Asselborn: "Rechtsruck könnte Europa zerstören"

Dienstältester Außenminister der EU: Jean Asselborn
Luxemburgs Außenminister zur Krise der Sozialdemokratie und seine Erwartungen an Christian Kern.

KURIER: Herr Außenminister, scheitert der EU-Türkei-Deal?
Jean Asselborn: Ich glaube nicht, dass die Türkei so schnell die Türe zuschlägt. Sie hat großes Interesse an der Visafreiheit. Für die Visaliberalisierung gibt es einheitliche Kriterien. Ich hoffe, die Türkei versteht das.

Soll es mit afrikanischen Staaten Verträge à la Türkei geben?
Man kann nicht so einfach eine Kopie für Afrika machen. Für die Kooperation mit Libyen braucht es dort eine Regierung; die EU-Aussenpolitik bemüht sich sehr darum. Wir müssen auch über legale Migration mit Afrika reden : zum Beispiel sollen Forscher und Studenten aus afrikanischen Ländern legal nach Europa kommen können.

In der Flüchtlingspolitik wirkt die EU wie ein Zombie. Glauben Sie noch an die Solidarität?
Selbstverständlich. Ohne Solidarität gibt es keine EU. Wenn man Ja sagt zu Schengen – und jeder will die Reisefreiheit – , muss man wissen, dass damit auch eine Lastenverteilung der Migranten verbunden ist. Vielleicht sieht man unter der EU-Präsidentschaft der Slowakei (2. Hälfte 2016) ein, dass die EU die Lastenverteilung nur schafft, wenn alle gleich anpacken. Griechenland und Italien können kein Reservoir für den Rest Europas sein.

Wollen Sie, dass Länder für jeden abgelehnten Flüchtling 250.000 Euro Strafe zahlen?
Die Kommission hat keine Strafen vorgesehen. Dies soll lediglich helfen, dass die Lastenverteilung richtig verstanden wird. Es kann nicht sein, dass die Solidarität, die in den Verträgen verankert ist, missachtet wird. Diese Gelder wären Unterstützungsmittel für Länder, die disproportioniert Flüchtlinge ausnehmen müssten.

Eine andere Frage: Wie erklären Sie den Rechtsruck in Europa?
Es wird politisch mit der Angst der Menschen operiert. Nationale Wahlkämpfe werden gegen die EU geführt. Dabei wird Brüssel als Prellbock für das hingestellt, was falsch läuft. Es wird Angst geschürt vor Ausländern, fremden Kulturen und der Unsicherheit.

Was macht man gegen Populismus und Rechtsruck?
Dem Populismus kann man nicht hinterherlaufen, man bleibt immer Letzter. Die echten Populisten wird man nie überholen können, auch nicht beim Wähler. Gegen den Rechtsruck muss man sich stellen, argumentieren, mit harten Bandagen kämpfen. Rechtsruck heißt Nationalismus, und das ist Krieg, wie es Mitterrand sagte. Wir müssen uns die Geschichte Europas – Kriege, Hass, Intoleranz, Xenophobie – als Spiegel vor Augen halten. Dieser Rechtspopulismus kann nicht nur die EU zerstören, sondern ganz Europa. Das zeigt die Geschichte.

Sie beobachten den Präsidentschaftswahlkampf in Österreich. Was sagen Sie zum FPÖ-Kandidaten mit nationalistischer Ausrichtung?
Heinz Fischer, der ein sehr persönlicher Freund von mir ist, ist der beliebteste Politiker Österreichs. Er zeichnet sich aus durch Offenheit, Toleranz und auch durch Menschlichkeit. Die Bürger haben ihn gewürdigt, genau wie die Werte, die er verkörpert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Werte nun verbogen oder verwässert werden. Das wünsche ich Österreich nicht.

Wie erklären Sie sich den tiefen Absturz der Sozialdemokratie in vielen EU-Staaten?
Wir Sozialdemokraten müssen uns Sorgen machen um die Definition der Substanz der Sozialdemokratie. Das sozialdemokratische Gesellschaftsmodell für das 21. Jahrhundert ist nicht klar umrissen. Die Basiselemente sind klar: soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Respekt und Toleranz. Sozialpolitisch sind wir in einer extrem aggressiven Zeit. Wir müssen uns auch Gedanken machen über die Griffigkeit in der Darstellung. Die Sozialdemokratie hat grosse Männer und Frauen hervorgebracht, aber sie ist keine Partei, die den starken Mann oder die starke Frau sucht. Es hat in der Sozialdemokratie immer eine Kultur der kritischen Auseinandersetzung über Personen gegeben.

Was erwarten Sie vom neuen SPÖ-Kanzler Christian Kern?
Aus europäischer Sicht muss er den Kampf gegen den Populismus sehr ernstnehmen, weil dieser Europa ablehnt und gar zerstören will. Auch in Österreich ist das der Fall. Für Kanzler Kern ist dies eine riesige Aufgabe und ich bin überzeugt, dass auch die aktuelle Koalition am selben Strang zieht.

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