Große Visionen kann Obama nicht mehr bieten

Große Visionen kann Obama nicht mehr bieten
Realismus und Selbstkritik statt großer Versprechen: Der Präsident lieferte eine schlichte Bitte um eine zweite Chance.

Change", Wandel, war das Mantra seines ersten Wahlkampfes vor vier Jahren gewesen. Im bunten Gewirr der Pappschilder auf diesem Parteitag in Charlotte war dieser Wandel nicht mehr zu finden. "Vorwärts" hatten die Parteistrategen diesmal draufschreiben lassen – und es las sich wie eine Durchhalteparole.

Durchhalten, weitermachen und vor allem weiter auf ihn und seine Reformpläne zu setzen, das war die Bitte, die der Präsident an diesem Donnerstagabend in North Carolina an seine 20.000 Zuschauer und natürlich an die Dutzenden Millionen enttäuschter Landsleute richtete . Und gerade für diese gab er sich selbstkritisch. "Heute bin ich mir der Momente meines eigenen Versagens viel bewusster", gab er unumwunden zu: "Die Wahrheit ist, dass es viel länger als ein paar Jahre dauern wird, um die Probleme zu lösen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben."

Viel vorsichtiger als vor vier Jahren ging Obama mit dem Wort Versprechen um, und wenn er sie diesmal ablieferte, dann versuchte er nicht die pathetischen Visionen von 2008 wieder hervorzuholen, sondern gab sich als Realist mit klaren Vorstellungen. Er sprach von neuen Schulen und Arbeitsplätzen, von Infrastruktur und Kampf gegen Diskriminierung von Homosexuellen: "Wirkliche, erreichbare Pläne, die zu mehr Jobs und mehr Chancen führen."

Und genau diese Pläne hätten sein Gegner Romney und die Republikaner nicht: "Alles, was die anzubieten haben, sind dieselben Rezepte, die sich schon die letzten 30 Jahre geboten haben."

Attacken auf Romney

Große Visionen kann Obama nicht mehr bieten

Anders als zu Beginn des Wahlkampfs griff Obama seinen Gegner direkt an, nicht nur wegen der Steuersenkungen, die er nur für die Reichen in petto habe, sondern auch für seine außenpolitischen Vorstellungen, die aus "Angebereien und Grobheiten" bestehen würden. Wer Russland und nicht El Kaida als Amerikas größten Feind bezeichne, sei wohl durch ein Zeitloch in den Kalten Krieg zurückgereist. "Wer nicht einmal die Olympischen Spiele besuchen kann, ohne unseren engsten Verbündeten zu beleidigen, ist nicht darauf vorbereitet, heikle Verhandlungen mit China zu führen", spielte der Präsident auf die Serie peinlicher Ausrutscher Romneys während dessen Besuch in London an.

Der Präsident, der einst davon geträumt hatte, aus dem Amerika der Demokraten und dem der Republikaner wieder ein Amerika zu machen, versuchte nun mit aller Härte, den Trennstrich zwischen ihm und seinen Gegner so dick und deutlich wie nur irgendwie möglich zu ziehen.

Starker Staat

Die Entscheidung, die seine Landsleute bei dieser Wahl zu treffen hätten, sei "die klarste seit einer Generation". Parteigrande Bill Clinton, hatte in seiner Rede noch versucht, den Präsidenten von dem "Sozialismus" wegzurücken, für den ihn die Republikaner verteufeln. Obama selbst aber lieferte ein Plädoyer für einen starken Staat, der sich um seine Bürger kümmern, den Ärmsten helfen und die Grundstrukturen für die Gesellschaft bauen solle.

"Wir glauben nicht, dass die Regierung der Grund für alle unsere Probleme ist", konterte er die Attacken der Republikaner, gegen Washington. Er wisse, "dass eine Regierung nicht alle unsere Probleme lösen kann", "die Republikaner aber wollen, dass diese Regierung fast gar nichts tut." Weniger Gesetze und größere Steuersenkungen seien nach deren Ansicht die einzige Antwort auf alles: "Wenn du keine Krankenversicherung zahlen kannst, dann wirst du halt nicht krank", prangerte Obama die simplen Lösungen seiner Gegner an: "Wenn du kein Geld hast, um aufs College zu gehen, dann borg es dir von deinen Eltern aus."

Er wolle nicht behaupten, dass sein Weg schnell oder sogar leicht zu gehen sei: "Ich habe nie gesagt, dass diese Reise einfach wird", griff der Präsident zum Schluss noch einmal die Enttäuschung vieler Amerikaner über seine erste Amtszeit auf: "Unser Pfad ist steiniger, aber er führt an einen besseren Ort. Unsere Straße ist länger, aber wir gehen sie gemeinsam."

"Obamas Rede war konkreter"

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In Charlotte hat Präsident Obama eine überzeugende, positive, aber realistische Rede gehalten, meint Bill Buzenberg vom Washingtoner Institut für politische Analysen, Center for Public Integrity.

KURIER: Konnte Obama damit die "Swing voters", also die "Wechselwähler", von sich überzeugen?

Bill Buzenberg: Für eine Rede, die nur etwa 40 Minuten gedauert hat, hat er sehr viele Informationen h­ineingepackt. Präsident Obama hat damit aber gute Arbeit geleistet. Seine Ansprache war überzeugend und sehr positiv, aber auch sehr realistisch. Arbeitsplätze, Gesundheit und Investitionen im Bildungsbereich waren unter den Leitthemen der Rede. Im Bereich der Außenpolitik hat er seine Erfahrung unterstrichen, als ein Mann, der harte Entscheidungen treffen musste. In den kommenden Tagen erwarte ich aber auch sehr viel Kritik vonseiten der Republikaner.

Wie unterscheidet sich seine Rede von der seines Gegners Mitt Romney in Tampa, Florida, vergangene Woche?

Obamas Rede hat Politik beinhaltet. Sie war viel konkreter. Da ging es etwa um Energiepolitik. Und er hat es vermieden, der anderen Seite die Schuld zu geben.

Wo sahen Sie Defizite?

Ich glaube nicht, dass es irgendwelche gab. Er hat die Hauptthemen angesprochen. Genau diese Themen wird man später auch bei den Debatten zwischen Obama und Mitt Romney und deren Vizes Joe Biden und Paul Ryan wiederfinden. Obama konnte doch vielleicht etwas direkter die unabhängigen Wähler ansprechen. Doch seine Ansprache war moralisch aufrichtend und ehrlich. Er sprach über seinen Erfolg bis jetzt und hat die Voraussetzungen für weitere vier Jahre im Weißen Haus geschaffen.

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