: Während manche wie Generalsekretär Peter Tauber davon sprechen, dass die AfD eine reaktionäre "Anti-Deutschland-Partei" sei, stellen sich andere wie Julia Klöckner hinter Merkel. Die Rheinländerin, die im konservativen Flügel der CDU beheimatet ist, plädiert für eine Auseinandersetzung mit den "ernsthaften Vorschlägen" der AfD.
Dann gibt es noch jene, die einen "Kurswechsel" fordern. Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, will etwa "den rechten demokratischen Rand" für die CDU reklamieren – indem man Tabus bricht: Für ihn ist die "politische Korrektheit in Berlin" der Grund, warum die AfD so stark sei.
Allein, das offenbart das nächste Dilemma. Haseloff zeigte sich in seinem Wahlkampf im März nämlich selbst sehr offen gegenüber rechts – genutzt hat ihm das nur bedingt. Die AfD kam in Sachsen-Anhalt auf ihren Höchstwert von 24 Prozent.
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