Putins Einflüsterer

Wladimir Putin
Der Präsident und ein kleiner Freundeskreis lenken das Land. Der Mächtigste neben Putin: Igor Setschin.

Die junge Dolmetscherin war sichtlich nervös, als Igor Setschin, Chef des staatlichen Ölförderers Rosneft, vor laufender Kamera des russischen Staatsfernsehens Höflichkeiten mit seinen brasilianischen Gastgebern austauschte. Denn einst war Setschin selbst Portugiesisch-Dolmetscher. Ende der Achtziger in Diensten eines sowjetischen Außenhandelsunternehmens in Mosambik und Angola, soll er schon damals auch auf der Pay roll des KGB gestanden sein.

Das war, als Setschin in die St. Petersburger Stadtverwaltung wechselte, eine gute Empfehlung für Vizebürgermeister Wladimir Putin. Kaum hatte Boris Jelzin Putin zu Silvester 1999 Kremlschlüssel und Atomkoffer übergeben, erhöhte dieser Setschin, damals 39, zum Leiter seines persönlichen Büros.

Aufstieg zur Macht

Das Amt bringt dem Inhaber automatisch den Rang eines Vizechefs der Präsidialverwaltung und eine ungeheure Machtfülle ein. Der Büroleiter macht die Termine des Präsidenten, entscheidet, welche Vorlagen ihm persönlich zur Unterschrift vorgelegt werden, macht den Pressespiegel, aus dem der Kremlherrscher sich über die Stimmung im Land informiert.

Putins Einflüsterer
Russian President Vladimir Putin (L) talks to Rosneft President and Chairman of the Management Board Igor Sechin during a signing ceremony, attended by Venezuelan President Nicolas Maduro (not pictured), at the Kremlin in Moscow, July 2, 2013. REUTERS/Maxim Shemetov (RUSSIA - Tags: POLITICS ENERGY BUSINESS)
Im Zweitjob durfte Setschin ab 2004 als Aufsichtsratsvorsitzender von Rosneft Kasse machen. Als Dmitri Medwedew während seines Gastspiels im Kreml 2011 Staatsdienern den Controller-Nebenjob untersagte, setzte Putin Setschins Ernennung zum Vorstandschef von Rosneft durch. In dieser Eigenschaft drückte Setschin den Startknopf, als im Herbst 2014 das erste Ölfeld im Eismeer den Betrieb aufnahm. Putin war per Videokonferenz zugeschaltet.

Politbüro 2.0

Vizepremier Dmitri Kosak, der die Vorbereitung der Olympischen Winterspiele koordinierte, durfte sogar den Startknopf beim Formel-1-Rennen in Sotschi betätigen. Er, Setschin und knapp zwei Dutzend andere vertreten die Interessen der wichtigsten Clans der Eliten in einem von Putin moderierten informellen Netzwerk. "Politbüro 2.0" nennen kritische Beobachter das Gremium, in dem, vorbei an Verfassung und Parlament, Kreml-Administration und Regierung, sämtliche Grundsatzentscheidungen zu Politik und Wirtschaft fallen. Doch das Original, das Politbüro, war wenigstens notdürftig durch die in der sowjetischen Verfassung festgeschriebene führende Rolle der Kommunistischen Partei und durch innerparteiliche Wahlen legitimiert, so undemokratisch sie auch waren.

Der Freundeskreis Putin dagegen hat so wenig ein Mandat wie die "Familie", mit der Boris Jelzin alle Schlüsselstellen besetzt hatte. Putin ersetzte sie gleich nach seiner Wiederwahl 2004, als die mit seinem Amtsvorgänger vereinbarte Zeit für die Altlasten ablief, durch Männer, deren Loyalität er häufig schon in gemeinsamen KGB-Tagen erprobt hatte. Und er verpflichtete sie sich neu durch lukrative Posten in den Aufsichtsräten von Staatskonzernen. Allein Ex-Dolmetscher Setschin soll dadurch 7,3 Mrd. US-Dollar angehäuft haben.

Gleichzeitig schwächte Putin per Verfassungsreform den Einfluss der Regionen: Ein Teil der Provinzfürsten hatte 1999 beim Gerangel um die Jelzin-Nachfolge versucht, Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow auf den Chefsessel im Kreml zu hieven. Statt direkt gewählt, wurden sie von 2005 bis 2011 vom Kreml ernannt. Putins Amigos mischten mit und hatten dabei nicht immer ein glückliches Händchen.

Dem Politbüro 2.0 lastet Politikwissenschaftler Jewgeni Mintschenko auch die Hauptschuld dafür an, dass Putins wichtigster Deal mit dem Westen – Modernisierung der russischen Wirtschaft gegen Energiesicherheit – scheiterte. Er und sein Freundeskreis hätten die Rolle demokratischer Institutionen im Westen fatal unterschätzt. Unterschiedliche Werteordnungen und die Intransparenz der Entscheidungsprozesse hätten die Kluft zu Europa und den USA weiter vertieft.

"Loyalitätszone"

Putin habe versucht, den Verlust durch "Schaffung einer Loyalitätszone" im postsowjetischen Raum zu kompensieren. Durch den prowestlichen Machtwechsel in Kiew sei das Projekt jedoch faktisch gescheitert. Putin, glaubt Mintschenko, habe offenbar damit gerechnet und, weil die Entwicklungen in der Ukraine auch die Eliten in Russland spalten könnten, früh begonnen, "externe Einflüsse" auf das Politbüro 2.0 zu minimieren. Hohen Beamten sind Konten und Immobilien im Ausland und eine zweite Staatsbürgerschaft untersagt, teilweise sogar Auslandsreisen.

Gleichzeitig formatierte Putin das Gremium nach seiner Rückkehr in den Kreml 2012 neu. Bekriegten einander zuvor Nationalkonservative mit KGB-Hintergrund wie Setschin und angepasste Liberale wie Medwedew, rangeln jetzt nach Branchen strukturierte Sektoren um Macht und Pfründe. Dadurch, so glaubt Politologe Mintschenko, sinke die Putschgefahr, die Putin vor allem bei der Geheimdienst- und Armeefraktion verortet. Ängste, dass dieser Flügel sich konsolidiert, plagten wohl schon seinen Vorgänger. Innen- und Verteidigungsministerium sowie die Geheimdienste sind daher dem Kremlchef direkt unterstellt. Putin schürt deren Kompetenzgerangel und spielt sie und ihre Institutionen gegeneinander und gegen die Liberalen aus.

Die Umlaufbahnen, auf denen die Planeten um das Zentralgestirn kreisen, sind daher höchst instabil. Neben Setschin, dem Oligarchen Gennadi Timtschenko und dem Bankier Juri Kowaltschuk, deren Einfluss als stabil gilt, sind derzeit die drei Sergei der Sonne am nächsten: Tschemesow, der Vorstand der Staatsholding Rostechnologii, Verteidigungsminister Schoygu und der Chef der Kreml-Administration Iwanow. Der Stern Premier Medwedews dagegen ist längst gesunken. Die Sanktionen haben, anders als der Westen hoffte, das Politbüro 2.0 um Putin zusammengeschweißt. Es könnte aber auch die Ruhe vor dem Sturm sein.

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