Sowohl Petro als auch Hernández kündigen Friedensverhandlungen mit der immer noch aktiven ELN-Guerilla an, wollen eine Umweltpolitik ohne Fracking zur Erdölgewinnung und ohne Glyphosateinsatz gegen den Drogenanbau, akzeptieren die keineswegs unumstrittene Liberalisierung des Abtreibungsrechts und wollen die diplomatischen Beziehungen zu Venezuela wieder aufnehmen. Nun geht es darum, wem das kolumbianische Wahlvolk eher zutraut, das auch wirklich umzusetzen.
Für Gustavo Petro, der Wahlsieger nach dem ersten Durchgang (40 %) war und lange als Favorit galt, gab es in den letzten Wochen böse Rückschläge. Die prominente Parteifreundin Piedad Córdoba wurde in Honduras mit 68.000 US-Dollar im Handgepäck erwischt – undeklariert.
Videos von strategischen Wahlkampfsitzungen des Petro-Lagers zeigten, wie seine Mitstreiter versuchten, Rivalen mit schmutzigen Tricks zu diskreditieren. Und es gibt Vorwürfe, dass Menschen aus dem Umfeld von Petros Wahlbündnis „Pacto Histórico“ mit inhaftierten Drogenbossen über deren Nichtauslieferung an die USA verhandelten, sollten sie das Land regieren.
Korruptionsvorwürfe gegen "kolumbianischen Trump"
Doch auch das Saubermann-Image von Rodolfo Hernández bröckelt zusehends. Seine Kernbotschaft lautet: Korruptionsbekämpfung. Der Multimillionär will sein Präsidentengehalt für Universitätsstipendien stiften und die „korrupten Köpfe aus einem eigentlich funktionierenden System“ entfernen.
Doch gegen den ehemaligen Bürgermeister von Bucaramanga wird selbst wegen Korruption ermittelt, außerdem soll er Off-Shore-Firmen besitzen. Es gibt Videos von ihm, die zeigen, wie er einen Stadtabgeordneten ohrfeigt.
Obendrein beleidigte Rodolfo Hernández im strenggläubigen Kolumbien in einem Interview die Jungfrau Maria, worauf einige Katholiken forderten, ihn zu exkommunizieren.
Die letzten Umfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Ein Ergebnis wird erst spät in der Nacht auf Montag (europäischer Zeit) erwartet. Ein hauchdünnes Resultat könnte das Land lähmen, denn insbesondere das Petro-Lager schürte zuletzt Misstrauen gegen das kolumbianische Wahlsystem.
Selbst die Töchter werden thematisiert
Inzwischen werden auch die Töchter der Kandidaten mit ins Wahlkampfgeschehen hineingezogen. Hernández brach während eines CNN-Interviews in Tränen aus, als er zur Entführung und mutmaßlichen Ermordung seiner seit 2004 vermissten Adoptiv-Tochter Juliana befragt wurde. Er werde alles tun, damit in Kolumbien der Frieden regiere, versicherte der Kandidat sichtlich bewegt.
Die Familie Hernández macht die im Land immer noch aktive ELN-Guerilla für die Tat verantwortlich, die allerdings wies in einer Stellungnahme jede Mitverantwortung von sich. Kritiker werfen Hernández vor, für den Tod seiner Tochter mitverantwortlich zu sein, weil er kein Lösegeld gezahlt habe.
Auch Petros Tochter Sofia geriet inzwischen ins Wahlkampfscharmützel. Sie deutete in einem Interview an, würde Hernández anstatt ihres Vaters gewinnen, könnte es in Kolumbien noch größere Sozialproteste geben als in den letzten Jahren. Das legten die Petro-Kritiker als Drohung aus, sie wollen eine Wahlniederlage ihres Vaters nicht akzeptieren und stattdessen auf gewalttätige Ausschreitungen setzen.
All das verdeutlicht: Die Nerven in Kolumbien liegen blank, wer auch immer als Sieger durchs Ziel geht, wird es schwer haben, das Vertrauen des anderen Lagers zu gewinnen. Oder wie es der Politik-Analyst Daniel Briceno ausdrückt: „Wir haben ein Land, das gespalten ist und weiterhin gespalten bleiben wird.“
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