"Grexit"-Streit auf höchster Ebene
Noch zeigen alle wichtigen Akteure der Griechenland-Verhandlungen starke Nerven – nach außen hin. Nach innen sieht die Sache ganz anders aus. Der Eklat beim informellen Finanzministerrat vergangenen Freitag in Riga hat es deutlich gemacht. In informierten Zirkeln in Brüssel und anderswo ist der Euro-Austritt Griechenlands längst eine "reale Option", bestätigen dem KURIER verschiedene Gesprächspartner.
Die Linie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble ist bekannt Griechenland-kritisch. Schäuble betonte zuletzt, dass die Euro-Zone einen Austritt Griechenlands ("Grexit") "locker verkraften" könnte.
Merkel-Unterstützer
Hinter der deutschen Position formieren sich jetzt Regierungen jener Länder, die harte Sparprogramme hinter sich haben und deren Mindestlöhne und Mindestpensionen weit unter jenen Griechenlands liegen. Dazu zählen die baltischen Staaten, die Slowakei, Slowenien, aber auch Spanien und Portugal.
Die Haltung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist hingegen völlig anders. Demonstrativ zeigt er sich als Griechenland-Versteher, "einen ,Grexit‘ wird es zu 100 Prozent nicht geben", und "eine Zahlungsunfähigkeit kommt nicht infrage", äußerte er zuletzt mit kritischem Blick auf Berlin.
Dass es zwischen Merkel und Juncker seit Längerem Spannungen gibt, ist kein Geheimnis, doch Junckers Signale an Athen "Wir werden euch retten" geht der strengen deutschen Bundeskanzlerin zu weit. Unmissverständlich habe sie dem Kommissionspräsidenten zu verstehen gegeben, dass er mit diesen Aussagen aufhören solle und seine Taktik nicht aufgehen werde, heißt es von Insidern in Berlin.
Zu den Spannungen Juncker-Merkel kommen fundamentale Differenzen zwischen Vertretern der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Euro-Gruppe in der Griechenland-Arbeitsgruppe. Der portugiesische EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio betont, dass ein Staatsbankrott nicht automatisch ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone bedeuten würde. "Ich möchte nicht spekulieren, aber wir in der EZB sind sicher, dass es zu keinem griechischen Exit kommen wird." Eine mögliche Pleite "bedeutet noch nicht automatisch, dass Griechenland aus dem Euro fliegt", so der Banker vor wenigen Tagen.
Tiefe Kluft
Konträr zu dieser Sichtweise ist die Meinung der Drahtzieher in der Euro-Gruppe. "Es gibt Regeln", heißt es dazu in Brüssel. Es könne nicht sein, dass die EZB auf Teufel komm raus Griechenland finanziere, um dessen Liquidität aufrechtzuerhalten, sagen hochrangige Euro-Gruppen-Beamte.
Aus Athen Julia DamianovaBeim Wegfahren vom Maximum Mansion, dem Amtssitz des griechischen Premiers Alexis Tsipras, hat Finanzminister Yanis Varoufakis am Wochenende nicht wie sonst üblich den Schaulustigen und Journalisten auf der Straße zugewunken. Nachdem er seinem Chef über das Eurogruppen-Treffen in Riga berichtet hatte, machte er sich schnell auf seinem Motorrad davon. Vielleicht hat er schon damals erfahren, dass ihn der Premier diese Woche entmachten würde.
Damit will Athen Gläubigern seinen guten Willen zeigen, meinen Beobachter. In Riga wollte Athen seine Gläubiger überreden, dem Land die restlichen 7,2 Mrd. Euro aus dem Finanzhilfepaket zu überweisen. Das Treffen endete als Desaster: Seine EU-Kollegen gaben dem griechischen Finanzminister zu verstehen, dass er „Amateur“ sei, und beschuldigten ihn der Zeitverschwendung.
Chemie stimmte nicht
Gleich nach seinem Amtsantritt im Jänner war Varoufakis durch sein auffälliges Auftreten und großes Ego zu einer Art internationalem Medienstar geworden. Die Chemie zwischen dem Uni-Lehrer und seinen EU-Kollegen hat darunter von Beginn an gelitten. Das sah man schon beim ersten Gespräch mit Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem in Athen, der Varoufakis die Hand nicht schütteln wollte. Umgekehrt fühlte sich Varoufakis in letzter Zeit offenbar immer unwohler im Kreise seiner Kollegen: Griechische Medien berichten, dass er in Riga zum offiziellen Abendessen gar nicht erst erschienen sei.
Nun soll also der stellvertretende Außenminister Euclid Tsakalotos die Verhandlungen mit den Gläubigern koordinieren. Laut seinem Büro sei das keine große Veränderung, da alle bisherigen Mitglieder im Team blieben. Aber selbst Tsipras gab zu, dass Varoufakis Probleme mit seiner Kollegen aus der Eurogruppe habe.
Künftig soll sich Varoufakis nur um die politische Seite der Verhandlungen kümmern und zu den Eurogruppe-Treffen reisen. „Der Premier hat aus dem Ausland Beschwerden über seinen Finanzminister bekommen, wollte ihn aber nicht kündigen, damit es nicht aussieht, als ob er dem externen Druck nachgeben würde“, sagt der Politologe George Tzogopoulos zum KURIER. Tsakalotos gilt als das Gegenteil von Varoufakis. Er ist in Holland geboren, hat in Oxford studiert und genießt einen guten Ruf in Brüssel. Früher war er auch Mitglied der konservativen Nea-Dimokratia-Regierung von Antonis Samaras. Tsakalotos unterrichtete Wirtschaft an der Athener Universität und gilt als ruhig, fast schüchtern, aber mit scharfem Verstand.
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