Ausradierte Jahrhunderte: Indien schreibt seine Geschichte um

Der Tadsch Mahal ist der bekannteste Touristenmagnet Indiens, jährlich besuchen bis zu acht Millionen Menschen das Grabmal aus dem 17. Jahrhundert, die große Mehrheit davon Inder. Auch auf den Websites der Tourismusbehörden des Landes ist das Monument prominent platziert.
Indische Kinder sollen in Zukunft aber nicht mehr erfahren, wer es erbaut hat – denn die vom 16. bis 19. Jahrhundert bestehende Herrschaft der muslimischen Moguln wurde aus Geschichte- und Politikbüchern gestrichen. Und das, obwohl die Periode laut Historikern prägend für die indische Kultur, Architektur und Küche war.
Verschwiegenes Pogrom
Kritiker sehen die Änderung als weiteren Versuch der hindu-nationalistischen Regierung, Indien zu einem rein hinduistischen Land zu machen. Denn es fehlen nicht nur die Moguln in den seit April erhältlichen, überarbeiteten Schulbüchern.
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Auch Mahatma Gandhis Überzeugung, dass „jeder Versuch, Indien zu einem Staat nur für Hindus zu machen, Indien zerstören würde“, ist laut Medien nicht mehr auffindbar.
Dass die Freiheitsikone 1948 ermordet wurde, wird den Schülern zwar noch nähergebracht, nicht aber, dass der Täter mit der RSS sympathisierte, einer radikalen Vorfeldorganisation der Regierungspartei BJP.
Auch die Unruhen in Gujarat, bei denen 2002 mehr als 1.000 Musliminnen und Muslime getötet wurden, sucht man in den neuen Büchern vergebens. Der wegen seiner Untätigkeit kritisierte Regierungschef des Bundesstaates war damals Narendra Modi – seit 2014 ist er gesamt-indischer Premier.
Man wolle der Jugend ein positiveres Bild der indischen Geschichte vermitteln, teilte eine BJP-Sprecherin der Deutschen Welle mit.
Internet-Memes
Die Ausradierung des Mogulreichs begründen die Behörden mit einer Senkung der Arbeitsbelastung für Schüler, die im Zuge der Covid-Pandemie beschlossen worden sei.
Lehrer müssten künftig wohl erklären, dass der Tadsch Mahal und etliche weitere Kulturdenkmäler aus dem Nichts erschienen oder von Aliens gebaut wurden, heißt es dazu in Internet-Memes.
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In Indien sind 80 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner Hindus, Muslime sind mit 14 Prozent die größte Minderheit. Seit Jahren werden sie zunehmend marginalisiert: Straßen, die nach Muslimen benannt sind, bekommen ebenso neue Bezeichnungen wie Städte aus der Mogulzeit.
Dazu kommen Gesetzesänderungen wie jene von 2019, die verfolgten Einwohnern Afghanistans, Pakistans oder Bangladeschs den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichterte – außer sie sind Muslime.
"Hindu-Vorherrschaft"
Religiöse Anführer rufen mitunter ungestraft zu Morden auf, selbst Bollywoodfilme bedienen eine hindu-nationalistische Agenda.
Manche Aktivisten sprechen bereits von „Hindu Supremacy“ – in Anlehnung an den vor allem in den USA genutzten Begriff „White Supremacy“ (weiße Vorherrschaft).
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