Pussy-Riot bereuen nichts: "Jetzt fängt alles erst an"
Am Freitag durfte der Kreml-kritische Oligarch Michail Chodorkowski aus der Haftstrafe in die Freiheit. Am Montag öffneten sich nach Putins Amnestie die Lagertore für zwei weitere Regime-Kritikerinnen: Maria Aljochina, 25, und Nadeschda Tolokonnikowa, 24. Die beiden Frauen sind Mitglieder der feministischen Punkgruppe Pussy Riot, die kurz vor den russischen Präsidentenwahlen im März 2012 in der Moskauer Christ-Erlöserkirche die Muttergottes um die Vertreibung Putins bestürmt und dabei die orthodoxe Liturgie persifliert hatten. Die beiden Actricen waren im Sommer 2012 zu jeweils zwei Jahren Haft wegen Rowdytums verurteilt worden.
„Geschmacklosigkeit“
Regime-Kritiker im westlichen Ausland sprachen von einem Racheakt Putins und der Willkür der abhängigen Justiz. Das Urteil sei unverhältnismäßig, befanden auch Weltstars, die sich mit den Künstlerinnen solidarisierten. Die russische Öffentlichkeit sah das differenzierter. Selbst Sympathisanten sprachen von „Geschmacklosigkeit“. Nun bescheinigte sogar die russisch-orthodoxe Kirche den Pussy-Frauen am Montag eine „gewisse Evolution“ und meinte damit offenbar Besserung.
Das hörte sich allerdings nicht so an: Aljochina nannte die Amnestie gleich in ihrem ersten Interview in Freiheit „eine Farce“, die nichts mit humanitären Gründen zu tun habe, sondern lediglich ein PR-Gag Putins sei. Bei ihrer Ankunft in Moskau fügte sie hinzu: "Ich bereue nichts". Am Dienstag traf sie in der sibirischen Region Krasnojarsk Nadescha Tolokonnikowa. „Russland ohne Putin“, rief diese beim Verlassen des Gefängnisses. Das ganze Land sei ein "einziges Straflager", kritisierte Tolokonnikowa außerdem den "totalitären" Strafvollzug in Russland.
"Ich habe gelernt, zu den Machthabern "Nein" zu sagen und mutiger zu sein", zog Aljochina Bilanz. Auch Tolokonnikowa gab sich kampflustig: "Jetzt fängt alles erst an." Beide wollen sich nun unter anderem für die Rechte von Häftlingen engagieren.
Prominente Kreml-Gegner
Tolokonnikowa war im Herbst gegen unmenschliche Haftbedingungen – darunter einen sechzehnstündigen Arbeitstag an der Nähmaschine – in den Hungerstreik getreten und hatte daraufhin von Vollzugsbeamten Morddrohungen erhalten. Bei einer Überprüfung durch Putins Beirat für Menschenrechte wurden ihre Vorwürfe im Großen und Ganzen bestätig, es rollten Köpfe. Tolokonnikowa selbst war danach aus dem Straflager in der Teilrepublik Mordwinien im Wolga-Gebiet nach Sibirien verlegt worden.
Es war vor allem eine Journalistenfrage, die sich Michail Chodorkowski nach eigenen Worten auch selbst stellt: Die nach seinem Vermögen. „Ich kenne meine finanziellen Verhältnisse derzeit nicht. Das Geld reicht mir zum Leben. Fußballvereine werde ich nicht kaufen.“ Das sagte er nach seiner Ankunft in Berlin am Sonntag. Ganz so ahnungslos dürfte er jedoch nicht sein. Schließlich sagte er auf die Frage, ob er sich politisch engagieren werde: Anders als in Yukos-Zeiten sei er nicht mehr in der Lage, als Financier der Opposition aufzutreten.
Klar ist: Chodorkowski ist kein armer Mann. Derzeit residiert er im Hotel Adlon in Berlin, der Preis für seine Suite „Pariser Platz“ beträgt 2.925 Euro pro Tag.
Es war knapp vor seiner Verhaftung im Oktober 2003, als Michail Chodorkowski am Zenit seines Reichtums angelangt war. Forbes reihte ihn damals auf Platz 26 in der Liste der weltweit reichsten Personen und gab ihm einen Platz im Club der einflussreichsten Milliardäre. Sein Vermögen wurde auf acht Mrd. Dollar geschätzt. 2002 war Chodorkowski noch auf Rang 101 gereiht gewesen. 2003 sah es so aus, als würde sein Öl-Gigant Yukos den Öl-Konzern Sibneft schlucken, zusammen hätte das den viertgrößten Konzern der Branche ergeben. Doch dann kamen Verhaftung, Verurteilung und die Zwangsversteigerung von Yukos-Anteilen.
Unklar ist, ob es Chodorkowski mithilfe seiner Anwälte gelungen ist, Teile seines Vermögens im Ausland vor der russischen Justiz in Sicherheit zu bringen. Spekuliert wird darüber, nachdem für ihn immer die besten und teuersten Anwälte und PR-Firmen tätig waren. Chodorkowskis Sohn Pawel sagte gegenüber Echo Moskwy, dass von dem einstigen Vermögen „vergleichsweise geringe Mittel“ geblieben seien. In russischen Medien kursiert die Summe von 200 Millionen Dollar.
21. Februar 2012 Mit Strumpfmasken protestiert die Frauenpunkband Pussy Riot in der Erlöserkathedrale in Moskau gegen die Rückkehr von Wladimir Putin ins russische Präsidentenamt.
3. März Festnahme mehrerer Aktivistinnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Rowdytum aus Hass auf Gläubige vor.
4. März Putin wird nach 2000 und 2004 erneut zum Präsidenten gewählt.
30. Juli In Moskau beginnt der Prozess gegen die jungen Mütter Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Alechina sowie Jekaterina Samuzewitsch.
17. August Die Frauen werden zu zwei Jahren Straflagerhaft verurteilt. Es gibt internationale Proteste.
10. Oktober Ein Berufungsgericht in Moskau wandelt Samuzewitschs Haftstrafe in Bewährung um. Die Künstlerin war demnach zwar in der Kirche anwesend, sang aber nicht mit.
16. Juli 2013 Pussy Riot meldet sich mit einem neuen Lied zurück. In "Kak w krasnoi tjurmje" (Wie im roten Gefängnis") wirft die Band Putin und den Staatskonzernen Unterschlagung in Milliardenhöhe vor.
22. Juli Mehr als 100 Musikstars fordern in einem offenen Brief an Putin Freiheit für Pussy Riot. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Madonna, Bryan Adams, Adele, Peter Gabriel, Elton John, Bruce Springsteen, Die Toten Hosen und U2.
24. Juli Ein Gericht lehnt Alechina s Antrag auf vorzeitige Haftentlassung ab. Zwei Tage später wird ein ähnliches Gesuch von Tolokonnikowa zurückgewiesen.
1. August Nach ständigem Streit mit Aufseherinnen und Mitgefangenen wird Alechina in ein anderes Straflager verlegt.
17. August Zum Jahrestag des Urteils fordern Anhänger der Band bei einer Kundgebung in Moskau die Freilassung der Musikerinnen.
23. September In einem Brief schildert Tolokonnikowa sklavenähnliche Haftbedingungen im Lager und beginnt einen Hungerstreik. Nach einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bricht sie den Protest nach neun Tagen ab.
18. Oktober Nach einem erneuten Hungerstreik wird Tolokonnikowa in ein anderes Straflager verlegt.
12. Dezember Das Oberste Gericht Russlands ordnet an, das Urteil gegen Tolokonnikowa und Alechina neu zu fassen. Bei der Verurteilung 2012 seien weder deren junges Alter von damals 22 und 24 Jahren noch weitere strafmildernde Gründe berücksichtigt worden.
17. Dezember Im Zuge einer groß angelegten Amnestie will Putin Tausende Gefangene freilassen. Im entsprechenden Dekret werden ausdrücklich Mütter mit minderjährigen Kindern erwähnt - wie die Aktivistinnen von Pussy Riot.
23. Dezember Alechina wird aus dem Gefängnis in Nischni Nowgorod entlassen. Sie kritisiert ihre Freilassung als "PR-Trick".
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