"Historische Einigung" im Atomstreit mit dem Iran

Letztlich schafften es die Chefdiplomaten in Lausanne doch noch, einen Atomdeal mit dem Iran zu schmieden – nach zwölf langen Jahren.
Teheran lenkte ein, dafür fallen die Sanktionen, Obama sprach von einem "historischen Schritt".

Die Erleichterung nach den zermürbenden Marathon-Verhandlungen war allen Beteiligten anzusehen. US-Außenminister John Kerry, der mit seinem iranischen Kollegen Jawad Sarif in der Nacht auf Donnerstag neun Stunden gerungen hatte, twitterte nach dem Durchbruch in Lausanne: „Ein großer Tag“. Zugleich bedankte er sich bei den Ländern, die am Zustandekommen der Übereinkunft mitgeholfen hatten – darunter auch bei Österreich, wo ebenfalls Gesprächsrunden stattgefunden hatten. US-Präsident Barack Obama sprach von einer „historischen Einigung“. Es handle sich um einen guten Deal, „der unsere Kernziele erfüllt“.

"Historische Einigung" im Atomstreit mit dem Iran
Bis zuletzt war der Kompromiss aber an der Kippe gestanden. Denn eigentlich hatten sich die Chefdiplomaten der USA, Großbritanniens (Philip Hammond), Frankreichs (Laurent Fabius), Russlands (Sergej Lawrow), Chinas (Wang Yi) sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der iranische Außenminister die Deadline für Dienstag 24 Uhr gesetzt. Doch die Frist verstrich, ohne Unterlass wurde weiter gerungen – bis Donnerstag Abend der Deal präsentiert werden konnte, der ein zwölfjähriges Tauziehen beendet.

Kern der Auseinandersetzung war, dass der Westen Teheran verdächtigte, die Atombombe bauen zu wollen; der Iran dementierte das aber stets und pochte auf das Recht der zivilen Nutzung der Kernenergie.

Das sind die Eckpunkte des Deals

- Zentrifugen Teheran reduziert deren Zahl von derzeit rund 19.000 um zwei Drittel auf 6000. Mit den Zentrifugen kann Uran angereichert werden, das auch zur Herstellung nuklearen Sprengstoffs verwendet werden kann. Das muss in den kommenden zehn Jahre passieren.
UrananreicherungDie Anreicherung soll nur mehr bis zu knapp vier Prozent erfolgen, zuvor hatte der Iran bis zu 20-prozentig angereichertes Uran hergestellt. 15 Jahre lang soll diese neue Obergrenze gelten, mit der verhindert wird, dass atombombentaugliches Uran produziert wird. Zudem sollen 95 Prozent des bisher angereicherten Urans verdünnt oder außer Landes gebracht werden.

- Überwachung Sämtliche nuklearen Aktivitäten des Mullah-Regimes sollen bis zu einem Viertel Jahrhundert lang durch unterschiedliche Instrumente der Internationalen Atomenergiebehörde mit Sitz in Wien durchleuchtet werden.

- Sanktionen Die Strafmaßnahmen der USA und der EU (Öl- und Gas-Import-Verbot, Banken-Restriktionen etc.) fallen. Sollte sich Teheran aber nicht an die Abmachungen halten, treten die Sanktionen umgehend wieder in Kraft. Obama gestern dazu: §Wenn der Iran betrügt, wird die Welt es wissen.“

- Finalisierung Die technischen Details für das komplizierte Abkommen sollen bis Ende Juni endgültig vereinbart werden.
Möglich wurde der Pakt von Lausanne einerseits durch den Amtsantritt des gemäßigten iranischen Präsidenten Hassan Rohani. Andererseits durch die Hartnäckigkeit von US-Präsident Obama, der sich vehement für diese Übereinkunft eingesetzt hat – wohl auch deswegen, um einen großen außenpolitischen Erfolg in den Geschichtsbüchern vermerkt zu bekommen.

Ganz und gar nicht begeistert von dem Ende der Isolierung des Iran sind Israel und Saudi-Arabien. Premier Benjamin Netanyahu hatte immer gegen einen Deal gewettert und zuletzt auch vor dem US-Kongress dagegen lobbyiert. Und die Saudis fürchten jetzt ein weiteres Erstarken des Erzrivalen in der Region.

Unmittelbar nach der Präsentation der Einigung im Atomstreit mit dem Iran kamen aus vielen Ecken der Welt Stellungnahmen. Die meisten waren positiv und hoffnungsvoll, Israel reagierte skeptisch, kritisch bis zynisch. „Das radikalste Terror-Regime der Welt bekommt ein offizielles Koscher-Zertifikat für sein illegales Atomprogramm“, twitterte etwa Wirtschaftsminister Naftali Bennett. Gesundheitsminister Yuval Steinitz drohte sogar indirekt mit einem Militärschlag gegen Teheran. Man würde nicht zulassen, das der Iran eine Atommacht werde, „alle Optionen sind auf dem Tisch“.

Der Jüdische Weltkongress meinte in einer Aussendung: Man befürchte ein Szenario, bei dem wir in zehn Jahren die Wirtschaft des Iran wiederbelebt haben ohne die Entwicklung einer nuklearen Bewaffnung zu drosseln“.

Ganz anders Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Sie sprach von einem „wichtigen Schritt, damit sind wir einer Vereinbarung, die dem Iran den Besitz von Atomwaffen unmöglich macht, so nahe wie nie“.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon begrüßte den Kompromiss ausdrücklich. Auch der Europarat zeigte sich erfreut: Eine Lösung des Konflikts sei von entscheidender Bedeutung für den Weltfrieden und die Stabilität – auch in der Region.

Für Österreich meldete sich das Staatsoberhaupt zu Wort: Mit der Vereinbarung sei „eine Basis geschaffen worden, von der aus in den nächsten Monaten ein Paket geschnürt werden kann und soll, das dem Iran das Recht zur zivilen Nutzung der Atomtechnologie sichert und gleichzeitig der internationalen Staatengemeinschaft die Gewähr bringt, dass dieses Recht friedlichen Zwecken dient und nicht für den Bau von Nuklearwaffen missbraucht werden kann“, so Heinz Fischer.

Der Iran ist moderner als die meisten Europäer denken. Die Islamische Republik mit ihren 78 Millionen Einwohnern ist zudem jung. Zwei von drei Persern sind jünger als 25 Jahre. Viele der jungen Menschen sind gut ausgebildet.

Die Erbfeindschaft mit Israel, die in den Reden der Politiker thematisiert wird, spielt in Wirklichkeit im Leben der Perser keine gewichtige Rolle. Vielmehr gilt ein erheblicher Teil der Bevölkerung durchaus als prowestlich. Die Sanktionen - vor allem das Ölembargo der EU 2012 - hat das Land hart getroffen. Die Einnahmen von 118 Milliarden Dollar fielen zwischenzeitlich auf knapp 42 Milliarden Dollar (38,7 Milliarden Euro). Die Inflation erreichte vorübergehend mehr als 40 Prozent.

Hier ein Überblick der zwölf wichtigsten direkten Auswirkungen, die es durch ein Rahmen-Abkommen im Atomstreit gibt:

1. Hardliner im US-Kongress und im Majles (iranisches Parlament): Ein Deal müsste im eigenen Land, also im Iran und in den USA von den Regierungen "verkauft" werden. Die Hardliner in beiden Ländern stehen einem solchen mehr als skeptisch gegenüber. Eine große Diskussion bis hin zu Drohungen, den Deal zu torpedieren, ist zu erwarten.

2. Israel: Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wird alles unternehmen, um den Deal mit den Hardlinern in Washington und in verbündeten Staaten wie Saudi-Arabien und Frankreich zu konterkarieren.

3. Ölexporte: Der Iran würde wieder direkten Zugang zum Ölmarkt erlangen. Dadurch dürfte sich das Überangebot auf dem Weltmarkt weiter erhöhen. Das Öl- und Gasembargo der EU ist einer der großen Sanktionsbrocken, deren Aufhebung die Achillesferse der iranischen Wirtschaft, den Ölexport, wieder aufatmen lassen würde.

4. Diplomatische Beziehungen: Ein historischer Deal bedeutet auch automatisch eine Verbesserung der Beziehungen des Iran zum Westen. Der westliche Kuschelkurs des als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rohani würde Teheran endgültig aus der diplomatischen Isolation katapultieren.

5. USA: Eine weitere Annäherung an die USA, mit der die Islamische Republik seit 35 Jahren keine diplomatischen Beziehungen pflegt, ist dann greifbar nahe, auch eine Wiedereröffnung der Botschaften ist möglich.

6. Großbritannien: Seit 2011 gab es zwischen Teheran und London Verstimmungen. Die Situation eskalierte, als die Briten als erste die iranische Zentralbank sanktionierten, worauf iranische Basij-Milizen die britische Botschaft in Teheran attackierten. Seit Rohanis Amtsantritt versuchen beide Seiten, die Wogen zu glätten. Hier sollen bereits heuer wieder Vertretungen öffnen und Botschafter entsandt werden.

7. Österreich: Auch für Österreich hätte ein Deal direkte Auswirkungen. Firmen könnten wieder Geschäfte im Iran machen. Bundespräsident Heinz Fischer will mit einer großen Wirtschaftsdelegation als erstes EU-Staatsoberhaupt seit 2005 den Iran besuchen und die bilateralen Beziehungen forcieren. Der Besuch wurde seit 2013 mehrfach verschoben und soll nun nach positivem Abschluss der Atomverhandlungen stattfinden.

8. Iranischer Alltag: Für den Iran würde ein Ende der Sanktionen auch eine Verbesserung des sanktionsgebeutelten Alltags der Perser bedeuten. Die Mehrheit der Bevölkerung, die westlich orientiert ist, wünscht sich zudem echte Markenartikel aus dem Westen statt als minderwertig geltende Billigprodukte aus China. Derzeit fungieren Dubai und die Türkei als Schlupflöcher, um sanktionierte Güter in den Iran zu transportieren.

9. Saudi-Arabien: Ein Deal hätte auch weitreichende Auswirkungen auf die Rivalität zwischen Riad und Teheran. Dieser Matchball würde Teheran zufallen und somit zu einem weiteren Schritt in Richtung Vorherrschaft in der Region verhelfen. Das sunnitische Königshaus in Saudi-Arabien müsste den sich immer weiter ausbreitenden schiitischen Halbmond unter der Federführung des Iran fürchten. Eine Annäherung Teherans an Washington stützt diese Furcht, die dazu geführt hat, dass Saudi-Arabien mittlerweile zum größten Waffenimporteur der Welt aufgestiegen ist und nun auch militärisch gegen die schiitischen Houthi-Rebellen im Jemen eingegriffen hat.

10. Region Naher und Mittlerer Osten: Der Iran hat in Syrien, im Irak, im Libanon, im Jemen und in Bahrain seine Fühler ausgestreckt. Die Schiiten in der Region würden einen deutlichen Auftrieb erhalten. Der Iran könnte dann noch weiter seine Beziehungen zum Oman und zur Türkei ausbauen, was einen weiteren Machtverlust für die sunnitischen Golfmonarchien am Persischen Golf bedeuten würde.

11. Rohani und iranische Innenpolitik: Durch einen Deal würde Rohani weitere Unterstützung von Irans Oberstem Führer, Ayatollah Ali Khamenei, erhalten. Das würde auch die Position der moderaten Kräfte für die Parlaments- und Expertenratswahlen im Jahr 2016 deutlich stärken und wäre ein herber Rückschlag für die Hardliner.

12. Rafsanjani und Khamenei-Nachfolge: Durch einen Deal würde die Nachfolgedebatte rund um Khamenei das Lager des einflussreichen Ex-Präsidenten Akbar Hashemi-Rafsanjani stärken.

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