Hahn: "Bin eine Mischung aus Feuerwehrmann und Baumeister"
Wenn jemand, wie
Johannes Hahn, an die 200 Mal pro Jahr in ein Flugzeug steigt, weiß er, wo er am liebsten sitzt: 2A – das ist der bevorzugte Platz des österreichischen EU-Kommissars. „Die zweite Reihe, weil man dann schnell wieder draußen ist. Links, weil es da weniger zieht und der Fensterplatz, weil ich da am besten ungestört arbeiten kann“, erzählt der Vielflieger. Eine Woche ohne Dienstreise gibt es für den 61-jährigen Konservativen so gut wie nie. Und jede Flugstunde ist auch Arbeitszeit, in der es dicke Briefing-Mappen durchzuackern gilt.
Von der Lokalpolitik über seine Zeit als ÖVP-Wissenschaftsminister bis in die EU-Kommission hat der gebürtige Wiener eine steile politische Karriere hingelegt.
Heute leitet Hahn die riesigen EU-Ressorts der Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik. Ressorts, in denen praktisch ständig irgendwo Krise herrscht – sei es angesichts der Entwicklungen in der Türkei, sei es auf dem Westbalkan, sei es in den arabischen Staaten Nordafrikas. Dennoch wirkt „der Kommissar“, wie er in Brüssel von seinen Mitarbeitern genannt wird, stets so, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Unaufgeregt und freundlich-gelassen, loben ihn die einen, als fast schon zu entspannt kritisieren ihn die anderen.
Tatsächlich aber soll Hahn schon einmal gehört worden sein, wie er bei Gesprächen mit untereinander feindselig gestimmten Kontrahenten auf dem Westbalkan auf den Tisch gehaut haben und laut geworden sein soll.
Berührt zu werden, hat er sich bewahrt: Der Kommissar erklärt die Fotos an den Wänden seines lichtdurchfluteten Büros im 11. Stock des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes. Alois Mock ist da auf jenem berühmten Foto zu sehen, wie er den Grenzzaun zu Ungarn durchschneidet. Und dann hängt da ein Bild von Kinderhänden. Sie halten eine winzige, krakelige Zeichnung. „Dieses Bild hat ein siebenjähriges syrisches Flüchtlingsmädchen für mich gezeichnet“, schildert Hahn. „Das zeigt ihre beste Freundin. Sie wurde getötet.“ Und Hahn verstummt. Räuspert sich.
Dauerkrisenthema Flüchtlinge
Der Krieg in Syrien und vor allem die folgenden Fluchtwellen nach Europa, sie haben die gesamte Europäische Union unvorbereitet erwischt. Seither sind sie Dauerkrisenthema – die Flüchtlinge, die Migranten, die Fahrten über das Mittelmeer, die instabilen Länder Afrikas. Was kann die
EU tun? Und was ein Kommissar beisteuern?
„Fad wird mir nicht“, muss Hahn in seiner typischen Art des Understatements, wenn auch lachend, zugeben. „Ich bin so eine Art Mischung aus Feuerwehrmann und Baumeister.“
Die Idee wäre: Die Länder des Nahen Ostens und Afrikas so weit zu befrieden und wirtschaftlich so attraktiv zu machen, dass sich Flüchtlinge und Migranten erst gar nicht nach Europa aufmachen müssen. Dabei kann die EU in Form von wirtschaftlicher, logistischer, diplomatischer und teils militärischer Unterstützung viel beisteuern. Hahn: „Meine Vision ist es, Stabilität zu exportieren um zu verhindern, dass Instabilität importiert wird."
Wie schwierig das ist, zeigt allein eine Zahl: „22 Millionen Flüchtlinge gibt es in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU“, schildert der EU-Kommissar. Zudem gebe es an den Außengrenzen zur EU hin ein riesiges Wohlstandsgefälle, sagt er: „Polen und die Ukraine waren 1989 wirtschaftlich ungefähr gleich stark. Heute ist Polens Wirtschaftskraft sechs oder sieben Mal größer“, sagt Hahn. Worum es also gehe, sei auch in der Nachbarschaft der EU die Grundlagen für Wachstum zu schaffen, Handel zu betreiben, die Wirtschaft anzukurbeln, Reformen anzustoßen - damit die Menschen daheim eine Perspektive haben.
Acht Kabinettsmitglieder hat Hahn für diese Aufgabe an seiner Seite – und dann natürlich eine Generaldirektion, die GD NEAR.
"Wienerische Weisheit"
Daheim, bei der schwarz-blauen Regierung in Wien, hört sich einiges anders an, als es der eigentlich politisch farbengleiche EU-Kommissar in Brüssel sagt: Wenn es etwa ums Thema EU-Beitrittsgespräche der Türkei geht. Dann fordert Wien kategorisch den Abbruch der Beitrittsverhandlungen, während Hahn den Standpunkt der Kommission wiedergibt: Die Verhandlungen seien de facto eingefroren, würden aber vorerst nicht abgebrochen. Und überhaupt kommt da so manche Spitze aus Wien gegen Brüssel, aber als „Prellbock“ will sich Hahn so gar nicht sehen. Es sei nur "natürlich, dass es Unterschiede gibt zwischen einer Betrachtungsweise, die 28 Länder vertreten muss und der eines einzelnen Staates“, gibt sich Hahn gelassen. Da empfiehlt sich für den Kommissar die „Wienerische Weisheit, die man grundsätzlich überall anwenden kann: Durchs Reden kommen die Leut’ zusammen.“
Jede Minute ist durchgetaktet
An der Tür klopft es, ein Mitarbeiter mahnt. Die Zeit drängt. Der finnische Außenminister müsste jeden Moment hier im Büro des Kommissars erscheinen. Kurz davor hat Hahn noch mit der slowenischen Außenministerin telefoniert. „So ein Bürotag in Brüssel ist manchmal herausfordernder als eine Dienstreise“, sagt Hahn. Jede Minute ist durchgetaktet, von früh bis spät stehen Gespräche und Treffen auf dem Programm, mit teils ganz unterschiedlichen Themen und Krisenfragen. Bei Dienstreisen hingegen geht es meist um nur ein Thema: die angepeilte Eröffnung von Beitrittsgesprächen für Albanien etwa. Oder die Suche nach einer Lösung im 27 Jahre alten, unseligen Namensstreit zwischen Griechenland und dessen nördlichen Nachbarn Mazedonien. Der gelang schließlich im Juni, auch dank großen persönlichen Einsatzes des EU-Kommissars.
In die Innenpolitik möchte er nicht mehr zurück, sagt Johannes Hahn in einer Entschlossenheit, die keine Zweifel aufkommen lässt. Nach Wien zieht es ihn aber fast jedes Wochenende, zu seiner neuen Lebensgefährtin Susanne Riess, zu seinem zweijährigen Enkelsohn. Segeln mag er, sagt Johannes Hahn, bevorzugt aber entspanne er sich „wenn es geht einfach durch Nichtstun“. Momente, die bis weit ins nächste Jahr hinein, wenn seine zweite Amtszeit als EU-Kommissar endet, noch rar sein werden.
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