"Dream Security" und andere Träume: Was Ex-Kanzler Kurz in Israel macht
Ein lauter, fester Handschlag, eine angedeutete Umarmung: Sebastian Kurz begrüßt Amichai Chikli, Israels Minister für Diaspora, wie einen alten Kumpel. Chikli, der beste Verbindungen zu Europas Rechtspopulisten unterhält, gilt selbst in der Likud-Partei von Premier Benjamin Netanjahu als Hardliner. Er fordert etwa die Annexion des Westjordanlandes.
Chikli ist auf Anfrage von Kurz hergekommen, in ein Hotel in Tel Aviv. Für ein Gruppeninterview mit deutschsprachigen Journalisten, die der ehemalige Bundeskanzler auf eine dreitägige Israel-Reise eingeladen hat.
Hoffnung auf Kurz-Comeback
Bevor Kurz den Besprechungsraum betrat, gab Chikli der Medienrunde bemerkenswert unverblümte Antworten wie: Die Nazi-Ideologie sei Teil der palästinensischen Ideologie. Die Idee eines palästinensischen Staates halte er in den „nächsten Dekaden“ für „total irrelevant“.
Und er wünscht sich ein Comeback: „Das letzte Wort von Sebastian Kurz in der Politik ist noch nicht gesprochen. Wir glauben an ihn.“
Es ist keine Neuigkeit: Kurz hat in Israel seine Meriten. Er war es, der die Haltung der ÖVP und damit auch Österreichs Beziehung zum westlichsten Nahost-Staat nachhaltig verändert hat. Mit Nachwirkungen: Österreich war Israel in den vergangen Jahren so nahe wie nie, stimmte Ende 2023 bei der UN-Generalversammlung als einer von weltweit zehn Staaten gegen einen Waffenstillstand in Gaza.
Kurz weilt derzeit alle vier bis sechs Wochen in Tel Aviv. Allerdings nicht als beliebter Ex-Politiker, der beinahe beiläufig Netanjahus Sohn Avner als Frühstücksgast einlädt, sondern als Start-up-Unternehmer – leger, in Hemd und Jeans.
Vom Kanzleramt in die Cyberabwehr
Büro mit Ikea-Charme statt Kanzleramt: Der 39-Jährige hat das israelische Start-up „Dream Security“ mitgegründet. Dieses wurde zu Jahresbeginn bei einer Finanzierungsrunde mit 1,1 Milliarden US-Dollar bewertet. Liegt der Umsatz kommendes Jahr bei einer niedrigen, dreistelligen Millionensumme, wäre man schon zufrieden. Aber wie ernst ist die Start-up-Sache Kurz, der noch zu Jahresbeginn kurz vor einem Polit-Comeback stand, wirklich?
Nun: Dream wächst, hat mittlerweile 220 Mitarbeiter und Büros in Tel Aviv, Wien und Abu Dhabi. Das Startup kollaboriert auch mit Privatunternehmen, aber vor allem mit Regierungen aus Europa, dem Mittleren Osten oder Südostasien - nicht mit Schurkenstaaten. Eine Expansion in die USA wird angestrebt, ein Börsengang gilt als Option.
Was macht Dream? Grob erklärt: Eine Software entwickeln, die kritische Infrastruktur schützt. Sie erkennt mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Cyberattacken, bevor diese durchgeführt werden. Bildlicher: Der Dieb wird aufgehalten, bevor er das Haus überhaupt betreten kann.
Mit Lob überschüttet
„Wir scannen das Internet immer und wenn wir Hinweise finden, untersuchen wir sie“, erklärt Mitgründer Shalev Hulio. Der 44-Jährige ist kein Unbekannter. Kurz sitzt grundsätzlich mit der Elite der israelischen Cybersecurity-Szene im Boot. Hulios Unternehmen NSO hat die umstrittene Spyware Pegasus entwickelt – mit der Drogenboss El Chapo, IS-Terroristen oder Pädokriminelle überwacht, aber auch Journalisten und Aktivisten ausgespäht wurden.
Israels Öffentlichkeit sind auch die Dream-Investoren Dovi Frances und Michael Eisenberg bekannt. TV-Persönlichkeit Frances - die Gesichter seiner Kinder auf den Socken tragend - meint, Dream könne der „Goldstandard“ für den Schutz kritischer Infrastruktur werden. Und dafür benötige das Start-up Kurz: Dieser sei ein Getriebener, hochmotiviert – und er wolle gewinnen: „Sebastian ist so wichtig für Dream, wie Dream für Sebastian.“ Ein Polit-Comeback sei wünschenswert – aber erst, wenn Dream seine Ziele erreicht habe.
Ähnlich sieht das Eisenberg - nebenbei meinungsstarker Autor, der Europas Sozialsystemen wegen der letzten Migrationswellen den Kollaps prophezeit. Kurz sei ein außergewöhnlicher Charakter, hochintelligent. Vor dem Hintergrund der Ermittlungen gegen ihn sei man eine „riskante, aber gute“ Wette eingegangen. „Ich hoffe, dass er eines Tages in die Politik zurückkehrt.“ Sofort? „Nein, nein, nein, nein!“, sagt Eisenberg und lacht. Hulio bilanziert: „Sebastian ist ein Rockstar.“
7. Oktober als Wendepunkt
Sie alle sprechen in gesonderten, von Kurz arrangierten Terminen über Cyberabwehr, ihre kinderreichen Familien – und eben Kurz. Nicht ins Gesamtbild passt ein Nachmittagstermin in der Basis der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) in Tel Aviv. Anlass: ein 47-minütiges Video, bestehend aus Zusammenschnitten der Hamas-Attacke am 7. Oktober 2023. Erschießungen, Enthauptungen, Todesschreie, verkohlte Leichen: betretenes Schweigen, kein Mucks.
Warum dieser Exkurs? Der 7. Oktober war auch für Dream ein Wendepunkt – und hätte durchaus das Ende des im Jänner 2023 gegründeten Start-ups sein können. Immerhin wurde die Hälfte der Mitarbeiter plötzlich in die Armee eingezogen. Aber, darauf verweisen alle Dream-Gesprächspartner: Israels Wirtschaft und Bevölkerung seien eben unheimlich resilient. Und im November 2023 gelang dann eine erlösende Finanzierungsrunde im Umfang von 33 Millionen US-Dollar.
Resilienz kann man auch Kurz nicht absprechen. Er plaudert und scherzt wie zu Polit-Zeiten. Auch über seine doch recht breite unternehmerische Tätigkeit. Neben dem Start-up verkauft er – weniger spektakulär – auch Immobilien und neuerdings AdBlue.
Emotionaler wird der zweifache Vater nur, wenn Begriffe wie „WKStA“ oder „Postenschacher“ fallen. Kurz wurde Ende Mai bekanntlich im Falschaussage-Prozess rechtskräftig freigesprochen, die Ermittlungen in der Umfrage-Causa laufen noch. Zu aktuellen innenpolitischen Themen äußert sich Kurz im Rahmen der Reise nicht.
Wenn es ja ohnehin gut läuft, will er denn überhaupt zurück in die Politik? Er fühle sich auch in der neuen Rolle sehr wohl, kalmiert Kurz wie gewohnt. Seine Geschäftspartner klingen da schon eindeutiger.
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