Karl Habsburg: "Ich bin milde optimistisch"
KURIER: Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament?
Karl Habsburg: Ich bin milde optimistisch, ich habe mir Unangenehmeres erwartet. Die relativ vernünftige Mitte ist gestärkt worden. Natürlich, die radikalen Flügel sind gewachsen, aber nicht in dem erwarteten Ausmaß.
Gehören Sie demnach zu jenen, welche einen „Rechtsruck“ befürchtet haben?
Absolut – und der ist zum Glück nicht eingetreten. Auch wenn er sich in manchen Ländern stark manifestiert hat. Etwa in Frankreich, wo dann Präsident Macron sofort Neuwahlen ausgerufen hat – womit er meines Erachtens ein sehr gefährliches Spiel spielt.
Provokant gefragt: Was wäre so schlimm an einem „Rechtsruck“?
Früher waren es die Linksparteien, die der Sowjetunion nahestanden – heute sind es die Rechtsparteien, die Putin nahe sind. Die größte Gefahr aber, die wir derzeit haben, ist der Krieg in der Ukraine – der uns alle unmittelbar betrifft. Ein stärkerer Einfluss von Parteien, die dezidiert Putin- und Russland-freundlich – und damit für mich ganz klar antieuropäisch – sind, wäre ein großes Risiko für uns alle. Für diese Mischung aus Putinismus und Nationalismus habe ich keinerlei Verständnis.
Das heißt, Nähe zu Russland versus prowestliche Ausrichtung ist für Sie das entscheidende Kriterium bei der Abgrenzung nach rechts?
Da der Ukrainekrieg für uns zur Zeit die größte Bedrohung ist, auch wenn das viele nicht so wahrnehmen, ist es für mich der wichtigste Punkt. Aber es gibt natürlich auch andere Argumente: Kleinstaatlichkeit, Nationalismus sind generell eine Bedrohung für Europa.
Ist die Stärke der Rechtsparteien nicht auch eine Folge der Schwäche der traditionellen Christdemokraten?
Selbstverständlich. Die Christdemokraten definieren sich in vielen Bereichen nicht mehr als Mitte. Und das halte ich für ein großes Problem. Wenn ich an die Zeit meiner eigenen Politisierung denke, als ich Leute wie etwa Franz Josef Strauß erlebt habe: die haben noch ganz klar die Mitte definiert. Heute definieren wir uns nicht mehr selbst als Mitte, sondern nur durch die radikalen Ränder.
Sollen die Christdemokraten dennoch versuchen, mit Teilen der Rechtsparteien einen Konsens zu finden – oder kommen nur, wie im Prinzip bisher, Sozialdemokraten, Liberale, allenfalls Grüne in Frage?
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es bei einer ähnlichen informellen Koalition bleibt, wie bisher. Dass man mit allen reden soll, ist aber ganz logisch. Und man kann nicht alle sogenannten Rechtsparteien über einen Kamm scheren. In der Fraktion der Konservativen (EKR; Anm.) gibt es eine ganze Reihe von vernünftigen, europäisch denkenden Menschen; und dann gibt es noch die Rechtsaußen-Fraktion (ID; Anm.), mit der ich mich gar nicht identifizieren kann und wohl auch nicht die EVP.
Sehen Sie die traditionell-konservativen Werte, die man auch mit Ihrer Familie, dem Haus Habsburg, verbindet, bei der EVP grosso modo gut aufgehoben?
Wenn man das „grosso modo“ unterstreicht, würde ich vorsichtig „ja“ sagen (lacht). Ich finde, dass gewisse Wertvorstellungen auch in der EVP viel zu wenig betont werden – in dem krampfhaften Versuch, mehrheitsfähig zu sein. Im Bestreben, weitere Kreise einzubinden, was meistens ohnedies nicht gelingt, gibt man Kernpotenzial auf. Das ist ein Problem vieler Parteien, die in der EVP vertreten sind. Da würde ich mir wünschen, dass man seine Werte klarer definiert und zu diesen steht.
Weil das Land ja einen speziellen geschichtlichen Bezug zu Österreich und zu Ihrer Familie hat: Wie sehen Sie die politischen Entwicklungen in Ungarn?
Das Wahlergebnis in Ungarn war sehr interessant. Man muss sehen, wie sich das mit Péter Magyar weiterentwickelt. Er kommt ja aus demselben Lager wie Viktor Orbán – und es gibt ja auch Gespräche zwischen der EVP und Magyar über eine Zusammenarbeit. Aber die Ära Orbán sehe ich noch nicht am Ende.
Leider?
Wenn ich die Russland-Frage hernehme, dann muss ich sagen: leider. Da spielt Ungarn eine sehr unaangenehme Rolle.
Gleichzeitig hat kaum ein europäischer Politiker so sehr die Rückbesinnung Europas auf seine christlichen Wurzeln eingemahnt und die daraus resultierenden Werte betont. Macht das einen Teil seines politischen Erfolges aus?
Man muss das im Gesamtbild sehen – im Zusammenhang mit der Kontrolle der Medien, der Justiz. Das alles zusammen macht seinen Erfolg aus. Ob ich darüber glücklich bin, ist eine andere Frage.
Gibt es ein „christliches Europa“?
Die christlichen Wertvorstellungen werden heute meistens nicht mehr in den Vordergrund gestellt. Aber es ist offensichtlich, dass unsere europäische Gesellschaft auf christlichen Prinzipien aufbaut. Ich habe keine Angst, dass das Christentum verschwindet, denn wenn es verschwände, dann verschwände unser ganzes Gesellschaftssystem. Das steht nicht zur Debatte. Aber natürlich gibt es vieles, was verwaschen wird – die Sprache der political correctness gehört hierher, wo Dinge verfälscht werden.
In dem Zusammenhang gibt es auch Befürchtungen einer Überhandnahme des islamischen Einflusses in Europa …
Ich bedauere, dass es keine wirklichen Anstrengungen gibt, mit dem Islam einen Dialog aufzubauen. Das ist schwierig, weil es im Islam keine cathedra, keine oberste Lehrautorität gibt – aber es ist möglich. Es gibt auch im Islam eine ganze Reihe von außerordentlich vernünftigen, sehr einflussreichen Persönlichkeiten, mit denen man den Dialog suchen müsste.
Wobei die Menschen weniger daran interessiert sind, ob Religionsführer einen gepflegten akademischen Diskurs untereinander führen, sondern ob sie sich noch zuhause fühlen, wenn sie durch bestimmte Viertel gehen …
Völlig klar. Aber diese Religionsführer haben ja auch einen Einfluss auf die Menschen. Es geht darum, die Menschen ins Boot zu holen. Wir können das Phänomen ja nicht wegdiskutieren – die Menschen werden nicht mehr weggehen, die bleiben da.
Wo braucht es Ihrer Meinung nach „mehr Europa“ und wo vielleicht auch „weniger“?
Was wir brauchen, ist mehr Subsidiarität. Das steht an sich im Maastricht-Vertrag drinnen – und wenn wir uns an diesen halten würden, der ja nach wie vor Gültigkeit hat, dann würde sich die Frage gar nicht stellen. Wenn wir das Prinzip der Subsidiarität konsequent umsetzen würden, dann würde sich viel an EU-Kritik von selbst erledigen. Die EU müsste freilich ihren Job mit einer größeren Perspektive machen: nicht nur mit Blick auf die heutige Union, sondern sie müsste sich viel mehr mit Fragen der Erweiterung, der Nachbarschaft beschäftigen. Da bräuchten wir mehr Europa.
Braucht die EU eine inhaltliche und personelle Erneuerung – oder soll Ursula von der Leyen am besten dort weitermachen, wo sie aufgehört hat?
Die Europäische Union ist, entgegen manchen Klischees, eine sehr transparente Organisation. Wir haben eine Struktur, die sehr vernünftig ist und mit der man arbeiten kann. Und was die personelle Ebene betrifft, so gehe ich davon aus, dass der Kommissionspräsident aus der EVP kommt und demnach ist es sehr wahrscheinlich, dass Ursula von der Leyen bleibt.
Aber gibt es Themenfelder, wo es eine Kurskorrektur braucht?
Die Themenlage wird sich zum Teil neu gestalten und dem Wahlergebnis Rechnung tragen müssen. Die Fragen eines europäischen Sicherheitskonzeptes, eines europäischen Außenministeriums haben sich im Wahlkampf etwas stärker manifestiert – weniger in Österreich, aber in anderen Ländern. Dafür werden andere Themen möglicherweise etwas in den Hintergrund treten. Wir werden sehen, wie sich das mit dem Green Deal weiterentwickelt, aber man muss sehen, dass die Grünparteien in ganz Europa maßlos eingepackt haben.
In Österreich haben die Neos mit einer sehr klaren Zielvorstellung ihren Wahlkampf bestritten, nämlich den „Vereinigten Staaten von Europa“. Wie sehen Sie das?
Ich mag den Begriff nicht, aber vom Inhalt her ist es mir sympathisch. Der Begriff hört sich für mich zu sehr nach einer Kopie der USA an. Das gefällt mir nicht, weil Europa eine constructio sui generis (Gebilde eigener Art; Anm.) ist. Aber natürlich bin ich ein passionierter Anhänger eines vereinten Europas. Und ich glaube, dass es unabdingbar ist, dass sich Europa stärker positioniert – und war als Europa und nicht als Gruppe kleiner Nationalstaaten, von denen jeder für sich genommen genau gar nichts in der Weltpolitik zu sagen hat. Dafür braucht es freilich auch strukturelle Änderungen – wie zum Beispiel einen europäischen Außenminister. Ein Vizepräsident der Kommission als außenpolitischer Sprecher tut’s einfach nicht mehr. Wir brauchen eine europäische Sicherheitsarchitektur. Ich bin natürlich jemand, der die NATO sehr positiv sieht, aber wenn Trump wiedergewählt wird, wissen wir nicht, wie die NATO morgen aussieht. Daher müssen wir ein europäisches Sicherheitskonzept erarbeiten. Das sind Notwendigkeiten, die vielen vor fünf, zehn Jahren noch nicht bewusst waren.
Oft wird beklagt, dass es keine europäische Öffentlichkeit gebe …
Das glaube ich nicht – nicht zuletzt aufgrund der modernen technischen Möglichkeiten. Was aber fehlt, ist das Interesse an den europäischen Themen. Da wären natürlich auch die Medien gefragt. Man muss nur bedenken, wie viele Gesetzgebungsprozesse auf nationaler Ebene auf Entscheidungen des Europäischen Parlamentes basieren. Das wird völlig unterbewertet – nicht nur in Österreich. Die wirklich wichtigen Entscheidungen fallen heute auf der europäischen Ebene.
Es gibt den bösen Satz „America innovates, China replicates, Europe regulates“ …
Da ist leider was dran. Wenn ich das auf den Sicherheitsbereich, der mir besonders wichtig ist, umlege, dann muss man sagen, dass Europa einen unheimlichen Nachholbedarf hat. Aber auch wenn man nach Afrika blickt, wo ich viel zu tun habe, sieht man, wie stark dort der Einfluss Chinas ist. Und zwar nicht erst jetzt, sondern schon seit 20 Jahren. Wir haben das völlig verschlafen – dabei ist Afrika unsere unmittelbare Nachbarschaft.
Abschließend noch eine Frage zu Ihrem Namen: Sie nennen sich Karl von Habsburg – in Österreich gibt es aber laut Adelsaufhebungsgesetz von 1919 kein „von“ mehr …
Mein Vater war Otto von Habsburg. Das bestreitet auch keiner – abgesehen von Fanatikern, die sagen, nein, der darf nur Otto Habsburg heißen; international war er bekannt als Otto von Habsburg. Ich bin nun einmal sein Sohn – und als solcher sehe ich mich natürlich als Karl von Habsburg. Für mich hat diese Diskussion eher eine humoristische Note …
Wie wollen Sie angeredet werden?
Ich firmiere als Karl von Habsburg, in meinem Pass steht Karl Habsburg-Lothringen – und wie mich jemand anredet, ist mir völlig egal, ich bin da total schmerzunempfindlich (lacht).
Karl Habsburg-Lothringen
geb. 1961 in Berg a. Starnberger See, ältester Sohn von Otto von Habsburg (1912–2011) und Enkel des letzten Kaisers, Karl
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