"Schlimmstes Jahr für Menschenrechte"

Protest gegen Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB in Moskau: Aktivisten fordern die Freilassung politischer Gefangener.
Laut Human Rights Watch verletzt der Staat die Menschenrechte so stark wie nie seit Sowjetzeiten.

2012 sei das schlimmste Jahr für die Zivilgesellschaft seit dem Ende der Sowjetunion 1991 gewesen, heißt es im Jahresreport der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Bemängelt werden in dem Papier vor allem die antidemokratischen Gesetze, die die Duma beschloss, gleich nachdem Wladimir Putin im Mai für eine dritte Amtszeit in den Kreml zurückkehrte. Damit wurden nichtstaatliche Organisationen, die mit westlichen Fördergeldern arbeiten, zu ausländischen Agenten erklärt. Sie müssen sich rigiden Kontrollen unterziehen.

Noch härtere Auflagen gelten für westliche Regierungsagenturen und politische Stiftungen. So musste im Herbst die US-Regierungsagentur für Entwicklungshilfe USAid, die zahlreiche Projekte mitfinanziert hatte, ihre Arbeit einstellen. Begründung: Sie habe sich in die Innenpolitik eingemischt. Das gleiche Schicksal ereilte das National Democratic Institute und das International Republican Institute. Beide evakuierten ihre russischen Mitarbeiter und deren Familien dieser Tage nach Litauen. Zuvor hatten Fahnder von Inlandsgeheimdienst FSB gegen sie Ermittlungen wegen Landesverrats aufgenommen. Darauf stehen inzwischen bis zu 20 Jahre Haft. Die Duma hatte den Tatbestand erheblich verschärft – böser Wille vorausgesetzt, fallen darunter jetzt beliebige Kontakte der russischen Zivilgesellschaft zu westlichen Geldgebern, wie der HRW-Report rügte. In Vorbereitung ist zudem ein Gesetz, das die Propagierung gleichgeschlechtlicher Kontakte mit Pädophilie in einen Topf wirft und strafrechtlich ahndet, sowie eines zum Schutz religiöser Gefühle. Anlass war das Anti-Putin-Gebet der Punk-Gruppe Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche. Zwei der Akteure kassierten jeweils zwei Jahre Haft.

30er-Jahre-Rhetorik

Damit, so der HRW-Report, hätten sich die Machthaber die Möglichkeit geschaffen, die Zivilgesellschaft für jede Form von Kritik und Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsgruppen zu bestrafen. Immer häufiger, so Anna Sewortjan, die Leiterin der russischen Sektion von HRW, würde der Kreml sich dabei der gleichen Rhetorik bedienen wie in den Dreißigerjahren. Stalin hatte ab 1937 begonnen, Millionen wirklicher und vermeintlicher Regimegegner zu exekutieren oder in Straflagern einzulochen.

Harsche Kritik übte sie auch am Internationalen Olympischen Komitee IOC: Die Herren der Ringe würden alle Mitteilungen zu Menschenrechtsverletzung in der Region Krasnodar – zu der gehört auch Sotschi, wo im Februar 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden – ignorieren. Gemeint waren Massenumsiedlungen für den Bau von Hotels und Wettkampfstätten. Die Betroffenen wurden oft schäbig abgefunden.

„Dies war das schlimmste Jahr für Menschenrechte in Russland in jüngster Zeit“, sagte HRW-Experte Hugh Williamson. Die Autoren des Reports möchten sich bitte sehr an die eigene Nase fassen, rügte Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch das Papier. Um die Lage der Menschenrechte sei es in Russland weit weniger dramatisch bestellt, als der Report behauptet. Russische Bürgerrechtler – darunter Schwergewichte der Branche wie „Memorial“ und die Moskauer Helsinki-Gruppe – sehen das anders und wissen neben HRW auch Reporter ohne Grenzen (ROG) hinter sich. In deren Ranking der Pressefreiheit rutsche Russland um sechs Plätze auf Rang 148 ab. „Russland“, heißt es dort, „war 2012 tonangebend bei der Verschärfung der Einschränkungen im postsowjetischen Raum“. Die meisten anderen UdSSR-Spaltprodukte kommen ähnlich schlecht weg. Kasachstan landete auf Rang 160, Turkmenistan auf Platz 177. Danach kommen nur noch Nordkorea und Eritrea.

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