Europas Linke in der Krise
Frankreich: Totalabsturz nach Höhenflug
Der Absturz ist so gewaltig wie der vormalige Höhenflug. Frankreichs SP stellte fünf Jahre lang den Staatschef, die Regierung und die absolute Mehrheit im Parlament. Bis 2014 leitete sie auch das Oberhaus, bis 2015 die meisten Regionen und Gemeinden.
Jetzt verzichtete SP-Präsident François Hollande, weil chancenlos, auf seine Kandidatur. Der SP-Kandidat Benôit Hamon, ein bei Vorwahlen gekürter Linkssozialist, kam nur auf 6,4 Prozent. Er wurde förmlich zerrieben – zwischen dem Linksaußen-Tribun Jean-Luc Melenchon (einem abgesprungen Ex-SP-Politiker) und dem Zentrumskandidaten Emmanuel Macron.
Dieser Favorit der aktuellen Präsidentenwahlen stand ursprünglich ebenfalls der SP nahe, war Kabinettsmitglied von Präsident Hollande und dann Wirtschaftsminister der SP-Regierung, der er aber im August 2016 den Rücken kehrte.
Nun droht die Spaltung der SP: ein Teil des pragmatischen Mitte-links-Parteiflügels, darunter mehrere Minister, hat sich bereits auf die Seite der Bewegung von Macron geschlagen.
Für diese Krise wird Hollande verantwortlich gemacht, auch wenn der linke Parteiflügel das seine dazu beitrug. Der Staatschef hat mit einem Schlingerkurs seine Anhängerschaft verwirrt und die Bevölkerung enttäuscht: Nach dem Misserfolg seines anfänglichen, relativ harten steuerlichen Umgangs mit Wirtschaftstreibenden, schwenkte Hollande zu einem betont unternehmerfreundlichen Kurs in Steuer- und arbeitsrechtlichen Fragen um. Die Kurskorrektur brachte aber bisher auch nicht den erhofften Rückgang der Arbeitslosenrate von zehn Prozent.
Sollte Macron die Präsidentenwahl gewinnen, dürfte bei der Parlamentswahl im Juni die verbliebene SP auf einen Tiefststand absacken. Frankreichs Sozialisten sind aber bereits mehrfach von Fast-Sterbe-Erlebnissen wieder auferstanden. Eine Sammelbewegung der linksdemokratischen Kräfte hat weiter Zukunftschancen.
- Danny Leder, Paris
Deutschland: Die „alte Tante“ schnauft
Es ist nicht lange her, da konnte man den Zustand der SPD bestens an der „Episode mit der Putzfrau“ ablesen. Auf der Bühne: Sigmar Gabriel, damals Chef der Partei. Im Fußvolk: Susanne Neumann, Reinigungskraft, Gewerkschafterin, SPDlerin. „Scheißverträge“ hätten sie und ihre Kollegen, schleuderte sie ihm entgegen; überall nur Leiharbeit, ihre Rente liege nach 38 Jahren bei 725 Euro. Und wer sei schuld? Die SPD.
„Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das eingebrockt hat?“, sagte sie. Dieser Satz beschrieb perfekt, woran die SPD in den vergangenen 15 Jahren zu leiden hatte – an sich selbst. Schröders Reformen hatten die Partei in SPD und Linke zerrissen; die Gewerkschaften wandten sich ab. Der Ruf, der Ikonen wie Brandt und Schmidt zu verdanken war, war ruiniert, und die SPD haderte so sehr mit ihrer Ideologie, dass sie auf 20 Prozent rutschte.
Gerechtigkeits-IdealSeit Martin Schulz ist das anders. Jetzt schnauft die „alte Tante“ wieder, wie die Genossen ihre Partei gern nennen; Schulz hat die Sehnsucht nach Gerechtigkeit reanimiert. Selbst der Kleinste soll seinen Anteil haben, sagt der Mann ohne Abitur und mit Alkohol-Vorgeschichte. Glaubwürdiger geht kaum. Oder?
Jein, sagen viele. Denn Schulz’ Versprechen haben Haken. Da sind die acht Jahre, in denen man seit Schröders Abgang als Koalitionspartner gedient hat, in denen viel von dem hätte eingelöst werden können, was man nun fordert. Da sind die fehlenden Konzepte zu diesen Forderungen. Da ist der Vorwurf, man habe es sich im neoliberalen Eck der CDU bequem gemacht – und das Bonzenhafte aus Schröders Zeit nie abgelegt: Dass Peer Steinbrück Fünf-Euro-Wein für „unzumutbar“ hielt, ist das plakativste Beispiel; dass viele SPDler in lukrative Wirtschafts-Jobs wechselten, das problematischere.
Für Schulz selbst könnte es gerade der frühere Top-Job sein, der zur Last wird. Der Rüge, die er vom EU-Parlament für seinen Umgang mit Geld bekam, werden im Wahlkampf noch andere gestreute Details folgen – und dann wird Putzfrau Neumann auch bei ihm anklopfen.
- Evelyn Peternel, Berlin
Großbritannien: Labour ist tief gespalten
Es war nicht zuletzt der erbärmliche Zustand ihrer Opposition, der die britische Premierministerin Theresa May letzte Woche zum Ausrufen von Neuwahlen ermutigte. Loyale Stimmen in der Labour Party bejubeln es mittlerweile als Lichtblick, wenn der Rückstand ihrer Partei auf die regierenden Konservativen laut letzten Prognosen statt 23 „nur mehr“ 16 Prozent beträgt.
Vertraute des letztes Jahr noch als Retter der Linken gefeierten Parteichefs Jeremy Corbyn führen seinen beharrlichen Ruf als unwählbarer Kandidat auf eine feindselige Medienlandschaft und Sabotage aus den eigenen Reihen zurück.
Trotz seiner überlegenen Wiederwahl durch die Basis nach einem gescheiterten Putschversuch der eigenen Parlamentsfraktion hat sich die parteiinterne Spaltung nicht entschärft. Erst im März bezichtigte Vize-Chef Tom Watson öffentlich die Parteilinke, in einem Pakt mit den Gewerkschaften Labours künftige Wahlchancen zu „zerstören“.
Doch das offensichtlich größte Problem der Labour Party ist ihre Haltung zum Brexit: Zwei Drittel der eigenen Wählerschaft stimmten für einen EU-Verbleib, doch das Votum für einen Austritt war in Labours nördlichen Kerngebieten besonders hoch. Nun droht Labour selbst Stammreviere wie Wales an die Konservativen zu verlieren.
Als Reaktion darauf hat die Partei sich auf ein Nein zur Bewegungsfreiheit festgelegt, verspricht aber gleichzeitig einen sanfteren Brexit, um nicht pro-europäische Wähler an die Liberaldemokraten zu verlieren.
Zu all dem meldete sich auch noch Labours letzter Wahlsieger Tony Blair aus dem Off mit der Empfehlung , taktisch für Kandidaten zu stimmen, die gegen einen harten Brexit eintreten. Selbst wenn diese Liberale oder gar Konservative seien.
Corbyns schwacher Trost: Die Moderaten verhalten sich derzeit still. Allerdings nur, damit die bei der Wahl am 8. Juni erwartete Niederlage ihm ganz allein gehört.
- Robert Rotifer, London
Italien: Suche nach Identität
Matteo Renzi bereitet seine Rückkehr vor: Seit seinem erzwungenen Rücktritt als Premier nach verlorener Volksabstimmung zur Verfassungsreform regiert sein Verbündeter Paolo Gentiloni. Am Sonntag eroberte er bei Vorwahlen der Demokratischen Partei (PD) den Posten des Parteichefs, den er bis Februar 2017 innehatte, zurück. Renzi behauptete sich bei den Parteiwahlen mit einer unerwartet hohen Beteiligung von fast zwei Millionen Wählern souverän mit über 70 Prozent der Stimmen.
Schon bei einer TV-Debatte hat der Florentiner klargestellt: Er möchte Parteichef und Premierkandidat des Mitte-Links-Lagers bei den nächsten Wahlen werden.
Parteiintern tobte seit langem ein Streit zwischen dem linken Flügel und Renzis Unterstützern. Wiederholt wurde Renzi wegen seines wirtschaftsliberalen Kurses kritisiert, mit dem er sozialdemokratische Werte über den Haufen warf.
Seit der Spaltung vom Linksflügel, die zur Gründung der neuen „Bewegung der Demokraten und Progressisten“ (DP) geführt hat, erlebt der PD eine Identitätskrise. Laut Umfragen liegt derzeit die populistische Fünf-Sterne-Protestbewegung von Komiker Beppe Grillo vorne.
Auch in Italien sind die Parteien, die nach dem Zweiten Weltkrieg regiert haben – angefangen von den Christdemokraten bis zu den Kommunisten – verschwunden. Bevor es 2007 zur Gründung des PD unter Vorsitz von Walter Veltroni kam, durchlebte das Mitte-Links-Lager eine „Verwandlung“ mit zahlreichen Allianzen.
Zwei Mal für je zwei Jahre gelang es dem Mitte-Links-Bündnis zwischen 1996 und 2008, sich gegen das rechte Lager von Silvio Berlusconi zu behaupten. Von 1994 bis 2011 bestimmte Berlusconi das politische Parkett mit seinen Skandalen.
Nichts erschütterte die italienische Politik so sehr wie der Korruptionsskandal „Mani pulite“ Anfang der 1990er Jahre. Ein Netz aus Amtsmissbrauch und Mafiaverstrickungen wurde aufgedeckt, es kam zum Zusammenbruch der alten Parteien, wie der führenden „Democrazia Cristiana“ und des „Partito Socialista Italiano“.
- Irene Mayer-Kilani, Rom
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