Erdogan soll auch ein Mädchen attackiert haben

Angehörige und gerettete Bergleute warten auf Neuigkeiten von der Rettungsaktion.
Schwere Vorwürfe gegen den Premier nach dem Grubenunglück. 18 Menschen werden noch vermisst.

Bei seinem Besuch im westtürkischen Soma nach dem schweren Grubenunglück soll Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach Medienberichten zwei Passanten tätlich angegriffen haben. Ein Opfer sei ein 15-jähriges Mädchen gewesen, berichteten die Zeitung Evrensel und andere Medien am Freitag.

Das Kind sei die Tochter eines Todesopfers des Grubenunglücks und habe Erdogan in Soma als "Mörder meines Vaters" beschimpft. Erdogan habe zudem einen Bergmann geschlagen und als "Ausgeburt Israels" beschimpft.

Keine Strafanzeige

Der Bergmann, Taner Kuruca, bestätigte den Vorfall vom Mittwoch, sagte aber, er wolle keine Strafanzeige stellen, obwohl er auch von den Leibwächtern Erdogans verprügelt worden sei. Erdogan habe die Ohrfeige sicher nicht gewollt. Der Regierungschef hatte Soma am Mittwoch besucht und viele Menschen dort gegen sich aufgebracht, indem er über die angebliche Unvermeidlichkeit von Bergwerksunfällen sprach. "So etwas passiert", sagte er. Daraufhin wurde Erdogans Wagenkolonne von wütenden Demonstranten attackiert, die den Rücktritt des Ministerpräsidenten forderten.

Die Leibwächter Erdogans ließen den 60-jährigen Regierungschef vor der Abfahrt aus der Stadt vor einem Supermarkt aussteigen, wo erneut Parolen gegen die Regierung aufbrandeten. Vor dem Eingang des Geschäfts soll Erdogan die Schläge ausgeteilt haben.

Schläge am Video nicht zu sehen

Videos der Szenen im Internet zeigen Erdogan in einem Pulk von Leibwächtern und Polizisten, doch sind die angeblichen Schläge des Ministerpräsidenten nicht eindeutig zu sehen. Ebenfalls in Soma hatte der Erdogan-Berater Yusuf Yerkel auf einen am Boden liegenden Demonstranten eingetreten. Yerkel erklärte, er sei wegen zahlreicher Beleidigungen außer sich geraten und bedauere den Vorfall.

Türkische Oppositionspolitiker kritisierten Erdogan. "Das ist unser Ministerpräsident, den wir sehr gut kennen. Alle über Manieren belehren, aber sich selbst unverschämt verhalten", sagte der CHP-Politiker Gürsel Tekin. Kritik kam auch aus der ultranationalistischen Partei MHP.Der Exekutivratsvorsitz der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) veröffentlichte eine Erklärung zur Grabenkatastrophe, in der sie diese als Mord bezeichnet und "im Namen der kurdischen Freiheitsbewegung" den betroffenen Familien und Angehörigen ihr Mitgefühl und Beileid ausdrückt.

Erdogan-Berater entschuldigt sich

Ein Berater Erdogans hat sich unterdessen für Tritte auf einen in der Bergarbeiterstadt Soma am Boden liegenden Demonstranten entschuldigt. "Der Zwischenfall am Mittwoch in Soma tut mir sehr leid", zitierten Medien eine Erklärung von Yusuf Yerkel. Wegen "Provokationen, Beleidigungen und Angriffen" habe er die Selbstbeherrschung verloren (mehr dazu hier).

Erdogan soll auch ein Mädchen attackiert haben
Yusuf Yerkel tritt auf einen Demonstranten ein: Das Bild erregte weltweit Aufsehen.

Schwerstes Grubenunglück

Bei dem Grubenunglück in Soma im Westen der Türkei waren mehr als 280 Menschen gestorben. Mindestens 90 Kumpel wurden am Freitag noch immer vermisst. Die Wut über das Unglück hatte sich dabei zuletzt zunehmend gegen die Regierung Erdogans gerichtet. In Ankara, Izmir und Istanbul gingen zehntausende Menschen auf die Straße. Sie werfen der Regierung vor, Sicherheitsmängel in den Bergwerken der Türkei in Kauf genommen zu haben.

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