Wenn der Golfstrom nicht mehr strömt, wird es in Wien eisig
Mit innerhalb von Sekunden schockgefrosteten Landstrichen wie im Katastrophen-Blockbuster „The Day After Tomorrow“ von 2004 muss man auch künftig nicht rechnen. Doch die Grundannahme des Films, signifikante Klimaveränderungen durch den Zusammenbruch des Golfstroms, könnte definitiv eintreffen, das steht nun fest.
Eine Ende vergangener Woche in Science Advances veröffentlichte Studie gibt laut den niederländischen Autoren erstmals eine „klare Antwort“ auf die Frage, ob das atlantische Strömungssystem AMOC, zu dem der Golfstrom gehört (siehe Infobox unten), unter bestimmten Bedingungen kollabieren könnte.
„Schlechte Nachrichten für das Klimasystem und die Menschheit“, resümieren die Autoren. Denn die AMOC spielt eine entscheidende Rolle für das Weltklima und ist insbesondere für die relativ milden Temperaturen in Europa verantwortlich.
AMOC
Die Atlantic Meridional Overturning Circulation (Nordatlantische Umwälzzirkulation) ist die Wärmepumpe Europas. Das Meeres-Förderband transportiert große Mengen Wärme und Nährstoffe in den Nordatlantik, wo das Wasser absinkt und in der Tiefe zurück nach Süden fließt.
Neue Daten
Bisher war nur ein Verlangsamen der AMOC belegt. Die neue Studie belegt nun erstmals die Befürchtung, dass sie tatsächlich ihren Kipppunkt erreichen und vollständig zum Erliegen kommen könnte.
Wird der Kipppunkt erreicht, ist es zu spät
Für ihre Arbeit fütterten die Forscher der Universität Utrecht einen Supercomputer mit verschiedenen Daten und Modellen und ließen in sechs Monate lang rechnen. Das Ergebnis: Das Strömungssystem nähert sich tatsächlich seinem Kipppunkt; also jenem Punkt, an dem eine unumkehrbare Dynamik einsetzt. Damit bestätigt die niederländische Studie frühere Forschungen, die ein Erlahmen des Systems feststellten.
Die AMOC funktioniert wie eine gigantische Umwälzpumpe. Warmes Wasser aus der Karibik strömt nach Norden bzw. Nordosten, kühlt ab, sinkt dadurch ab und fließt in der Tiefe wieder zurück nach Süden. Pro Sekunde bewegt dieses System 20 Millionen Kubikmeter Wasser und transportiert dabei mehr als eine Million Gigawatt Wärmeenergie – das entspricht knapp dem Hundertfachen des Gesamtenergieverbrauchs der Menschheit.
Nimmt nun aber der Salzgehalt des Wassers ab, und das tut er durch das vom menschengemachten Klimawandel befeuerten Abschmelzen des Grönlandeises seit längerer Zeit, kann das komplexe System zum Erliegen kommen. Denn je süßer das Wasser, desto leichter ist es – und leichteres Wasser sinkt irgendwann nicht mehr ab.
Wann der Kipppunkt erreicht wird, lässt sich nicht sagen; dazu sind weitere Daten nötig. Grundsätzlich bestätigt die Studie aber frühere Erhebungen, dass es noch in diesem Jahrhundert, vielleicht sogar innerhalb weniger Jahrzehnte so weit sein könnte.
Die Auswirkungen wären verheerend
Wann auch immer: Die Folgen eines Zusammenbruchs des Systems wären laut Studie „katastrophal“. In manchen Regionen, etwa in Nordamerika, würde der Meeresspiegel um bis zu einen Meter steigen und küstennahe Gebiete fluten.
Im Amazonas würden sich Regen- und Trockenzeit umkehren, was höchstwahrscheinlich den ohnehin angeschlagenen Regenwald über seinen eigenen Kipppunkt schieben würde. Die weltweiten Anbauflächen für Weizen und Mais würden sich laut einer OECD-Studie aus dem letzten Jahr halbieren.
Nicht zuletzt würden sich die globalen Temperaturen ändern. Während sich die Südhalbkugel noch schneller erwärmen würde, würde Europa deutlich kühler, aber nicht auf die gute Art.
Aufgrund der erwarteten Geschwindigkeit der Änderungen sei eine Anpassung „fast unmöglich“. Zum Vergleich: Derzeit erwärmt sich die Erde um etwa 0,2 Grad pro Jahrzehnt. Bräche der Golfstrom zusammen, würde sich Europa um drei Grad pro Dekade abkühlen.
Wien drohen eisige Winter
Besonders extrem wären die Auswirkungen in Nordeuropa: Um bis zu 15 Grad könnte die Jahresmitteltemperatur hier innerhalb von 75 Jahren sinken. Doch auch in Österreich würde es signifikant kälter, in Wien etwa um vier Grad. „Das Klima würde deutlich kontinentaler“, sagt Klimaforscher Marc Olefs von der Geosphere Austria.
Das heißt: Während die Sommertemperaturen nur um rund ein Grad zurückgehen würden, betrüge der Rückgang im Winter bis zu acht Grad. Damit entspräche das Winter-Klima in Wien dem heutigen am Arlberg auf 2.100 Metern Seehöhe. Gleichzeitig würde es trockener.
Was zu tun ist, um all das zu verhindern, ist klar: „Wir müssen die Emissionen deutlich rascher reduzieren und nicht mit dem Hausverstand, sondern auf Basis wissenschaftlicher Fakten Entscheidungen treffen“, sagt Olefs.
Was zu tun ist, ist für die Wissenschaft klar
Seine To-Do-Liste für die Verantwortlichen: Ein Klimaschutzgesetz, ein schärferes Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG), eine höhere CO2-Bepreisung, die Abschaffung fossiler Subventionen und die Einführung von Tempo 100.
„Es geht wirklich darum, wahre Klima- und damit Generationenverantwortung zu übernehmen“, so Olefs. „Den Wohlstand, den wir haben, haben wir den stabilen Klimabedingungen zu verdanken.“
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