Impfweltmeister Israel droht fünfter Lockdown
„Unglaublich, wie ich mich auf die Arbeit gefreut habe“, erzählt Elran im beliebten Hamburger Grill Moses in Tel Aviv, „hoffentlich ist der Lockdown diesmal auch wirklich vorüber“. In den vergangenen Wochen bot Moses wie andere Restaurants Catering und To-go an, was aber in Israel nicht als voller Ersatz gilt. Der Beweis: Allein eine Reservierungs-App hatte am Sonntag 85.000 Online-Anfragen. Doch noch gilt Vorsicht: Trotz winterlicher Temperaturen wollten 60 Prozent einen Platz im Schanigarten, nur 40 Prozent zog es nach innen. Doch damit könnte es bald wieder vorbei sein.
Denn obwohl schon mehr als fünf Millionen Israelis mindestens ein Mal geimpft sind, stieg nach den Lockdown-Lockerungen vor drei Wochen die Reproduktionsrate (wie viele andere Menschen ein Infizierter ansteckt) von 0,76 auf 1. Mitte der Woche wird ein weiterer Sprung nach oben erwartet. Dann zeigen sich die Infektionen aus den Karnevalsfeiern zum Purim-Fest. Und am 23. März sind die Wahlen, dann kommen Ostern und Pessach-Fest, und im April folgt der muslimische Fastenmonat Ramadan – ein Albtraum-Kalender für Epidemiologen.
Israels Premier Benjamin Netanjahu zeigt sich dennoch optimistisch: „Wir eilen auf die Herden-Immunität zu.“ Doch das ist wohl dem Wahlkampf geschuldet, Netanjahus Chef-Corona-Berater Prof. Ran Blitzer ist da viel skeptischer und auf der Bremse: „Uns läuft der Exit zu schnell.
Er sollte in schwer betroffenen Regionen langsamer sein als in den weniger betroffenen.“ Was Blitzer vor allem in den Schulen lieber anders sähe: „Für Schüler und Lehrer sollten weit mehr Testmöglichkeiten bereitstehen.“ Marina Pollak lebt im Süden und ist Mathematiklehrerin: „Ich bin zwei Mal geimpft, habe jetzt aber einen kratzenden Husten. Ich könnte mir Corona eingefangen haben. Was mich nach der Impfung nicht weiter stört, aber verbreite ich das Virus?“
Fußfessel für Einreisende
Auf dem Flughafen ist die Ungewissheit ähnlich. Die Zahl der Einreisenden ist derzeit auf 1.000 beschränkt. Bald sollen es 3.000 sein. Wer einreist, muss nicht mehr in die Quarantäne-Hotels. Doch die alternativen Fußfesseln sind juristisch fragwürdig. Ihre Zahl reicht zudem bei Weitem nicht aus. Auch Überwachungs-Apps stehen zur Verfügung, sind aber unzuverlässig. Blitzer: „Letztlich hängt alles von der Selbstdisziplin ab. Ohne sie werden die Zahlen bald wieder steigen.“
Die Polizei fühlt sich von der Politik in die Enge gedrängt. Alle Vorsorge läuft nur, wenn die Einhaltung kontrolliert wird. „Wir sind aber keine Türsteher“, wehrt Amichai Esched ab, Polizeichef von Tel Aviv. Jeder neuen Lockerungsbestimmung folgen erst einmal Probleme: Statt Straßensperren im Lockdown jetzt Razzien in Cafés? Ohne Impfpass darf keiner an die Tische im Inneren, aber wer kontrolliert das am Eingang? „Uns hat keiner kontrolliert,“ berichtet Ras, der zum ersten Mal nach Monaten wieder in seinem Stammcafé „Jaffa“ am Tisch sitzt. Die Polizei hat keine Lust, die neue Lebensfreude zu stören.
Innerhalb Israels also sind die Probleme in dieser „dritten Lockerungsphase“ nicht voll beseitigt. Außerhalb Israels aber blicken viele neidisch auf das kleine Land. So nimmt die Zahl der Regierungschefs zu, die Israels Impfkampagne aus der Nähe untersuchen. In der Vorwoche waren es Sebastian Kurz und Mette Frederiksen aus Dänemark. Jetzt folgen Viktor Orbán aus Ungarn und aus Tschechien Andrej Babis. Kommende Woche ist der brasilianische Außenminister Ernesto Araujo auf der Liste.
Sehr passende Bilder für den Wahlkampf Netanjahus. Aber was bringt die Impfdiplomatie an der Urne? Die Unlust der Wähler ist unberechenbar. Fast alle Experten sehen als Ergebnis dieser vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren einen baldigen fünften Wahlgang voraus. Und der fünfte Lockdown scheint auch nur noch eine Frage der Zeit.
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