"Politik ist manchmal auch hart"
Ihr klatscht, wenn sie da ist", sagt der Moderator noch schnell. Gerade ist eine schwarze Audi-Kolonne vor den Fenstern der Rostocker Paul-Friedrich-Scheel-Schule vorgefahren. Die Kinder sind unruhig.
"Wie alt ist die Bundeskanzlerin eigentlich?", fragt eine Kinderstimme aufgeregt. Für die Antwort bleibt keine Zeit mehr. Angela Merkel steht bereits zwischen den knapp 30 Jugendlichen.
Es soll eine kleine Verschnaufpause sein. Zwischen dem 17-Stunden-Gipfel in Brüssel und dem morgigen Entscheid im Bundestag ist "Mutti", wie die Medien sie gerne nennen, wieder einmal dort, wo die deutsche Normalität zu Hause ist. Wo nicht über Hilfspakete und verlorene Milliarden geredet wird. Veranstaltungen wie diese sollen die Kanzlerin ein bisschen volksnäher machen, sie wegbringen vom Image der harten Politikerin – denn nur 50 Prozent der Deutschen halten Merkel für bürgernah, hat ihr Team erhoben. Für durchsetzungsfähig halten sie im Gegensatz dazu 78 Prozent. Und immerhin 42 Prozent wünschen sie sich weiterhin als Kanzlerin.
Lindgrün
Damit sich das nicht ändert, will sie zuhören. Merkel will wissen, was die Jugendlichen denken, was ihnen wichtig ist , so der Slogan ihrer PR-Offensive. "Ein großes Thema war, was Sie heute anhaben, Frau Bundeskanzlerin", eröffnet der Moderator, selbst lässig in Jeans und Sneakers gekleidet. "Und, was waren die Voraussagen?" – "Hauptsache irgendwas." Die Kinder lachen. Merkel: "Sehr praktisch." Sie trägt lindgrün.
Wie sie zum Thema Müllvermeidung steht, will einer der 14- bis 17-Jährigen wissen. Ein anderer, wieso Behinderte noch immer benachteiligt werden – schließlich ist man hier an einer Inklusionsschule.
Als Reem an die Reihe kommt, hören schon viele nur mehr mit einem halben Ohr zu. Zu technisch, zu faktenlastig waren die Gespräche zuvor. Heiß ist es außerdem; die Kinder wedeln sich mit ihren Vorbereitungszetteln Luft zu.
"Wir warten auf eine Antwort"
"Ich bin gut integriert", sagt das 14-jährige Mädchen, in perfektem Deutsch, völlig akzentfrei. Sie sei aus dem Libanon , geflohen aus einem der Palästinenser-Lager dort, gemeinsam mit ihrer Familie. Schon vier Jahre sind sie hier. Ob sie bleiben dürfen, wissen sie nicht. "Wir warten auf eine Antwort."
Für andere wäre es vielleicht ein Leichtes gewesen, an dieser Stelle zu Nähe statt Distanz zu zeigen. Aber die Antwort, die Reem von der Kanzlerin bekommt, ist nicht das, was das Mädchen sich erhofft hat. Merkel bleibt bestimmt, verweist auf das beschleunigte Bleiberecht-Verfahren. "Davon kannst Du vielleicht profitieren."
Reem bleibt beharrlich. "Ich hab' ja auch Ziele wie jeder andere. Ich möchte studieren. Es ist unangenehm zuzusehen, wie andere das Leben genießen und man selbst nicht mitgenießen kann."
"Wir können ja nicht sagen: Ihr könnt alle kommen. Es werden manche auch wieder zurückgehen müssen. Politik ist manchmal auch hart."
Reem beginnt zu weinen.
Nicht genug
Nach der Veranstaltung gibt es ein Buffet, die Jugendlichen sitzen in Gruppen, diskutieren lebhaft. Reem hingegen scheint noch immer ein wenig verstört zu sein.
Ein Klassenkollege der 14-Jährigen setzt sich dazu. "Reem darf nicht abgeschoben werden. Sie ist das Gehirn unserer Klasse", sagt der Junge. Die Kleine lächelt.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Kanzlerin nicht mehr da. Sie ist mit der Audi-Kolonne zurück nach Berlin, wo die Bundestags-Debatte über Griechenland wartet. Die Diskussion darüber, ob sie auf Reem nicht viel zu gefühlskalt reagiert hat, hat parallel dazu bereits begonnen. Auf Twitter und Facebook wird gefeixt, was das Zeug hält (siehe unten). "Vielleicht rufen Sie sich das nette Gesicht des Mädchens öfter in Erinnerung" , meinte der Moderator während der Veranstaltung noch.
Merkel und Bürgernähe, das ist noch ein langer Weg.
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