Feminismus à la Orbán: Warum Frauen Fidesz wählen
"Ab dem 1. Oktober 2025 sind ungarische Mütter mit drei Kindern lebenslang von der Einkommensteuer befreit", verkündete Orbáns politischer Direktor Balázs Orbán auf X. Der Regierung zufolge würden sich Mütter dadurch bis zu 280 Euro monatlich ersparen – sofern sie berufstätig sind. Am Papier klingen die familienpolitischen Maßnahmen der ungarischen Regierung stets gut, in der Praxis halten sie feministischer Kritik selten stand.
Dabei schneidet Ungarn im Geschlechtervergleich nicht viel besser oder schlechter ab als Österreich: 2022 waren 51 Prozent der Frauen in Vollzeitbeschäftigungen (in Österreich rund 48 Prozent), bei Männern betrug der Anteil 65 Prozent. Im Schnitt bekommen Männer für die gleiche Arbeit rund 18 Prozent mehr Gehalt als Frauen, die UN-Daten zufolge mehr als doppelt so viel Hausarbeit wie ihre Partner leisten. Auffallend schlecht ist die Repräsentation von Frauen in der Politik: Aktuell sitzt keine Frau in der Regierung; 31 der 199 Sitze werden von Frauen belegt (15,6 Prozent) – Ungarn liegt damit weit unter dem EU-Schnitt (rund 30 Prozent).
Das alles passt zu einem bestimmten Frauenbild, das Viktor Orbán propagiert, sagt die ungarische Historikerin Andrea Pető, Professorin an der Central European University, und das bei vielen Frauen verfängt. Der Opposition rät sie, sich ebenso auf diese Wählerschaft zu konzentrieren. Sonst könnte ihr diese Leerstelle bei den Wahlen im nächsten Jahr teuer zu stehen kommen.
KURIER: Warum wählt man als Frau in Ungarn Orbáns Fidesz?
Andrea Pető: Um die Popularität Orbáns zu verstehen, muss man sich die Entwicklung Ungarns zwischen 1989 und 2010 anschauen. Der Staat ist nicht länger eine Ressource; Gesundheitssystem, Bildungssystem, Sozialsystem wurden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geschwächt und privatisiert, finanzielle Mittel entzogen. Der Beitritt zur EU hat nicht wirklich zu einer Verbesserung der Lebensumstände geführt. Dazu kam ein neoliberaler Feminismus, der besagt, dass sich Frauen nur engagieren und so fleißig sein müssten wie Männer, um erfolgreich zu sein. Dieses Versprechen wurde nicht eingelöst. Daraufhin hat Orbán den Frauen sein illiberales Angebot gemacht – und gepunktet.
Wie sieht dieses illiberale Angebot aus?
Es ist ein neues Verständnis von Emanzipation: In den letzten 200 Jahren wurde dafür plädiert, Frauen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, damit sie selbstständig Geld verdienen und unabhängig leben können. Die Zeit zwischen 1989 und 2010 hat die Dreifachbelastung, unter der Frauen stehen, aufgezeigt: arbeiten, sich um die Familie kümmern und gleichzeitig noch den Schönheitsidealen entsprechen.
Orbán hat einen christlichen Konservatismus, der in Ungarn tief verwurzelt und zwischen 1945 und 1989 (während des Kommunismus, Anm.) unterdrückt wurde, nach Fall des Eisernen Vorhangs wiederbelebt. Er sagt: Frauen können zuhause bleiben und sich um ihre Familie kümmern, und sie erhalten trotzdem finanzielle Unterstützung, Respekt und Anerkennung. Dieses Angebot findet tatsächlich bei vielen Frauen Anklang, vor allem bei jenen, die auf dem Arbeitsmarkt schlechte Erfahrungen mit Ausbeutung, Diskriminierung und Belästigung gemacht haben.
Wie äußert sich das in konkreten politischen Maßnahmen?
Frauen können zum Beispiel nach 40 Jahren Arbeit vor dem eigentlichen Pensionsantrittsalter in Pension gehen. Sie verzichten dann freiwillig auf ihre letzten Arbeitsjahre, in denen sie die höchsten Gehälter verdient hätten, und leisten stattdessen oft unbezahlte Betreuungsarbeit für ihre Enkelkinder. Das öffentliche System spart sich damit doppelt Geld. Diese Frauen sind besonders armutsgefährdet und müssen im schlimmsten Fall in ihren letzten Lebensjahren zurück auf den Arbeitsmarkt. Die Regierung verkauft diese Maßnahme als familienfreundlich, dabei profitiert sie selbst am meisten davon.
Andrea Pető erhielt 2005 das Offizierskreuz des Verdienstordens der Republik Ungarn und 2022 den Menschenrechtspreis der Universität Oslo. Ihr aktuelles Buch "Viktor Orbán's Affairs with Women: The operation and the impact of illiberal gender politics" wurde in der Slowakei gedruckt, weil sich kein ungarischer Verlag getraut hatte.
Oder die niedrigen Zinsen für Kredite für Großfamilien. Sie erhalten staatlich subventionierten Kredite für den Immobilienkauf, nehmen ein Darlehen für 20 bis 30 Jahre auf. Wenn man einen Kredit zurückzahlen muss, hat die Arbeit oberste Priorität, man nimmt nicht an Demonstrationen teil oder engagiert sich in der Opposition. Diese Maßnahme führt auch dazu, Ehen zusammenzuhalten und Scheidungen zu vermeiden. Sonst muss der Kredit zum üblichen Zinsniveau zurückgezahlt werden.
Orbáns Versprechen lautet stets: Ihr braucht euch nicht für Politik zu interessieren, wir kümmern uns um euch. In der krisenhaften Zeit, in der wir leben, klingt das Angebot attraktiv.
Ist das ein ausschließlich ungarisches Phänomen?
Nein, im Gegenteil. Diese Ideen wurden in Russland erprobt, und breiten sich jetzt aus, auf Ungarn, in Polen und in die USA.
Diese Politik basiert auf drei Säulen: Alles dreht sich um eine bestimmte Form von Familie, die unterstützt wird. Alles wird zu einer Frage der Sicherheit gemacht, jede politische Frage wird sofort in Richtung Bedrohung gelenkt – in Ungarn sind das George Soros, die EU und Brüssel, Gender Studies und die Ukrainer. Und: Staatliche Institutionen werden geschwächt, indem ihnen die Finanzierung entzogen wird. Stattdessen werden Parallelinstitutionen aufgebaut, neue Universitäten und Pseudo-NGOs, die von der Regierung finanziert und gelenkt werden. Gerade poppen Frauennetzwerke, die Kindergärten betreiben und Frauen vor Gewalt schützen sollen, nur so aus dem Boden. Sie bekommen Gelder von der EU, delegitimieren professionelle NGOs und die ungarische Regierung kann vorgeben, das Land setze sich für die Gleichstellung von Frauen ein.
Frauen demonstrieren in Budapest gegen die Begnadigung im Kindermissbrauchsskandal im Februar 2024.
In der ungarischen Regierung sitzt aktuell keine Frau – die einzigen zwei mussten in Folge des Kindermissbrauchsskandals vor zwei Jahren gehen. Was sagt das über Orbáns Fidesz-Partei aus?
Das ist genau dieser christliche Konservatismus, den ich meinte: Er basiert auf Loyalität der Frau gegenüber dem Mann und seinem patriarchalen Handeln. Somit war wenig verwunderlich, dass die einzigen beiden Frauen in Orbáns Regierung, die Präsidentin des Landes und die Justizministerin, infolge des Skandals zurückgetreten sind. Das passt zum konservativen Rollenbild, dass es die Frauen sind, die sich um die Schwachen kümmern.
Glauben Sie, dass der aktuell gefährlichste politische Herausforderer für Orbán, Péter Magyar, der ähnlich gesellschaftskonservative Ansichten vertritt, daran etwas ändern wird?
Fidesz inszeniert sich als die Partei der Frauen, und punktet damit auch bei vielen weiblichen Wählern. Die Opposition adressiert Frauen überhaupt nicht. Das war schon in der Vergangenheit ein großer Fehler. Wenn die Opposition nicht in der Lage ist, eine lebenswerte, realisierbare, wünschenswerte Zukunft für diese große Wählergruppe zu formulieren, wird sie die Wahlen nicht gewinnen.
Hinweis: Es gibt in Ungarn keine verlässlichen statistischen Daten dazu, wie viele der rund drei Millionen Stimmen, die 2022 für Fidesz abgegeben wurden, von Frauen stammten.
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