Doch nach der Pressekonferenz war auch für den Premier das Maß voll. Wie schon im Sommer 2018, damals hatte ihn Matteo Salvini vom Koalitionspartner Lega herausgefordert, ruft er jetzt Renzi zum Duell auf. Einen ziemlich verdatterten Renzi, denn der Florentiner schien sich ziemlich sicher, Conte beugen zu können.
„Aber aufgepasst“, warnt der Politologe Francesco Clementi im Gespräch mit dem KURIER. „Wir sind erst am Anfang. Renzis Pressekonferenz war erst die Ouvertüre, wann und wie alles enden wird, ist weiter schwer zu sagen“. Jetzt heißt es Montag und Dienstag abzuwarten, wenn Conte im Abgeordnetenhaus und im Senat Stellung zur Regierungskrise nehmen und sich dem Vertrauensvotum stellen wird.
Dabei handelt es sich um eine riskante Wette, besonders im Senat, wo schon jetzt die Stimmen für die Regierungskoalition (5 Sterne, Sozialdemokraten PD, Freie und Gleiche LeU, Vereinte Bewegung der Italiener im Ausland und, bis vor Kurzem, Italia Viva) knapp sind. Conte braucht neue Verbündete. Diese sollen im „gruppo misto“, der Fraktion der parteilosen Parlamentarier, die im Laufe der Legislaturperiode z. B. aus der Fünf-Sterne-Bewegung ausgetreten sind, und unter Berlusconis Forza Italia Reihen ausfindig gemacht werden.
Staatsoberhaupt Sergio Mattarella steht einer derartig zusammengewürfelten Regierungsmehrheit skeptisch gegenüber, er will eine stabile Regierungskoalition. Conte scheint ihm das aber versichert zu haben. Sollte es Conte nicht schaffen, genügend Stimmen zu bekommen, gäbe es wohl nur mehr die Option Neuwahlen. Der Vorsitzende der PD, Nicola Zingaretti, hat nach Renzis Bruch nämlich versichert: „Nie wieder mit Italia Viva.“
Die Italiener sind an so manches seitens ihrer Politiker gewöhnt, doch jetzt sind sie sprachlos. Laut Umfrage haben zwei Drittel gar nicht verstanden, worum es bei dieser Krise überhaupt geht (vorgeblich: Verwendung der EU-Hilsgelder). Im dramatischsten Moment, den das Land seit Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, in dem Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger jeden Tag um Menschenleben kämpfen und sich sogar in der Wirtschaftsmetropole Mailand kilometerlange Schlangen vor den Armenküchen bilden, fragen sich die meisten, auf welchem Planeten die Politiker leben.
Andrea Affiticati, Rom
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