Die Zuchtmeisterin des Kontinents
Die wichtigste Währung in Europa ist Vertrauen", sagte Angela Merkel in den vergangene Wochen beinahe mantraartig. Gemünzt war diese Aussage natürlich auf die Griechen und deren – gelinde gesagt – unorthodoxes Verhalten in den Verhandlungen. Spätestens seit Montag muss der deutschen Kanzlerin jedoch klar sein: Dieser Satz gilt auch für sie selbst.
Seither schlägt ihr und ihrem Finanzminister nämlich massives Misstrauen entgegen: Die von Berlin maßgeblich mitformulierte Einigung stelle Griechenland unter das Kuratel deutscher Wünsche, tönt es nicht nur in Athen, sondern auch in vielen anderen EU-Ländern. Mit der Forderung nach einem "Grexit auf Zeit", mit der Schäuble in der Eurogruppe die Griechen in die Defensive zwang, habe Berlin endgültig eine rote Linie überschritten.
Das Bild des "bösen Deutschen" ist wieder da. Die Kritik verdichtet sich auf Twitter, in den sozialen Medien, in Blogs: Unter dem Hashtag #ThisIsACoup wirft man den Deutschen vor, die Regierung in Athen stürzen zu wollen; unter der Formel #BoycottGermany wird dazu aufgerufen, keine deutschen Waren mehr zu kaufen.
Europas Hegemon
Auch Intellektuelle beteiligen sich wortgewaltig an der Debatte. Nicht nur amerikanische Star-Ökonomen stellen sich auf die Seite Athens, auch der Philosoph Jürgen Habermas wirft Berlin vor, sich zu Europas Hegemon ausgerufen zu haben. "Ich fürchte, die deutsche Regierung, inklusive der Sozialdemokraten, hat in einer Nacht all das politische Kapital verspielt, das ein besseres Deutschland in einem halben Jahrhundert angesammelt hat", schreibt er im britischen Guardian.
Und Merkel? Die musste lange nicht hinhören – denn innerhalb Deutschlands wurde sie zumeist von Kritik verschont. Die meisten Medien goutierten ihren Kurs, die Bild – mediale Speerspitze der Hellas-Kritiker – kampagnisiert bis jetzt gegen die "Pleitegriechen", setzt Merkel eine Pickelhaube auf und nennt sie "eiserne Kanzlerin". Nach der Einigung warf man ihr gar noch fehlende Härte vor.
Vertrauensverlust
Merkel selbst hat auf die Kritik bisher nicht reagiert. Das hat sie auch in der Vergangenheit nicht: Schon 2011 wurden ihr in Athen Hitler-Bärtchen aufgemalt; diesen Zorn überstand sie damals stoisch. Möglich, dass sie dies auch diesmal schafft. Wolfgang Schäubles Warnung, dass ein Scheitern des dritten Hilfspakets für die Griechen sie alle Glaubwürdigkeit kosten werde, soll sie laut Stern mit einem Schulterzucken quittiert haben.
Innenpolitisch steht zudem Schäuble am Pranger – und nicht sie. Vielleicht war das sogar die Absicht. Denn ihr gegenseitiges Vertrauen soll in jüngerer Vergangenheit ja gelitten haben. Und Vertrauen ist für Merkel ja die wichtigste Währung, wie man weiß.
Angela Merkel und die weinende Reem: Die Welle der Kritik, die der Auftritt der deutschen Kanzlerin bei einem Bürgertreffen in Rostock geschlagen hat, ebbt nicht ab – jetzt nutzt die SPD den Mangel an Empathie, den Merkel gegenüber dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen an den Tag gelegt hat.
Die Migrationsbeauftragte der Regierung, SPD-Politikerin Aydan Özoguz, sieht laut Spiegel gute Chancen, dass die 14-Jährige mit ihren zwei Geschwistern und ihren Eltern in Deutschland bleiben darf. "Sie spricht perfekt Deutsch und lebt offenbar schon länger hier. Genau für diese Lebenslagen haben wir gerade das Gesetz geändert, damit hier integrierte Jugendliche eine Perspektive bei uns bekommen."
Reem hatte Merkel in perfektem Deutsch geklagt, dass sie nicht Chancen wie andere Jugendliche habe. Merkel hatte Reem nur auf die juristischen Umstände hingewiesen, die für alle Flüchtlinge gelten würden.
Kommentare