"Grexit" wird zur realen Bedrohung

Eine Lösung mit Athen ist nicht in Sicht – in Brüssel wird Griechenlands Euro-Aus durchgespielt.

Entscheidungen über Rettungsprogramme, Hilfspakete oder Schuldenschnitte für Griechenland sind in den vergangenen Jahren stets in der sprichwörtlich letzten Minute gefallen. In den aktuellen Schuldengesprächen jedoch muss man sich zum ersten Mal ernsthaft auf die realistische Möglichkeit einstellen, dass es keine rechtzeitige Einigung gibt zwischen den Geldgebern und der griechischen Regierung.

Offiziell wird freilich noch nicht vom Szenario eines "Grexit" gesprochen: "Wir arbeiten dafür, dass Griechenland ein Mitglied der Eurozone bleiben kann, natürlich begleitet von Reformanstrengungen des betreffenden Landes", sagte der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel am Freitag. Und aus Athen heißt es, eine Einigung bis zur planmäßigen Sitzung der Euro-Finanzminister am Donnerstag sei ohne Weiteres möglich.

Doch die Zeichen stehen nicht gut: Seit Monaten kommt man sich in den strittigen Punkten nur minimal näher; am Donnerstag hat der IWF den Verhandlungstisch in Brüssel wegen "kompletten Stillstands" in zentralen Fragen verlassen (siehe unten). Und ebenfalls am Donnerstag haben, so heißt es in gut informierten Kreisen, Vertreter der Euro-Staaten erstmals ernsthaft darüber gesprochen, welche Auswirkungen eine Pleite Griechenlands hätte.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einem möglichen "Grexit":

Das Hilfsprogramm läuft bis Ende Juni. Gibt es ohne Einigung am 1. Juli ein Grexit?

Nein. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass das laufende Programm ohne Einigung noch einmal verlängert wird – das würde wieder ein paar Wochen "kaufen". Griechenland braucht zwar dringend Geld – im Hilfspaket warten noch 7,2 Milliarden, die im Gegenzug für Reformen fließen sollen –, doch wann Athen pleite ist, kann niemand genau sagen.

Wer trifft die Entscheidung, dass Griechenland den Euro verlässt?

Die griechische Regierung. Sie könnte jederzeit die Einführung einer neuen nationalen Währung beschließen. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie dazu gezwungen wird, um den völligen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern.

Wie sieht ein mögliches Pleite-Szenario aus?

Gilt Griechenland bei den Gläubigern als pleite – z. B. weil Athen eine Rate an den IWF oder die EZB nicht bezahlt hat –, dann müsste die EZB die laufende Notfallversorgung für die griechischen Banken kappen. Die Institute wären praktisch sofort nicht mehr flüssig oder gar insolvent. Griechenland würde nicht mehr an frisches Geld kommen, der Staat wäre pleite – und die Regierung müsste eine neue Währung einführen.

Würde ein Grexit das Land ins Chaos stürzen?

Vorübergehend ziemlich sicher. Die Regierung müsste "Bankferien" verordnen und Kapitalverkehrskontrollen und Abhebe-Limits anordnen, um zu verhindern, dass die Griechen ihre verbliebenen Euro ins Ausland bringen. Das könnte zu Chaos führen – wenn die Griechen kein Geld mehr haben, um einzukaufen, und die Geschäfte kaum noch Waren importieren können.

Muss Griechenland dann aus der EU austreten?

Ein Euro-Austritt ist rechtlich nicht vorgesehen, ein EU-Austritt hingegen schon. Manche Politiker leiten daraus ab, dass die Griechen mit der Eurozone auch die EU verlassen müssten – eindeutig geklärt ist dieser Punkt aber nicht.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat genug vom griechischen Taktieren. Die Verhandler sind abrupt aus Brüssel abgereist. Sprecher Gerry Rice wollte das nicht als Abbruch der Gespräche sehen: „Der IWF steht nie vom Tisch auf.“

Dennoch: Die Europäer könnten in Sachen Griechenland künftig auf sich allein gestellt sein. Der IWF, 1944 als globale Finanz-Feuerwehr gegründet, steht nämlich selbst vor der Zerreißprobe. Früher waren nur arme Entwicklungs- und Schwellenländer auf seine Hilfe angewiesen. Mittlerweile sind aber fast zwei Drittel der Notkredite in der Eurozone ausständig: 49 von 76 Milliarden Euro entfallen auf Portugal, Griechenland, Irland und Zypern. Viele der anderen 184 Mitgliedstaaten, die meisten um vieles ärmer, fragen sich, warum sie das Risiko mittragen sollen: Sollen die reichen Europäer doch selbst mit ihren Problemen fertig werden.

Knackpunkt Pensionen

Weil die USA und Europa großen Schwellenländern wie Brasilien und China zu wenig Mitsprache einräumen, gründen diese nun eigene Institutionen: Ende Juni startet die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB). Die Glaubwürdigkeit von IWF-Chefin Christine Lagarde steht somit auf dem Spiel. Um Griechenland mitfinanzieren zu können, hat der IWF seine Regeln bis über jede Schmerzgrenze gebeugt. Er darf nur Kredite vergeben, wenn absehbar ist, dass sie zurückgezahlt werden können. Für Athen ist das aber durch den Wirtschaftseinbruch und den aufgekündigten Sparkurs bekanntlich höchst fragwürdig.

Der Kompromiss, den sich die Geldgeber vor einer Woche abgerungen haben, ist das letzte Angebot für Athen, das der IWF mittragen kann. Gegenüber früheren Vorgaben werden darin deutlich geringere Budgetüberschüsse verlangt. Noch zu viel, heißt es aus Athen. Bei den Pensionen sollen 1,8 Mrd. Euro pro Jahr eingespart werden, eine höhere Mehrwertsteuer soll ebenso viel bringen. Auch das will der griechische Premier Alexis Tsipras nicht akzeptieren.

„Das griechische Pensionssystem ist nicht tragfähig“, beharrte der IWF-Sprecher. Athen müsse zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus dem Budget zuschießen, im Rest der Eurozone seien es 2,5 Prozent. Rice behauptete gar, die Altersbezüge seien im Durchschnitt kaum niedriger als in Deutschland, die Griechen gingen dafür sechs Jahre früher in Rente. In Athen werden diese Angaben heftig bestritten.

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