Grün war die Hoffnung: Annalena Baerbocks Kampf ums Kanzleramt
Annalena Baerbock betritt die Bühne und muss zuerst einmal gegen Trillerpfeifen anreden. Freitagmittag, Theaterplatz in Chemnitz, Sachsen. Dass dies kein Wohlfühltermin wird, war klar. In Ostdeutschland hatten die Grünen schon immer einen schweren Stand. Baerbock, eingewickelt in einen blauen Mantel, redet ungeachtet der Pfiffe und Buhrufe weiter, hält das Mikrofon mit beiden Händen. Ihre Stimme ist fest. Dieses Gefühl von Gegenwind ist ihr nicht fremd. Es zieht sich durch ihren Wahlkampf.
Dieser hätte anders laufen können. Als die 40-Jährige vor fünf Monaten zur Kanzlerkandidatin nominiert wurde, schnellten die Umfragewerte nach oben. Alles schien möglich, Platz eins, das Kanzleramt, eine Wende.
Diese kam – zu ihrem Nachteil: Im Netz tauchten zuerst falsche Nachrichten auf, dann folgten echte: über nachgemeldete Nebeneinkünfte; Unstimmigkeiten in ihrem Lebenslauf; Vorwürfe, sie habe in ihrem Buch abgeschrieben. Baerbock entschuldigte sich, räumte Fehler ein. Parteifreunde zürnten, sprachen von Rufmord. Den Grünen schien der Wahlkampf kurz zu entgleiten.
Zurück in Chemnitz, wo Baerbock auf der Bühne weiter gegen Zwischenrufe anredet. In den Reihen vor ihr sind sie bemüht, zu klatschen – viele Schüler und Studenten. Einer ärgert sich über die Reporter von Spiegel TV, die Schreihälse interviewen und ihnen eine Plattform geben. Aber auch darüber, welches Bild sich wieder von der Stadt verbreitet. Chemnitz – „voll mit Nazis, Rentnern und Hools“, singt die Band Kraftklub, die von hier stammt.
Die Stadtbewohner kennen das, die vielen angereisten Journalisten haben es erwartet. Sie wieseln auf dem Theaterplatz herum, befragen Menschen, die ihre Meinung rausbrüllen, aber auf Fragen ungern antworten. Und wenn, dann mit Sonnenbrille und anonym.
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