Nervenkitzel: Reform oder der Weg in den Grexit

Nervenkitzel: Reform oder der Weg in den Grexit
Athen will drittes Hilfspaket. Prüfer finden Antrag "brauchbar". Dennoch wenig Zuversicht.

Monatelang haben die EU-Staats- und Regierungschefs mit enormem Einsatz Krisenfeuerwehr für Griechenland gespielt. Die stechenden Flammen konnten sie nicht löschen. Es brennt weiterhin lichterloh. – Mit diesem Bild wird in Brüssel die katastrophale Lage des seit 32 Jahren zur EU gehörenden Mittelmeerlandes beschrieben.

Das Bild könnte noch dramatischer werden, wenn die linkspopulistische Regierung bis Donnerstag kein nachhaltiges Reformprogramm der Euro-Gruppe vorlegt. Das ist das Ultimatum an Griechenland, formal ist von einer "allerletzten Frist" die Rede, welche die Euro-Staats- und Regierungschefs in der Nacht auf Mittwoch ihrem Amtskollegen gestellt haben. Mit sarkastischem Ausdruck im Gesicht – so beschreiben es mehrere Teilnehmer – hat Premier Alexis Tsipras das hingenommen.

Oligarchen im Visier

Erkennt er den Ernst der Lage?, diese Frage stellen sich viele. In seiner Rede am Mittwoch im Europäischen Parlament, analysierte er die Probleme, kündigte an, dass er gegen "Oligarchen und Interessensverbände" vorgehen werde und die Steuereintreibung zusammengebrochen sei.

Einen Schritt setzten die Griechen am Mittwoch: Die Regierung stellte einen Antrag an den Euro-Rettungsfonds ESM für ein drittes Hilfspaket. "Ziel eines neuen Hilfsprogrammes muss sein, die Belastungen für die Bevölkerung gerechter zu verteilen", sagte Tsipras.

Noch Mittwoch Nachmittag prüfte die Euro-Arbeitsgruppe den Antrag und befand ihn als "brauchbar". Sie warnte allerdings auch vor zu viel Optimismus. Es gebe keine Hilfe ohne Bedingungen, heißt es in Brüssel eindringlich .

Der Vizepräsident der Kommission, Valdis Dombrovskis, bestärkte diese Haltung. "Nur mit umfassenden Strukturreformen kann die finanzielle Stabilität Griechenlands gesichert werden." Wenn es das nicht gibt, "kollabiert das Land", sagte Frankreichs Notenbank-Chef Christian Noyer. Das heißt unvermeidliche Staatspleite.

Frist bis Sonntag

Die Schritte bis zum Sonntag, bis zur finalen Deadline im Drama, sind vorgezeichnet: Mittwochnachmittag trat der EZB-Rat zusammen, um die Verlängerung der Notkredite zu prüfen.

Am Freitag, so sieht es das Krisen-Drehbuch vor , prüfen Experten der Euro-Staaten die griechischen Reform-Vorschläge, entweder Freitagabend oder am Samstag findet ein weiterer Euro-Finanzministerrat statt – im Übrigen das zehnte Treffen in nur 23 Tagen. Drei Mal kamen die EU-Granden bisher zu einem Gipfel zusammen. Sollten die Athener Pläne nach gründlicher Analyse für ein drittes Hilfsprogramm aus dem ESM, den Geldgebern nicht ausreichend erscheinen, werden sich die Staats- und Regierungschef am Sonntag zum vierten Mal zu einem Krisengipfel in Brüssel treffen. Dann geht es nur noch mehr um zwei Dinge: Einen Plan B, das langsame Ausscheiden aus der Eurozone und die Rückkehr zur Drachme, sowie um humanitäre Hilfe für die Leidtragenden der "Operation Tsipras", der "mit verbrecherischen politischen Aktionen das Land einen Schritt vor den Absturz manövriert hat", kommentierte die Athener Tageszeitung Eleftheros Typos.

Schon jetzt bricht die Wirtschaft zusammen, die Banken bleiben bis mindestens einschließlich Montag geschlossen, und die Kapitalverkehrskontrollen bleiben aufrecht. Supermärkte sind teilweise leergekauft, Transporte können nicht bezahlt werden, weil Spediteure das Benzin nicht mehr zahlen, und Krankenhäusern gehen die notwendigen Medikamente aus.

Hilfe für die Ärmsten

Allerdings tut sich die EU mit der humanitären Hilfe auch schwer: Für eine schnelle Hilfe für ein Euro-Land in Not gibt es keine Vorlage. Starten nun Hilfsflüge, um Reis und Antibiotika nach Athen zu fliegen? Aber Gelder gibt es, die auch sofort locker gemacht werden können: 281 Millionen Euro sind für die nächsten Jahre vorgesehen, um die Ärmsten mit Essen, Kleidern, Schuhe, Seife und Ärzten zu versorgen. Die Auszahlung des Geldes kann auch vorgezogen werden.

Angezapft werden könnten auch noch andere Fonds. Wenn es um rasche Hilfe geht, hat die EU noch nie gezögert. "Die Griechen, die in Elend leben, vergessen wir nicht", beruhigte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Spricht so jemand, der noch an eine Einigung mit den Geldgebern glaubt und diese auch anstrebt, selbst wenn das einen Kompromiss erfordert? Oder war das doch eher schon die Rede, aus der man in ein paar Tagen wird ablesen können, wieso es kein neues Hilfsprogramm für Griechenland gibt?

Ein Umdenken, sei es wegen der ergebnislosen Verhandlungen der vergangenen fünf Monate oder schlicht wegen des erhöhten Drucks der Eurozone, war beim Auftritt des Alexis Tsipras vor dem EU-Parlament in Straßburg am Mittwoch nicht zu erkennen.

Sein Land sei für ein Experiment in Sachen Austerität missbraucht worden, sagte der griechische Premier: "Dieses Experiment ist fehlgeschlagen." Nirgendwo anders sei in den Krisenjahren so hart gespart worden wie in Griechenland – so könne es nicht weitergehen.

Aber wie dann? Konkrete Antworten blieb Tsipras auch diesmal schuldig.

"Genug gespart"

Seine Regierung werde "in den nächsten Tagen die entscheidenden Fragen beantworten", versprach Tsipras. Unter großem Applaus vor allem von links und rechts außen legte er nur vage und alt bekannte Richtlinien für Reformen dar: Entscheidend sei, dass die "Lasten der Reformprogramme gleich verteilt werden". Griechenland brauche ein "zukunftsgerichtetes Wachstumsprogramm", oberste Priorität habe dabei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. "Die Arbeitnehmer und die Pensionisten vertragen keine zusätzlichen Lasten mehr", sagte Tsipras. Stattdessen müssten die mittleren und oberen Schichten sowie die Unternehmen die Last der Krise schultern.

Einmal mehr forderte Tsipras auch Gespräche über einen Schuldenschnitt.

Antrag auf neue Hilfe

Am Donnerstag soll es also detaillierte Pläne aus Athen geben. Bereits am Mittwoch stellte die Regierung den Antrag auf neue Hilfen beim Euro-Rettungsschirm ESM. Am Nachmittag beriet die Eurogruppe und gab das Okay für Verhandlungen.

Im Schreiben an den ESM beantragt Finanzminister Euklides Tsakalotos ein Hilfsprogramm über drei Jahre. Erste Reformversprechen sollen ab Anfang kommender Woche umgesetzt werden; in Aussicht gestellt werden Maßnahmen im Steuer- und Pensionssystem.

Die EZB beriet am Mittwoch über eine Erhöhung des Rahmens für die Notkredite, mit denen die griechischen Banken über Wasser gehalten werden. Im Vorfeld galt es als fix, dass die Kredite nicht erhöht, aber auch nicht gekappt werden.

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