Flüchtlingsansturm stellt jetzt Schengen infrage

Zwischen allen Fronten: Afrikanische Flüchtlinge in der italienischen Grenzstadt Ventimiglia – die französischen Behörden verweigern den Menschen die Einreise
Frankreich weist Migranten aus Italien ab, Deutschland warnt vor einem Ende der offenen Grenzen.

Während die EU-Innenminister in Luxemburg um eine bessere Kooperation in der Migrationspolitik rangen, zeigte sich zur selben Zeit 900 Kilometer südlich, wie angespannt die Lage angesichts der trägen Reaktion der Politik auf den Flüchtlingsansturm aus dem Mittelmeer mancherorts schon ist. Die italienische Polizei vertrieb am Dienstag Dutzende Migranten, die seit Tagen auf den Felsen von Ventimiglia ausgeharrt hatten (mehr zur Lage in Ventimiglia hier).

In der italienischen Grenzstadt warten mehrere Hundert Flüchtlinge darauf, nach Frankreich weiterreisen zu können. An der Grenze werden sie von der französischen Polizei abgewiesen. Innenminister Cazeneuve sagt, es handle sich um keine Blockade, doch sei Rom verpflichtet, den Flüchtlingen zu helfen.

Asylverfahren

Dahinter steckt ein Konflikt um die sogenannte Dublin-Regelung: Sie besagt, dass Asylverfahren im ersten EU-Land abzuwickeln sind, das ein Flüchtling betritt. Weil aber Staaten wie Italien, wo heuer 200.000 Migranten erwartet werden, oder Griechenland mit der Versorgung der Gestrandeten überfordert sind, lassen sie viele einfach weiterreisen. Gibt es nicht rasch eine Einigung auf neue gemeinsame Aktionen, etwa eine Quote zur Verteilung von Flüchtlingen, dann könnte das ganze Schengen-System bedroht sein: Italien hat angedroht, mangels Unterstützung durch die EU-Partner massenweise Flüchtlinge mit Schengen-Visa auszustatten. Als Reaktion bzw. Prävention könnten andere Staaten beschließen, ihre Schengen-Grenzen zumindest vorübergehend wieder zu schließen. "Wir wollen keine systematischen Grenzkontrollen wiedereinführen", so der deutsche Innenminister Thomas de Maizière. "Aber wenn Verantwortlichkeiten nicht erfüllt werden, dann könnte am Ende das Ende vom freien Verkehr in Europa stehen."

Bei ihren Beratungen rückten die Innenminister von einer verbindlichen Flüchtlingsquote ab. Die Kommission hat vorgeschlagen, 40.000 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea neu zu verteilen, um Italien und Griechenland zu entlasten. Kommende Woche sollen sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel damit befassen.

Achse Wien–München

Indes haben Österreich und Bayern gemeinsam abgelehnte kosovarische Asylwerber abgeschoben. 136 Personen wurden in einer Charter-Maschine von München über Wien in den Kosovo gebracht. Die EU finanzierte den Flug.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Jyrki Katainen, sagt es ganz unaufgeregt: "Die Flüchtlingsströme sind kein temporäres Phänomen, sondern ein permanentes. Wir müssen dafür eine Lösung finden, aber das heißt nicht, dass wir alle Türen öffnen. Das ist nicht unser Ziel", betont er gegenüber dem KURIER.

Katainen nennt Maßnahmen, um die zunehmende Zahl an Flüchtlingen und Asylwerbern einzudämmen. "Wir müssen vermeiden, dass es zu noch mehr Toten im Mittelmeer kommt." Der Kampf gegen die Schlepper müsse unbedingt verstärkt werden, aber es sei "unrealistisch", auf hoher See militärisch gegen Flüchtlingsboote und Menschenschmuggler vorzugehen. Katainen glaubt nicht, dass es für ein militärisches Eingreifen im Mittelmeer das nötige Mandat des UN-Sicherheitsrates geben werde.

Er appelliert eindringlich an die EU-Staaten, Flüchtlinge und Asylwerber gerecht aufzuteilen. Es sei "nicht fair", nur wenige Länder zu belasten. "Wer weiß, was mit der Ukraine noch passiert?", fragt er rhetorisch. Asylzentren außerhalb der EU seien möglich, aber "delikat".

Auf die Frage, ob die EU-Kommission eine Alternative präsentieren werde, wenn die Mitgliedsländer das bereits vorgelegte Quotensystem ablehnten, sagt der Vizepräsident, dass es derzeit "keine konkreten Pläne" gebe. Es komme aber auch darauf an, das "mentale Klima" zu ändern.

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