Alles andere als „stabil“ sind hingegen die Regierungspläne. Nach zwei massiven Steuer-Kehrtwenden zog Hunt nun fast alle restlichen Finanzversprechen zurück, etwa die Reduktion des Grundsteuersatzes von 20 auf 19 Prozent, und verkürzte die Laufzeit des Energiepreisdeckels von zwei Jahren auf sechs Monate. Damit bleibt fast nichts von den wirtschaftspolitischen Visionen der 47-jährigen Truss, die gerade erst seit sechs Wochen im Amt ist, übrig.
Eine BBC-Reporterin sprach am Montag von der „Beerdigung von Trussonomics“. Ein Kollege erklärte: „Ihr Regierungsprogramm ist tot“. Der angesehene Tory-Mandatar Robert Halfon hatte davor einen „dramatischen Neustart“ und eine Entschuldigung von Truss verlangt. Ihre Regierung habe wie „libertäre Dschihadisten“ agiert, die das Land wie „Labormäuse“ behandelt hätten.
Hunts Stabilitäts-Eid wurde da auch als Appell an die eigene Partei gesehen, Truss noch eine letzte Chance zu geben, zumindest bis 31. Oktober, wenn der Finanzminister ein volles Budget, samt Ausgabenkürzungen, vorstellen soll. Aber immer häufiger beschreiben Beobachter die Premierministerin als „in office, but not in power“, also: „im Amt, aber nicht an der Macht“. Und viele im politischen London diskutieren nicht mehr, ob oder wie Truss noch politisch überleben kann, sondern nur noch, wie lange.
Ex-Finanzminister George Osborne meinte etwa, am wahrscheinlichsten sei es, dass sie noch „vor Weihnachten fällt„. Damit würde sie einen neuen Rekord für die kürzeste Amtszeit als Premier aufstellen, die bisher der Tory George Canning hält; er starb 1827 nach nur 119 Tagen als Regierungschef. „Wenn sie ihr Amt am 4. Januar verlässt, hat sie 120 Tage hinter sich“, ließ das Nachrichtenportal Politico seine Leser da wissen. Drei Abgeordnete ihrer konservativen Tory-Partei hatten Truss noch am Sonntag öffentlich zum Rücktritt aufgefordert. „Ich denke, das Spiel ist aus“, meinte etwa der Mandatar Crispin Blunt. Manche in den eigenen Reihen wollen sie sogar noch diese Woche dazu zwingen, das Handtuch zu werfen. Mehr als 100 Tory-Abgeordnete sind laut Daily Mail schon bereit, den Chef des für Misstrauensvoten zuständigen 1922-Fraktionskomitees aufzufordern, der Regierungschefin auszurichten, dass „ihre Zeit abgelaufen ist“.
Wenn Truss sich weigert, abzutreten, müsste das Komitee, das für Mittwoch eine Sitzung plant, die derzeitigen Regeln ändern; danach sind Tory-Premiers im ersten Amtsjahr vor einem Misstrauensvotum sicher. Manche Medien sprachen deshalb von einer möglichen Fraktions-Abstimmung über Truss in dieser Woche. Andere betonten aber, dass Vertreter des Komitees die Regeln nur ändern wollen, wenn das 60-70 Prozent der Fraktion fordern. Was der schwer angeschlagenen Truss ebenfalls hilft, ist dass ihre Absetzung bald nach ihrer Ablösung von Boris Johnson wohl die Rufe nach Neuwahlen lauter werden lassen würde, die Tories aber in Umfragen um bis zu 34 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour Partei zurückliegen.
"Politischer Selbstmord"
Der Ex-Chef des 1922-Komitees Charles Walker betonte aber, Neuwahlen seien unwahrscheinlich, denn Sie wären derzeit „politischer Selbstmord“ für die Tories. Weil laut einer Umfrage von People Polling nur neun Prozent der Briten eine positive Meinung von Truss haben, setzen viele auf eine Konsensfigur, die die Partei und ihre Wähler wieder eint, als ihr Nachfolger.
Mit einem einzigen Nachfolge-Kandidaten könnte außerdem ein langwieriger Prozess wie im Sommer, als Parteimitglieder in einer altmodischen Stichwahl zwischen den zwei Top-Bewerbern der Tory-Fraktion entscheiden mussten, verhindert werden. Bisher scheinen sich die Tories aber laut Experten noch nicht einig, wer dieser Retter in der Not sein kann und soll. Ex-Finanzminister Rishi Sunak führte am Montag zumindest die Wettquoten an.
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