Alexis Tsipras rinnt die Zeit davon

Premier Tsipras, Medien-Dauergast, verknüpft sein Schicksal mit dem Referendum.
Der hellenische Premier hat mit der Ausrufung des Referendums hoch gepokert. Am Mittwoch soll es ein neues Angebot an die Eurozone geben.

Mit wie viel Euphorie seine Amtszeit doch begonnen hatte: Nach dem Wahltriumph Ende Jänner wurde Alexis Tsipras im eigenen Land nachgerade messianisch gefeiert, auch in Teilen der Eurozone als Hoffnungsträger willkommen geheißen. In Frankreich, in Italien wurde Tsipras sogleich mit offenen Armen empfangen, die linken Regierungschefs hofften, dass dem links-linken Politiker gelingen würde, was ihnen versagt blieb: Europa vom Joch der Merkel’schen Austeritätspolitik zu befreien. Doch statt Europa zu erobern, befindet sich Tsipras fünf Monate später in einem Rückzugsgefecht, auch im eigenen Land, das zumindest seine Hoffnungen auf ein Umdenken der Eurozone zunichtemachen, möglicherweise auch seine Amtszeit sehr bald beenden wird.

Verbündete an wichtigen Stellen hat Tsipras keine mehr, seit er mit der Ankündigung des Referendums über die jüngsten Sparvorschläge der Geldgeber die Verhandlungen in Brüssel kurz vor der Ziellinie abgebrochen hat. Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der als letzter Unterstützer Tsipras’ in Brüssel galt, rechnete am Montag in einer emotionalen Rede ab („Ich fühle mich verraten“). Italiens Premier Matteo Renzi, als scharfer Kritiker der europäischen Bürokratie und Sparpolitik ein logischer Verbündeter, warf Tsipras am Dienstag vor, den Deal mutwillig zum Scheitern gebracht zu haben. Die Euro-Partner seien entschlossen, Griechenland zu retten, sagte Renzi: „Das müssen jedoch auch die Griechen wollen, ansonsten funktioniert die Rettung nicht.“

Bruch mit Brüssel

So wenig nachvollziehbar die griechische Verhandlungsführung in den vergangenen Monaten oft war, so deutlich scheint jetzt Tsipras’ Strategie zu sein: Weil er in den Verhandlungen mit den Geldgebern nicht weit genug gekommen ist, geht er auf Konfrontationskurs. Seine Ankündigung, im Vorfeld der Volksabstimmung für ein „Nein“ der Griechen zu den Sparplänen der Geldgeber zu stimmen, war der endgültige Bruch mit Brüssel. Auch die gestern fällig gewesene Kreditrate von 1,5 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) hat Athen nicht bezahlt.

Nüchtern betrachtet kann Tsipras fast nur noch einen Pyrrhussieg erringen: Seine Referendums-Volte dürfte im einen Fall ihn seinen Job als Premierminister kosten und im anderen sein Land in den Staatsbankrott, womöglich sogar aus der Eurozone treiben. Denn bei einem „Ja“ der Griechen müsste Tsipras als Regierungschef zurücktreten. Bei einem „Nein“ aber scheint eine baldige Einigung am Brüsseler Verhandlungstisch ausgeschlossen.

Tsipras pokert hoch: Bei der Parlamentswahl hat Syriza 36 Prozent der Stimmen erhalten. Die Mehrheit der Griechen will in der Eurozone bleiben. Die Bankferien und Kapitalkontrollen, die ersten Engpässe bei Benzin und Lebensmitteln, von denen berichtet wird, sind ein Vorgeschmack dessen, was den Griechen bei einem „Nein“ bevorsteht; anschauliche Werbung für ein „Ja“.

Wahlkampf-Modus

Bis Sonntag heißt es für Tsipras jetzt: Wahlkampf. Für ein „Nein“, gegen Sparmaßnahmen, gegen die Geldgeber-Troika, gegen Brüssel. Nur wenige Tage hat Tsipras also Zeit, um eine Mehrheit der Griechen davon zu überzeugen, dass es ihnen im Ernstfall besser geht mit ihm und ohne Euro als umgekehrt. Zu diesem Wahlkampf gehört auch, die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen, und damit für die Zuspitzung der Lage, der Gegenseite zuzuschreiben: In Brüssel veröffentlichte man zu diesem Zweck das „letzte Angebot“ der Geldgeber, Kommissionschef Juncker wandte sich am Montag direkt an die Griechen, um ihnen zu erklären, es sei „kein dummes Sparpaket“. Dazu immer wieder die Feststellung, es läge doch ein Angebot parat – Tsipras müsse es nur annehmen.

Wer hat Schuld am Scheitern?

Tsipras drehte den Spieß am Dienstag um – mit einem eigenen Last-minute-Angebot: Das (aus-)laufende Hilfsprogramm solle verlängert werden; dazu soll ein neues her, das die Griechen finanziell über Wasser hält; plus ein Schuldenschnitt, der für Luft sorgt. Von einer „Ja“-Kampagne, wie Brüssel sie fordert, will Tsipras jedoch nichts wissen. Die Euro-Finanzminister lehnten diesen Vorschlag in einer Telefonkonferenz Dienstag Abend ab. Über das Ansuchen eines dritten Hilfsprogramms werde „auf dem üblichen Weg“ beraten – ohne Eile, Schnellschüsse ausgeschlossen.

Damit ist das zweite Hilfsprogramm für Griechenland ausgelaufen. Schon am Mittwoch will Athen jedoch neue Vorschläge unterbreiten – die die Eurogruppe umgehend beraten will. In Diplomatenkreisen hieß es, Athen habe signalisiert, dass man an ein Aussetzen der Abstimmung denken könnte. Tsipras pokert offenbar weiter – bis zur allerletzten Minute.

Das letzte Angebot:

Vorschlag: Als der griechische Premier Tsipras Frei- tagabend seine Pläne für ein Referendum verkündete, saßen die Experten der Geldgeber-Institutionen (EZB, IWF, EU-Kommission) in Brüssel gerade mit
den griechischen Verhandlern am Tisch. Bevor diese aufstanden, sei man einer Einigung sehr nahegekommen.

Überbrückung: Das Angebot sah eine schnelle Auszahlung von Zinsgewinnen vor, die die EZB mit dem Kauf griechischer Staatsanleihen gemacht hatte. Mit diesem Geld sollte die nächste Rate an den IWF beglichen werden.

Verlängerung: Das zweite Hilfsprogramm sollte um fünf Monate verlängert werden. In dieser Zeit hätte Athen schrittweise Reformen – u.a. Privatisierungen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und Kürzungen der Pensionen – umsetzen sollen. Im Gegenzug wären die restlichen 7,2 Mrd. aus dem Hilfspaket geflossen.

Umschuldung: Athen wurde die Streckung von Krediten in Aussicht gestellt. Dazu ein drittes Hilfsprogramm und bis zu 35 Mrd. EU-Förderungen bis 2020.

Seit Tagen kommen Tausende am Syntagma in Athen – dem Platz der Verfassung – vor dem griechischen Parlament zusammen. Mal sind sie "für", mal "gegen" ein Abkommen mit den internationalen Gläubigern. Die Griechen sollen darüber am Sonntag in einem kurzfristig einberufenen Referendum abstimmen.

Die jüngsten Umfragen Ende der Vorwoche zeigen, dass die Mehrheit der Griechen eine Vereinbarung mit EU, EZB und IWF unterstützt: 57 Prozent laut Meinungsforscher Alco, und 47,2 Prozent nach Kapa Research. Allerdings wurden die Befragungen vor der Ankündigung des Referendums durchgeführt. Ob die Wähler ihre Meinung seitdem gerändert haben, wollten beide Institute dem KURIER nicht verraten. "Die Lage ist sehr schwierig, wir können nichts sagen", meint man bei Alco. Diese Woche machen die Meinungsforscher neue Umfragen, unklar ist jedoch, ob sie die Ergebnisse öffentlich machen.

"Das sind in der Schnelle, per Telefon geführte Befragungen, die man nur mit Vorsicht genießen sollte", sagt Prof. Dimitri Sotiropoulos, Politologe an der Athener Universität, dem KURIER. Er ist auch einer der Wenigen, die eine Prognose zum Ausgang der Volksabstimmung wagen: "Es wird knapp."

" Ich weiß nicht, wie sich die Kapitalkontrollen auf die Wähler auswirken – ob sie das verärgert und in Richtung Ablehnung treibt oder ob sie Angst bekommen, dass nach einem "Nein" ihr Leben noch schlimmer wird", analysiert der Medienbeobachter George Tzogopoulos.

"Hoffen auf das Beste"

"Die Leute haben Angst, dass wir sogar aus der EU herausfliegen könnten", meint eine Serviererin in einem Lokal im Zentrum von Athen. Panos, ein Informatiker, und seine Frau Renata, sind unsicher, was auf sie zukommt, erklären sie bei einer Syriza-Kundgebung: "Alle Reformen in den vergangenen Jahren haben nichts gebracht. Was wir durch das Referendum erreichen, weiß ich nicht, aber wir hoffen auf das Beste."

Panos und Renata sind dagegen, ohne den Vorschlag der Gläubiger gelesen zu haben. Sie lesen in den Medien darüber, und hören, was Premier Tsipras sagt.

"Wie sollen meine Mutter, und meine Oma in der Provinz diese Frage verstehen?" ärgert sich Maria, eine Beamtin in Athen. Sotiropoulos meint die Fragestellung sei "nicht fair und kompliziert. Logisch wäre auch, im ersten Kasten die Ja-Antwort zu haben, und im zweiten das ,Nein‘," kritisiert er, und fügt hinzu: "Das Referendum wird nicht auf guten Informationen basieren. Das wird eine emotionale Wahl sein."

9,9 Millionen Griechen sind wahlberechtigt. Mindestens 40 Prozent davon sollen zum Referendum kommen, damit man das Ergebnis anerkennen kann. Einige wie Maria schaffen es aber nicht. Sie ist in ihrer Heimatstadt Thessaloniki im Wahlregister eingetragen, kann es sich aber nicht leisten, zur Abstimmung dorthin zu reisen. Mit dem Drucken der Wahlzettel hat man bereits am Montag begonnen. Fraglich ist, ob man sie bis Sonntag zu allen Wahllokalen transportieren kann. Normalerweise benötigt der Staat für diese Unternehmung bis zu zwei Wochen.

Das für Sonntag angekündigte Referendum hat die griechischen Parteien gespalten, nicht ideologisch, sondern in ihrer Stellung zur EU. Gegen das Abkommen mit den Gläubigern EZB, EU-Kommission und IWF haben sich die radikalen Parteien zusammengefunden. Neben der regierenden radikalen linken Syriza steht auch ihr Koalitionspartner – die rechten nationalistischen Unabhängigen Griechen (ANEL). Ihr Chef und Verteidigungsminister Panos Kammenos lehnte die Reformvorschläge aus Brüssel als ein „Ultimatum“ ab. Ihn erbost die Forderung der „Institutionen“ nach einer Kürzung des Verteidigungsbudgets um 400 Millionen Euro – doppelt so viel, wie Athen vorgeschlagen hatte.

Die Neonazis

„Goldene Morgenröte“ und die kommunistische KKE sind generell gegen Griechenlands Mitgliedschaft in der EU.
Die anderen Oppositionsparteien – die konservative Nea Dimokratia, die sozialistische PASOK und die neue liberale Bürgerbewegung To Potami – fürchten den Euro-Austritt und sind deswegen für ein „Ja“ zum Abkommen. Sie haben am Wochenende im Parlament gegen das Referendum gestimmt.
Schulz nach Athen?Und wie wird sich die EU, werden sich die anderen 18 Euro-Staaten in den griechischen Referendums-Wahlkampf einbringen? In Brüssel heißt es, man müsse die Griechen „bestmöglich aufklären“ – darüber, was in den Sparvorschlägen steht, und auch darüber, welche Folgen ein „Nein“ haben könnte. Parlamentspräsident Martin Schulz hat angekündigt, zu diesem Zweck auch nach Athen fliegen zu wollen.

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