Grüne gewinnen Schweiz-Wahl, SVP bleibt aber stärkste Kraft
Die Grünen haben bei der Schweizer Parlamentswahl am Sonntag einen historischen Durchbruch geschafft und klopfen nun an die Regierungstür. Sie legten laut einer Hochrechnung um sechs Punkte auf 13 Prozent zu, womit sie die kleinste Regierungspartei CVP überholten. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) verbuchte ihr schlechtestes Ergebnis seit 1999, blieb aber klare Nummer eins.
Die ausländerfeindliche und europakritische SVP kam bei der Nationalratswahl auf 25,6 Prozent der Stimmen, um 3,8 Punkte weniger als 2015. SVP-Chef Albert Rösti wertete es als Erfolg, dass seine Partei "trotz monatelangen Diskussionen aller Medien über das Klima" immer noch von einem Viertel der Schweizer gewählt worden sei.
Auch die beiden anderen großen Regierungsparteien mussten Federn lassen. Die Sozialdemokraten (SP) verloren 2,3 Punkte auf 16,5 Prozent, die Freisinnig-demokratische Partei (FDP) 0,9 Punkte auf 15,5 Prozent. Nur die CVP leicht auf 11,8 Prozent (plus 0,2 Punkte) zulegen, doch zählt sie erstmals seit eineinhalb Jahrhunderten nicht mehr zu den vier stimmenstärksten Parteien des Landes.
Experten sprachen deswegen von einer "historischen Wahl". "Das ist jetzt ein ganz neues Spiel", kommentierte der Politikwissenschafter Lukas Golder im Schweizer Fernsehen die für eidgenössische Verhältnisse geradezu tektonischen Verschiebungen.
"Das ist fast ein Erdrutschsieg", zeigte sich Grünen-Chefin Regula Rytz (Bild oben) in der Elefantenrunde des Schweizer Fernsehens SRG "überwältigt" vom Erfolg ihrer Partei. Zugleich stellte sie den Anspruch auf eine Vertretung der Grünen im Bundesrat, der siebenköpfigen Schweizer Regierung. "Es ist klar, dass die Bevölkerung eine grünere Politik will", sagte sie. Da die Mitte-Links-Parteien künftig eine Mehrheit im Parlament hätten, müsse sich auch im Bundesrat etwas ändern.
SP-Chef Christian Levrat schlug in dieselbe Kerbe und verwies darauf, dass die Rechtsparteien SVP und FDP derzeit vier der sieben Regierungssitze besetzen, aber künftig laut der SRG-Hochrechnung nur noch 83 der 200 Nationalratsmandate. Bisher waren es 101 gewesen. "Spätestens" beim nächsten Rücktritt eines Regierungsmitglieds müsse daher die Verteilung der Bundesratssitze auf die Parteien diskutiert werden, signalisierte Levrat Zustimmung zu einem Grünen Bundesrat, der wohl auf Kosten der FDP gehen wird.
Untypische Bewegungen
Bei Schweizer Parlamentswahlen sind große Verschiebungen selten, die Regierungszusammensetzung ist seit sechs Jahrzehnten praktisch unverändert. SVP, SP, FDP und CVP teilen sich die sieben Bundesräte nach einer "Zauberformel" auf. Diese dürfte vor allem dann ins Wanken geraten, wenn die Grünen bei ihrem Drängen in die Regierung auch von der bürgerlichen Grünliberalen Partei (GLP) unterstützt werden sollten. Diese konnte bei der Nationalratswahl ebenfalls auf 7,6 Prozent (plus drei Prozentpunkte) zulegen. Gemeinsam stellen die beiden Ökoparteien künftig 42 Nationalräte.
Die Regierungsmitglieder werden nach jeder Parlamentswahl von den Abgeordneten gewählt, wobei wiederantretende Bundesräte traditionell im Amt bestätigt werden. FDP-Chefin Petra Gössi warnte davor, die Zauberformel "aufzulösen". "Wir sollen in dieser grünen Welle nicht alles über den Haufen werfen. Was die Schweiz stark gemacht hat, war Stabilität", sagte sie in der Elefantenrunde.
Parlamentswahlen sind in der Schweiz von geringer politischer Bedeutung, weil die Stimmbürger über wesentliche Fragen an mehreren Abstimmungstagen im Jahr direkt entscheiden. 50.000 Stimmbürger können mit ihren Unterschriften ein Referendum über ein Gesetz erzwingen. Die Volksvertretung hat somit bei den wichtigsten Fragen selten das letzte Wort.
Grüne Erfolge auch im Ständerat
Neben dem nach dem Verhältniswahlrecht besetzten Nationalrat mit 200 Mitgliedern wurde am Sonntag auch die zweite Parlamentskammer, der Ständerat, gewählt. Die 46 Ständeräte werden in den einzelnen Kantonen nach dem Mehrheitswahlrecht besetzt. Jeder Kanton hat unabhängig von seiner Bevölkerungsgröße zwei Ständeräte (bzw. einen im Fall der sechs Halbkantone).
Auch bei den Ständeratswahlen gab es zum Teil historische Ergebnisse für die Grünen. Sie konnten nicht nur einen Sitz im Westschweizer Neuenburg erobern, sondern schnappten auch einem amtierenden SVP-Ständerat im traditionell konservativen Alpenkanton Glarus das Mandat weg. Die Zusammensetzung der kleinen Parlamentskammer ist aber noch offen, weil die Hälfte der Sitze erst in einem Stichentscheid besetzt wird.
Auffallend war das landesweit gute Abschneiden von Frauen, sodass Politikwissenschafter Golder sogar von einer "Frauenwahl" sprach. In Obwalden und Zug gab es diesbezüglich sogar Einträge für die Geschichtsbücher: Die beiden Alpenkantone werden erstmals seit der Einführung des Frauenstimmrechts in den 1970er Jahren von einer Frau im Nationalrat vertreten sein. Der Kanton Uri wählte am Sonntag zum ersten Mal eine Frau in den Ständerat. Beobachter verwiesen diesbezüglich auf die Bewusstseinsbildung durch den Frauenstreik, bei dem im Juni Hunderttausende Schweizerinnen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten für mehr Gleichberechtigung auf die Straße gegangen waren.
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