Israels Hardliner Chikli: "Ein Staat Palästina ist für mich völlig irrelevant"
Sonntagabend, ein puritanisch eingerichteter Besprechungsraum in einem Hotel in Tel Aviv, müde Augen: Eine Journalisten-Delegation, sie ist auf Einladung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz hier, wartet auf ihren letzten Gesprächspartner an diesem Tag. Angekündigt ist Amichai Chikli, Israels Minister für Diaspora und Antisemitismusbekämpfung.
Mit Chiklis Ankunft geht ein Ruck durchs Zimmer. Er polarisiert ab der ersten Minute, antwortet messerscharf – in einer spontanen Fragerunde. Wer ist dieser Mann? In der Likud-Partei von Premier Benjamin Netanjahu zählt Chikli zu den rechtskonservativsten bis nationalistischsten Vertretern. Der 44-Jährige, seit 2022 Minister, sucht die Nähe zu Europas Rechtsaußen: Viktor Orbáns Fidesz, AfD oder Spaniens Vox. Der Offizier der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) polarisiert auch in Israel selbst.
Für massive Kritik sorgte etwa, dass er den britischen Rechtsextremen Tommy Robinson, Gründer der islamkritischen „English Defence League“, kürzlich nach Israel einlud. Oder seine Angriffe auf progressive Juden. Aber was hält er von Österreich, der EU oder der Zukunft des Gazastreifens? Amichai Chikli sagt im Gruppeninterview mit mehreren deutschsprachigen Medien über ...
...Österreichs Verhältnis zu Israel:
„Sebastian Kurz hat die DNA der Beziehung Österreichs zu Israel nachhaltig zum Positiven verändert. Vor allem die Art und Weise, wie Österreich in der UNO und der EU abstimmt. Man darf nicht vergessen: Österreich war das erste Land, das die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) anerkannt hat, in den 1970ern saßen Nazis in der Regierung und es gab keine Aufarbeitung der Vergangenheit.“
...ein mögliches Kurz-Comeback:
„Das letzte Wort von Sebastian Kurz in der Politik ist noch nicht gesprochen.“
…die Beziehung seiner Partei zur FPÖ:
„Es gibt derzeit keine. Unter Heinz-Christian Strache hatte sich die Beziehung deutlich verbessert. Von der aktuellen Parteiführung habe ich aber keine eindeutige Aussage bezüglich der Vergangenheit der FPÖ gehört. Ich hoffe weiterhin auf ein klares Statement, dass sie ihre Gründerväter und die nationalsozialistische Ideologie ablehnen. So schwer ist das nicht.“
…das Verhältnis der Likud zu anderen Rechtsparteien Europas:
„Wir haben eine sehr enge Beziehung zu Fidesz. Budapest ist heute eine der wahrscheinlich sichersten Hauptstädte Europas für Juden. Bei der AfD, zu der wir eine gute Beziehung haben, ist es eine andere Geschichte als bei der FPÖ. Sie hat keinen nationalsozialistischen Hintergrund, sondern ist eine neue Partei, gegründet von wirtschaftsliberalen Intellektuellen.“
…den Grund, warum er die Nähe zu Europas Rechten sucht:
„Normalerweise war das israelische Außenministerium eher links orientiert. Auf den derzeitigen Minister Gideon Sa'ar trifft das nicht zu. Und in Europas Politik haben sich die Dinge im Laufe der Jahre geändert. Über die gemäßigt rechten Parteien herrscht auf dem ganzen Kontinent große Enttäuschung, neue Kräfte kommen auf. Wie auch in den USA, was zum Aufstieg der MAGA-Bewegung geführt hat. Man kann diese Realität ignorieren oder neue Kooperationen schaffen – mit politischen Kräften, die zumindest unseren konservativen Wertekanon teilen.“
…die EU:
„Ich lehne die Idee der EU als Konservativer völlig ab: Die Vision, die auf Immanuel Kants Konzept des „Ewigen Friedens“ basiert, wonach man die Nationalstaaten abschaffen soll. Ich denke, Nationalität ist eine Erweiterung der Familie. Und es gibt keine Möglichkeit, dass du das Kind deines Nachbarn so liebst wie dein eigenes Kind.“
…Europas Migrationspolitik:
„Länder mit solider Einwanderungspolitik werden künftig besser dastehen. Wenn ich mir die Städte in Ungarn oder Polen ansehe und sie mit Paris, London, Amsterdam oder Brüssel vergleiche, dann wird das wirtschaftliche Zentrum Europas in zehn bis 15 Jahren Budapest oder Warschau sein.“
…den jüdischen, US-amerikanischen Investor und Philanthrop George Soros:
„Soros ist ein großer Feind des Staates Israel und der Juden. Ich habe das schon häufig gesagt und sage es auch jetzt: Wir sehen ihn als Rivalen und er ist ein sehr böser Mann.“
...den von ihm häufig verwendeten Begriff „Islamo-Nazismus“:
„Die nationalsozialistische Ideologie wurde in den 1930er-Jahren in weiten Teilen des Nahen Ostens übernommen. Das Farhud-Pogrom im Irak, 1941, war ein großes, bedeutendes Ereignis. Es entstand aus der nationalsozialistischen Ideologie, angeführt vom Mufti. Zusammen mit Hassan al-Banna, dem Gründer der Muslimbruderschaft, verband er die rassistische NS-Ideologie mit dem radikalen Islam. Zusammen schufen sie eine Ideologie, die ich Islamo-Nazismus nenne. Es ist kein Zufall, dass Hitler bis heute in Ägypten, wo die Muslimbruderschaft sehr stark ist, populär ist. Oder, dass du in Ramallah in allen Buchläden „Mein Kampf“ findest. Auch die palästinensische Ideologie ist in die nationalsozialistische eingebettet. Das konnte man am 7. Oktober sehen.“
…den Unterschied zwischen Palästinensischer Autonomiebehörde und der Terrorgruppe Hamas:
„Es gibt einen Unterschied, aber nicht in der Kernideologie. Die Palästinensische Autonomiebehörde bezahlt nicht grundlos jeden einzelnen Terroristen, der einen israelischen Zivilisten getötet hat. Wenn man ehrlich ist, existiert die palästinensische Identität nicht ohne den Krieg gegen den Zionismus und den jüdischen Staat.“
…eine mögliche Lösung des Konflikts mit den Palästinensern:
„Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt eine Lösung gibt. Wenn man ernsthaft und langfristig denkt – Jahrzehnte voraus –, wäre vielleicht eine Übereinkunft mit den moderaten Führungen wie in den Emiraten, Bahrain, Marokko oder Saudi-Arabien möglich, aber ohne die Palästinenser. Ein palästinensischer Staat ist für mich in den kommenden Jahrzehnten völlig irrelevant.“
…die Zukunft des Gazastreifens:
„Das Wichtigste für die Zukunft Gazas ist Bildung. Wenn dort dieselbe Ideologie wie die von Hamas oder der PLO weiterhin die Kinder prägt, werden wir wieder Krieg haben. Das ist offensichtlich. Man muss die DNA ändern – und ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt möglich ist. Der Gaza-Streifen hat ja Milliarden erhalten. Und was haben sie mit all dem Geld geschaffen? Das größte U-Bahn-System der Welt – aber ohne Zugang für Zivilisten. Nur, wenn du ein entführter Jude bist, darfst du da hinein.“
…die Frage, wie der 7. Oktober in einem Hochsicherheitsstaat wie Israel passieren konnte:
„Es gibt keine einfache Antwort. Wir, als System, haben die Hamas jedenfalls unterschätzt. Die Ressourcen, die zur Beobachtung von Hamas eingesetzt wurden, waren minimal. Zweitens herrschte die Denkweise – angeführt vom Militär, aber akzeptiert von der Regierung –, dass man die Lage in Gaza kontrollieren könne, indem man wirtschaftliche Vorteile schafft und die Ruhe aufrechterhält.
Biografie
1981 in Jerusalem geboren, wuchs Amichai Chikli im Kibbuz Hannaton auf. An der Uni in Tel Aviv studierte er Sicherheit und Diplomatie. Seit 2022 ist er Diasporaminister für die Likud von Premier Benjamin Netanjahu, bis 2024 war er auch für Soziale Gleichheit zuständig. Chikli gilt als Nationalist und liebäugelte mit der Annexion des Westjordanlandes.
Offenlegung
Im Rahmen einer Pressereise von 8. bis 10. November, zu der auch der KURIER eingeladen war, hat das Team von Sebastian Kurz diverse Medientermine organisiert – auch jenen mit Chikli.
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