Grasser schreibt mit und schweigt

Karl-Heinz Grasser, sein Anwalt Norbert Wess (ganz links) und Spezi Walter Meischberger
Während sein Anwalt zum Rundumschlag gegen die Anklage ausholt, zeigt Karl-Heinz Grasser keine Emotionen.

Er sitzt vorne links. Dort, wo man dem Zimmer am nächsten ist, durch das Angeklagte und Anwälte in den Gerichtssaal marschieren. Das Zimmer ist ein Rückzugsraum, ein Ort, an dem man ungesehen und ungestört ist.

Und für Karl-Heinz Grasser ist der ihm zugewiesene Platz mehr als praktisch.

Es ist der dritte Tag im BUWOG-Prozess, und was den früheren Minister angeht, ist vieles wie an den Tagen zuvor: Wenn Richterin Marion Hohenecker den Prozesstag eröffnet, ist der 48-jährige unter den Letzten, die aus dem Rückzugszimmer treten; verkündet Hohenecker eine Pause, entschwindet Grasser meist als einer der Ersten durch den Seitenausgang.

Gespräche mit Journalisten? Mit Gerichtskiebitzen? Darauf hat Grasser – vorerst – keine Lust. Ab und zu unterhält er sich mit Sitznachbar Walter Meischberger; dann – natürlich – mit seinen Anwälten Manfred Ainedter und Norbert Wess, zwischendurch mit Rechtsvertretern der anderen Angeklagten, aber das war’s.

Akribische Notizen

Was längst nicht bedeutet, der Ex-Minister würde sich für den Prozess mäßig interessieren, im Gegenteil: Karl-Heinz Grasser verfolgt alles, was im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts passiert, mit auffallender Aufmerksamkeit. Und das liegt nicht nur daran, dass an diesem Donnerstag sein Anwalt zum Verteidigungsplädoyer anhebt.

Wie in den Tagen zuvor macht er sich akribisch Notizen. Er hat ein schwarzes Notizbuch. Und ganz so, als müsste er die wichtigsten Aussagen mit stenografieren und dem Gesagten Struktur geben, schreibt er in sein Heft. Mit wechselnden Farben, mal Rot, mal Schwarz. Besonders Wichtiges wird mit leuchtenden Text-Markern hervorgehoben.

Wenn Karl-Heinz Grasser auf der Anklagebank irgendwie dem Bild des eifrigen Schülers oder Studenten entspricht, dann ist Norbert Wess, sein Strafverteidiger, der Professor.

Denn zumindest was seinen Vortrag, die Verteidigungsrede, angeht, geht es der Experte für Wirtschaftsstrafrecht über weite Strecke wie ein Uni-Vortragender an.

Nachdem er erklärt hat, dass ihn die "Show" der Staatsanwälte erschüttert habe, will Wess der "politischen" Anklage Fakten entgegenhalten. Wie macht er das?

Indem er dutzendfach und über Stunden Text-Passagen aus der Anklage zitiert und mit Power-Point an die Wand projiziert. Allen Text-Teilen ist eines gemein: Das Oberlandesgericht hat sie kritisiert bzw. aufgehoben, und der Anwalt will damit klarstellen: Hier hat die Staatsanwaltschaft schlampig und einseitig ermittelt bzw. angeklagt.

Markantes Glissando

Tatsächlich hat das OLG von den vier ursprünglich angeklagten Teil-Aspekten am Ende nur zwei genehmigt – die Schmiergeld- und die Untreue-Vorwürfe im BUWOG-Verkauf sowie die Einmietung der Finanzverwaltung ins Linzer Terminal Tower.

Darauf stützt sich Wess, und das erzählt er mit solchem Nachdruck, dass seine Stimme mit einem markanten Glissando in die Höhe fährt.

Der Schönheitsfehler am Vortrag ist nur: Bei seinem, ob all der Zitierungen und Rechtsverweise an einen Uni-Vortrag erinnernden Plädoyer macht Wess keinen Unterschied zwischen Passagen, die genehmigt und Passagen, die verworfen wurden.

Mit anderen Worten: Der Anwalt kritisiert vielfach Teile der Anklage, die ohnehin längst verworfen wurden und im Prozess gar nicht mehr zur Debatte stehen.

Ist das Teil der Verwirr-Taktik der Verteidigung? Handelt es sich um die berühmten "Nebelgranaten", vor denen die Staatsanwälte eindringlich gewarnt haben?

Endgültig können diese Fragen nicht beantwortet werden. Doch in manchen, zentralen Punkten, kann Wess zumindest Zweifel säen: Etwa bei dem Vorwurf, Grasser habe Spezi Walter Meischberger den entscheidenden Hinweis gegeben, wie hoch man bieten muss, um die BUWOG-Wohnungen zu bekommen. Das ist der Kern der Anklage, und als Beweismittel werden vom Staatsanwalt die Notizen von Grassers engem Mitarbeiter Heinrich Traumüller herangezogen. Laut Anklage soll Traumüller am 4. Juni 2004 die Anbotssumme von 960 Millionen notiert haben. Wess legt eine Notiz vor, wonach der Grasser-Mitarbeiter die Summer erst am 7. Juni erfahren hat – wie soll er sie also am 4. verraten haben? "Es gibt es kein Indiz dafür, dass der entscheidende Tipp von Grasser kommt. Es geht sich zeitlich auch gar nicht aus" , sagt Wess. Für den Hauptangeklagten müssen die Ausführungen seines Strafverteidigers Balsam auf der Seele sein. Trotzdem zeigt Karl-Heinz Grasser weder Freude noch sichtbare Zustimmung. Keine Regung, keine Emotion. Stattdessen notiert und protokolliert er.

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