Hongkong-Brand: Die erschütternde Geschichte hinter dem viralen Foto
Er hebt die Arme, schreit - und kann doch nichts tun gegen das Inferno, das sich vor seinen Augen entfaltet. Das Foto des verzweifelten Mannes, das Reuters-Fotograf Tyrone Siu am Tag der Brandkatastrophe von Hongkong aufnahm, ging um die Welt. Es dürfte in die engere Auswahl für die diesjährigen World Press Photo Awards kommen.
Eine Woche später ist das Feuer gelöscht, die Stadt trauert - und noch immer steigen die Todeszahlen. Stand Mittwoch hat der vor einer Woche ausgebrochene Großbrand im Wohnkomplex Wang Fuk Court im Nordosten der Millionenstadt Hongkong 159 Menschenleben gefordert, 30 Personen gelten weiter als vermisst. Damit ist es die größte Brandkatastrophe seit mehr als 70 Jahren.
Herr Wong vor seinem brennenden Wohnhaus in Hongkong.
Inzwischen ist bekannt, wer der Mann auf dem Foto ist: Ein 71-jähriger Pensionist, der sich nur als "Herr Wong" vorstellte, wie Reuters berichtet. Wong bewohnte gemeinsam mit seiner Frau eine Wohnung im 18. Stock des Wang Fuk Court. Weil ihr Sohn immer lange im Büro bleiben musste, wechselten sich die beiden täglich dabei ab, ihre Enkelin von der Schule abzuholen.
An jenem schicksalhaften 26. November war Herr Wong an der Reihe.
Herr Wong vor seinem brennenden Wohnhaus in Hongkong.
Meine Frau ist da drin!
Er befand sich gerade gemeinsam mit der Enkelin auf dem Rückweg, als er auf seinem Handy über das Feuer benachrichtigt wurde. Um die Kleine zu schützen, ließ er sie unterwegs in einer Polizeistation zurück - und rannte so schnell es ging nach Hause. Unterwegs erhielt er einen Anruf von seiner Frau. Einer dauerte etwa eine Minute. Danach erreichte er sie nicht mehr.
Herr Wong vor seinem brennenden Wohnhaus in Hongkong.
Etwa eine Stunde nach Ausbruch des Feuers erreichte Wong den Wang Fuk Court. Zu diesem Zeitpunkt standen bereits alle drei der Wohntürme in Flammen. Die Polizei hatte den Komplex längst großräumig abgesperrt. "Meine Frau ist da drin!", schrie Wong immer wieder und zeigte auf den mittleren Turm. Zu diesem Zeitpunkt wusste er, das keine Hoffnung mehr bestand.
Reuters-Fotograf Tyrone Siu gab an, er habe Wong am Straßenrand gesehen, wie er gegenüber Rettungskräften und Fotografen wild gestikuliert habe. Dann sei er zusammengebrochen. Bis spät in die Nacht habe Wong am Rande des Feuers ausgeharrt. "Dieses Bild sagt alles auf einmal", so Siu. "Egal, woher man auf der Wellt kommt, man kann nachempfinden, was Herr Wong fühlt: Die Hilflosigkeit und den Schmerz."
Herr Wong vor seinem brennenden Wohnhaus in Hongkong.
Bis heute zählt Wongs Frau zu den 30 Vermissten. Fotograf Siu steht weiterhin mit der Familie in Kontakt, Hoffnung auf das Überleben der Dame hat inzwischen niemand mehr. "Am ersten Tag konnte mein Vater das Geschehene natürlich nicht fassen", sagte Wongs Sohn später. Noch am Abend war er gemeinsam mit seiner Tochter - Wongs Enkelin - dazugestoßen, um den Vater abzuholen. Doch Wong wollte nicht gehen.
Herr Wong vor seinem brennenden Wohnhaus in Hongkong.
Wong war vor seiner Pensionierung als Elektriker und Klempner tätig. Immer wieder habe er sich in den Wochen zuvor Sorgen um die Sicherheitsrisiken bei der Renovierung des Wohnhauses gemacht, wie sein Sohn erzählte. Wong habe Styroporplatten vor seinem Fenster eigenhändig entfernt und durch feuerhemmende Kunststoffolie ersetzt. Auf das grüne Nylon-Netz, mit dem das Bambusgerüst umwickelt war, habe er immer wieder Wasser geschüttet, um es feucht zu halten.
"Obwohl er die Risiken kannte, konnte er das Unglück nicht verhindern", so Wongs Sohn weiter. Die Hongkonger Behörden machten ausgerechnet Styroporplatten und das trockene Bambusgerüst als Brandbeschleuniger aus. Es ist wahrscheinlich, dass die traditionelle Kunst des Bambusgerüstbaus schon bald verboten wird.
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