"New York ist stärker als jeder Terror"
Jeff Teedy ist schon lange kein Fan mehr von Rudy Giuliani. Seit der ehemalige Bürgermeister von New York dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump wie kein anderer den Steigbügel hält (siehe unten), "hat Rudy bei mir allen Kredit verspielt", sagt der 56-jährige Informatiker auf einer Parkbank am Ground Zero im Süden Manhattans. "Nur in einem Punkt muss man Giuliani Respekt zollen", findet Teedy und lässt dabei den Blick über das von Selfies schießenden Touristen gefüllte Areal schweifen, das vor 15 Jahren Schauplatz der größten Katastrophe in der jüngeren US-Geschichte war. "Er hatte nach dem 11. September recht, als er sagte: New York wird stärker und mächtiger sein als je zuvor."
5475 Tage nach 9/11, jenem wolkenlosen Dienstag, als zwei von El-Kaida-Terroristen gekaperte Flugzeuge in die "Twin Towers" des World Trade Centers einschlugen und fast 2800 Menschen den Tod brachten, ist man als regelmäßiger New-York-Besucher geneigt, Jeff Teedy zu folgen. Der Ort der Düsternis und der Verzweiflung feiert eine beispiellose ökonomische Wiederauferstehung.
Beliebter denn je
Der Boom in Zahlen: Vor den Anschlägen hatte die Gegend gerade mal sechs Hotels – heute sind es fast 30. Bevor die Jets in die Türme rasten, lebten in den abends wie ausgestorben wirkenden Straßenschluchten gerade mal 20.000 New Yorker – heute sind es drei Mal so viele. Tendenz steigend. Vor 9/11 war das Viertel tagsüber Tummelplatz von Finanz-Akrobaten, die nach 17 Uhr anderswo Zerstreuung suchten – heute verzeichnet der Sprengel um Ground Zero nach Zählung der Interessengemeinschaft "Downtown New York" im Jahr 14 Millionen Besucher aus aller Welt. 60 Millionen sind es in ganz New York.
Und die geben viel Geld aus. Bei Eintrittspreisen von 24 Dollar für das unterirdisch angelegte 9/11-Museum, das seit der Eröffnung 2014 fast sieben Millionen Gäste zählte, und 34 Dollar für eine Fahrt auf die Panorama-Plattform des "One World Observatory" kommen gewaltige Einnahmen zusammen. "Niemand hat gedacht, dass wir so robust wieder zurückkommen", sagt die Lobbyistin Jessica Lappin.
Selbstbewusst
Eckpfeiler des demonstrativen Selbstbewusstseins ist das vor zwei Jahren eröffnete "One World Trade Center" – das höchste Bauwerk der westlichen Welt. Das Observatorium auf dem Dach, dessen Besuch allein schon die zügigste Aufzugfahrt der Welt lohnt (47 Sekunden für über 100 Stockwerke – Druckausgleich nicht vergessen!), hat seit der Eröffnung im Mai 2015 bereits drei Millionen Besucher angelockt.
Ihnen bietet sich eine 360-Grad-Panorama-Perspektive mit bis zu 100 Kilometern Sichtweite. Die Freiheitsstatue (vier Millionen Besucher pro Jahr) in der Hudson Bay, das Empire State Building und der Hauptsitz der UNO wirken wie aus dem Lego-Baukasten. Ebenso die beiden riesigen Bassins, die an die Grundrisse der ursprünglichen WTC-Türme erinnern und mit den in Stein gemeißelten Namen der Opfer das Herz der oberirdischen Gedenkstätte bilden.
Das bis zur Antennenspitze 1176 Fuß hohe Haus (1776 war das Jahr der Gründung der Vereinigten Staaten) ist zu zwei Dritteln vermietet. Der Medien-Verlag Condé Nast (Vogue, Vanity Fair etc.) hat hier mit 2300 Angestellten seinen Hauptsitz; zu Quadratmeter-Mieten um die 750 Dollar. Bei Vollauslastung, so sagt ein Makler dem KURIER, würden sich jährliche Einnahmen von über 250 Millionen Dollar erzielen lassen. Gemessen an den Gesamtkosten von über vier Milliarden Dollar für den Bau, der zu allen Jahreszeiten den Charme einer verspiegelten Festung verströmt, ist es bis zur Amortisierung der Investition also noch lange hin.
Apropos Festung: Der Höchste der sieben Wolkenkratzer im Ensemble, das noch nicht fertig ist, ruht auf einem 60 Meter in die Tiefe gehenden Betonfundament. Die Außenfassaden sind aus dickem Panzerglas. Jeder Stahlträger wurde mit einer besonderen Betonschicht ummantelt. Dass die Hitze von brennendem Kerosin wie bei 9/11 den Stahl zum Schmelzen bringt, was Verschwörungstheoretiker hartnäckig anzweifeln und von einer beabsichtigten Sprengung reden, soll sich nie wiederholen.
Wie weit die Verantwortlichen die Sicherheitsvorkehrungen rund um Ground Zero treiben, zeigt sich nicht nur durch die Herrscharen von uniformierten, schwer bewaffneten Polizisten und zivilen Security-Leute. Wer als Besucher in das "One World Trade Center" möchte, muss sich Tage vorher registrieren und akribisch durchleuchten lassen. Erst dann gibt es einen Passierschein mit Foto und exaktem Zeitfenster. Wer überzieht, kriegt bei der Rückkehr in die imposante Eingangshalle, in der weißer Marmor und abstrakte Gemälde dominieren, eine Standpauke, die er nicht so bald vergisst.
Verkehrsknotenpunkt
Das gilt auch für eine Visite in der gerade erst eröffneten Hauptattraktion, dem "Oculus" (lateinisch für Auge). Das imposante Gebäude mit seiner 50 Meter hohen Kuppel erinnert an das Stahlgerippe, das von den Unglückstürmen 2001 stehen blieb. Oberirdisch ist das Objekt ein Eye-Catcher, unterirdisch ein Transitbahnhof inklusive Einkaufszentrum, in dem ein Dutzend U-Bahnlinien und täglich 250.000 Menschen zusammentreffen.
Jeff Teedy hat bereits vor Wochen einen Blick in die Kathedralen-ähnliche Haupthalle werfen können, wo 150 Edelmarken ihre Shops haben werden. "Ihnen werden hier die Augen übergehen. New York ist stärker als jeder Terror."
Das One World Trade Center
Gebäude: Das Bürogebäude ist Nachfolger der zerstörten Zwillingstürme. Es ist mit 541 Metern das höchste Gebäude der USA und das vierthöchste der Welt.
Architektur: Das Gebäude wurde von David Childs vom US-Architekturbüro Skidmore, Owings and Merrill entworfen. Grundlage war ein Entwurf von Daniel Libeskind, der 2002 den Wettbewerb gewann.
Besonderes: In 382 Meter Höhe gibt es eine Aussichtsplattform, das One World Observatory; es erstreckt sich über drei Stockwerke und ist damit die größte US-Aussichtsplattform.
15 Jahre nach 9/11 kam der damalige Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, im August schwer in die Bredouille. In einer Rede, die der glühende Trump-Unterstützer für The Donald hielt, soll er doch tatsächlich behauptet haben, dass vor der Präsidentschaft Obamas und seiner Außenministerin Hillary Clinton die USA vom islamistischen Terror verschont geblieben seien: "We didn’t have any successful radical islamic terrorist attacks in the U.S. before Obama".
Hat er vergessen, dass die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York im Stadtteil Manhattan lagen und damals mindestens 3000 Menschen ihr Leben verloren? Hat er natürlich nicht.
Rudy Giuliani hat erst nach den Anschlägen richtig viel verdient. Er war ein Profiteur des Unglücks und kassierte in einem einzigen Jahr 11,4 Millionen Dollar für Reden. Auch die Wiener Rettung wollte ihn damals einladen, konnte sich aber den geforderten Learjet nicht leisten – über das Redehonorar wurde dann gar nicht mehr verhandelt. Giuliani galt damals vielen als der beste Krisenmanager nach einem Unglück dieser Dimension. Die Queen schlug ihn zum "Knight Commander", das Time-Magazin wählte ihn zur "Person of the Year 2001".
Angehörige der ums Leben gekommenen Feuerwehrmänner sehen diese Ehrungen heute mit gemischten Gefühlen: Die Kommunikation zwischen Notrufzentrale und den Einsatzkräften vor Ort habe nicht funktioniert. Die Zentrale habe nicht rechtzeitig erfahren, dass die Türme geräumt werden, und die Anrufer angewiesen, das Gebäude nicht zu verlassen.
Giuliani hat die Vorwürfe immer zurückgewiesen. In der Wahl seiner Mittel war der Spitzenjurist immer erfinderisch und effektiv.
Der Sohn italienischer Einwanderer war New Yorks Bürgermeister von 1994 bis 2001. Mit seiner Nulltoleranz-Strategie hat er die Kriminalitätsrate in der Stadt um 57 Prozent gesenkt.
Mafia und Wall Street
Seine Karriere begann er in der Staatsanwaltschaft, wo er sich geschickt die ganz großen Fälle vornahm. 1983 hatte ein ehemaliger Boss der Bonanno-Familie seine Autobiografie "A Man of Honor" veröffentlicht. Giuliani nahm das Buch als Vorlage und klagte die Bosse der fünf mächtigsten New Yorker Mafiafamilien und ihre wichtigsten Gefolgsleute an. Es war ein immenser Erfolg, die Berichterstattung über die "Pizza Connection" machte Giuliani populär. Er stieg auf zum Bundesstaatsanwalt und legte sich mit der Wall Street an. Ivan Boesky und Michael Milken wurden wegen Insidergeschäften verurteilt. Giuliani war es auch, der die seit Dominique Strauss-Kahns Verhaftung berühmt-berüchtigten Gerichtsvorführungen vorbei an Kameras einführte. Rudy Giuliani ist in dritter Ehe mit Judith Nathan verheiratet. Mit seiner zweiten Frau, der Fernsehmoderatorin Donna Hanover, lieferte er sich einen Rosenkrieg. Aus dieser Ehe hat er zwei Kinder.
(Von Susanne Bobek)
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