Grüner Biobauer mit Lodenjacke und Sturmfrisur im EU-Parlament
Jeden Montag Abend steigt Thomas Waitz in den Zug und fährt an die 14,15 Stunden, ehe er am nächsten Vormittag in Brüssel ankommt und ins Europäische Parlament eilt. Donnerstag Nacht geht es wieder per Zug nach Hause, nach Leutschach an der steirischen Weinstraße. Nur einmal im Monat, da führt den EU-Abgeordneten der Weg nach Straßburg. Auch per Zug, selbstredend. Wer sich zwei Mal pro Woche solche Marathontouren antut, sollte schon, wie Waitz, der Sohn eines Eisenbahners, eine robuste Natur haben. Vor allem aber muss man ein überzeugter Grüner sein. „Das ist mein Anspruch an mich selber: Ich kann mich wohl schwer hinstellen und über Klimapolitik reden, wenn ich dann mehrmals in der Woche in den Flieger steige“, sagt er.
Seit knapp einem Jahr arbeitet der 46-jährige Biobauer nun im Europäischen Parlament. Er folgte dem frei gewordenen Mandat von Ulrike Lunacek nach. Was treibt einen Landwirt und Imker dazu, seine Forstwirtschaft ruhen zu lassen? Die Bienenzucht aufs Wochenende zu reduzieren und stattdessen nach Brüssel zu pendeln?
Die drei Kinder seien jetzt groß, erzählt er, „sonst würde es nicht gehen.“ Aber bei den Grünen engagiert sich der Landwirt schon seit fast zwanzig Jahren. Erst auf Gemeindeebene, dann im Land, dann immer mehr auch mit Fokus auf Europa. Seit dem Vorjahr ist er auch Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen. „Wenn man etwas bewegen will, muss man versuchen, das auf europäischer Ebene weiterzubringen“, ist Waitz überzeugt.
Eines seiner Herzensthemen: Lebensmittelqualität und -Sicherheit sowie Tierschutz. Dafür wirft sich der beredte Biobauer für ein europaweites Verbot von Antibiotika im Tierfutter in die Bresche. Denn erkranken in der Massentierhaltung einzelne Tiere, wird wegen der Ansteckungsgefahr gleich allen Antibiotika ins Futter gemischt. Jährlich werden weltweit 130.000 Tonnen Antibiotika in der Tierhaltung verwertet. Das bedeutet aber auch: Die Zahl multi-resistenter Keime wächst. „Schon jetzt sterben jährlich 25.000 Menschen in Europa, weil es gegen diese Keime keine Heilmittel mehr gibt.“ Und schon im Jahr 2050, zitiert Waitz eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO, „werden multi-resistente Keime die häufigste Todesursache sein.“
Eine Möglichkeit gegenzusteuern sieht der Grüne Abgeordnete darin, zwei oder drei Antibiotikasorten nur für Menschen und niemals für Tiere zuzulassen. Insgesamt sei das Problem aber nur auf mehreren Ebenen anzupacken, vom Tiertransport bis zur Schlachtung. Im Agrarausschuss des Parlaments, meint er, kommen die Dinge nun in Bewegung.
Kontaminierte Fleischproben
Aber das Ausmaß des Problems scheint noch wenig bewusst: Bei einem Test in Österreich kam Waitz auf ein besorgniserregendes Ergebnis: Das bei Großmärkten erworbene Fleisch, dort also, wo Restaurants einkaufen, waren sechs von zehn Proben mit Keimen kontaminiert. „Bei richtiger Zubereitung ist das kein Problem“, sagt Waitz, aber „wenn man nur eine winzige Wunde auf den Händen hat und man kommt mit dem noch rohen Fleisch an, und der Keim dringt dort ein, kann es richtig gefährlich werden.“
Als Mitglied des Agrarausschusses im EU-Parlament versucht der österreichische Grüne mit allen politischen Fraktionen zusammenzuarbeiten. Auch mit der FPÖ hat er keine Berührungsängste, so lange es nicht um die üblichen Streitthemen zwischen den Rechtspopulisten und den Grünen geht. „Wenn sich auf inhaltlicher Ebene Zusammenarbeit ergibt, verweigere ich mich nicht“, grinst er.
"Ich bin kein klassischer Grüner"
In der Menge der sorgsam gekleideten Anzugträger im EU-Parlament fällt der bodenständige Steirer mit T-Shirt, und eher chaotischer Sturmfrisur durchaus auf. Vollkommen uneitel agiert er: „Ich bin ja nicht gerade der klassische Grüne: Ich bin kein Akademiker, bin vom Land und ich bin ein Mann.“ Eloquent und glaubwürdig aber wirkt der Biobauer allemal, mit seinem Eintreten für ökologische Landwirtschaft, für Umwelt- und Klimaschutz. Noch sieht er sich in seiner Arbeit im EU-Parlament allerdings nicht am Ziel, hofft also, auch nach den kommenden EU-Wahlen im Mai weiter dabei zu sein. „Kandidieren werde ich auf jeden Fall“, kündigt Waitz an, „auf welchem Listenplatz, das wird sich auf dem Parteitag der Grünen entscheiden.“
“To Bee or not to be“, steht auf seinem T-Shirt zu lesen. Was sofort zur Frage führt, ob es denn stimme, was in Brüssel kolportiert wird, dass er nämlich daheim mit seinen Bienen spreche. „Ich spreche schon mit ihnen, aber sie nicht mir mit“, grinst er. Also, ein Bienenflüsterer, nein, das sei er nicht. „Wir haben 60 Völker“, erzählt er, und „wenn ich mit ihnen arbeite, kann ich im Kopf ganz abschalten. Da muss ich mich völlig auf sie konzentrieren.“
Neuerdings arbeite er wieder mehr mit dem Schutzschleier, erzählt er. „Weil es dann wegen meiner Parlamentsarbeit nicht so telegen aussieht, wenn ich mit verschwollenem, zerstochenen Gesicht eine Rede halten muss.“
Parlamentarische Arbeit sei sehr fordernd, gesteht der Neo-EU-Abgeordnete ein. „Das ist sehr viel Aufwand, wenn man die Ding substanziell verstehen und den Gesetzgebungsprozess wirklich beeinflussen will.“ Denn was der nach Jahrzehnten in der Landwirtschaft tätige sichtlich geerdete Bauer in Brüssel auf keinen Fall will, ist – „dazuschnattern“.
Spitzname "Tom Waits"
Das aber kann man Thomas Waitz nicht nachsagen. Allein schon deswegen nicht, weil er den Spitznamen „Tom Waits“ trägt – also den Namen jenes, mit tiefer Stimme, mehr grölenden als singenden amerikanische Singer-Songwriters. Er selbst habe ja lang als DJ gewerkt, lacht Thomas Waitz, „aber der Spitzname Tom Waits hat hier den Vorteil, dass sich die Leute meinen Namen merken.“
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