Gelassenheit in Seoul: "Korea ist sicherer als Deutschland"

Trotz Nordkorea-Krise und Konflikts zwischen Pjöngjang und Washington. "Wenn ich an die Terroranschläge und die Kriminalität in Deutschland und in Europa denke, ist trotz aller aktuellen Bedrohungen Korea sicherer."

Die Nordkorea-Krise und der Konflikt zwischen dem Diktator Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump mögen die halbe Welt beunruhigen, die Südkoreaner sehen gelassen zu. Die nordkoreanischen Raketentests, der Auftakt der amerikanisch-südkoreanischen Militärmanöver und der geplante Besuch Trumps in Seoul: Südkorea lebt mit der Bedrohung.

" Korea ist sicherer als Deutschland", ist Lim Cheol-hwan überzeugt. Lim ist nicht eine Art Propagandaminister der südkoreanischen Regierung, sondern Unternehmer und repräsentativ für die überwiegende Mehrheit der Südkoreaner, die der Konflikt nicht kümmert. "Wenn ich an die Terroranschläge und die Kriminalität in Deutschland und in Europa denke, ist trotz aller aktuellen Bedrohungen Korea sicherer." In seiner fünftausendjährigen Geschichte sei Korea so oft angegriffen und besetzt worden, dass es daran gewöhnt und dadurch immer stärker geworden sei."Korea hat die Kraft, die eigene Bevölkerung und die Ausländer zu schützen."

Seoul liegt nur 50 Kilometer von der Grenze zum kommunistischen Norden entfernt. Das U-Bahn-Tunnelsystem der südkoreanischen Hauptstadt ist das größte der Welt. Allein der Schacht der Linie 5 ist knapp 50 Kilometer lang. Zentrale Haltestellen bestehen aus bis zu sieben Ebenen unter Tage.

"Diese Unterwelt war vor vielen Jahren auch als Zivilschutzsystem gedacht", erläutert Kim Dal-eon, ehemaliger Katastrophenschutzverantwortlicher von Incheon, einer Stadt, die mit Seoul zu einem Ballungszentrum mit 20 Millionen Menschen zusammenwächst, der Hälfte der südkoreanischen Bevölkerung. "Für den Fall nordkoreanischer Angriffe auf die Hauptstadtregion waren die U-Bahn-Schächte als Schutzbunker für Millionen Menschen gedacht." Doch die aktuelle Lage sei weder für die Stadtregierung ein Grund, das Bunkersystem wiederzubeleben, noch für die Bevölkerung ein Anlass, Hamsterkäufe zu tätigen. "Niemand denkt an solche Maßnahmen."

Die 28-jährige Zahnarzthelferin Kim Cho-rong aus Incheon scheint sich sogar über die Frage, ob sie besorgt sei, zu wundern. Ihre Generation macht sich nicht nur keine Gedanken über die prekäre Lage, sie interessiert sich auch gar nicht dafür.

"Bei einer Aggression aus dem Norden schnappe ich den Rucksack und renne in die U-Bahn-Schächte"

Es scheint, als machte sich nur die Kunstmalerin Un Yon-yang aus Seoul ein paar Sorgen. Sie hat für den Ernstfall einen großen Rucksack vorbereitet, vollgestopft mit Notverpflegung, Feuerzeug, Taschenmesser, Schutzmaske, Handschuhen und einer warmen Jacke. "Bei einer Aggression aus dem Norden schnappe ich den Rucksack und renne in die U-Bahn-Schächte. Ich weiß aber, dass die meisten Leute nicht so denken", sagt die Künstlerin, während sie sich unbeirrt von der politischen Lage auf drei Ausstellungen ihrer abstrakten Bilder vorbereitet. "Natürlich hoffe auch ich, dass trotz der aggressiven Töne zwischen Pjöngjang und Washington nichts passiert. Wir brauchen viel, viel Dialog mit dem Norden, um ein Verhältnis aufzubauen."

"Wir Südkoreaner sind dabei nicht involviert. Wir müssen für den Kriegsfall nur unseren Boden anbieten"

"Das ist allein eine Krise zwischen den USA und Nordkorea", meint Park Kwang-jae, emeritierte Germanistikprofessorin und Deutschland-Expertin, mit leichtem Sarkasmus. "Wir Südkoreaner sind dabei nicht involviert. Wir müssen für den Kriegsfall nur unseren Boden anbieten."

"Wenn es zum Krieg kommt, wird es der Dritte Weltkrieg, dann sterben wir alle. Wir werden also entweder alle gemeinsam leben oder gemeinsam sterben"

"Wenn es zum Krieg kommt, wird es der Dritte Weltkrieg, dann sterben wir alle. Wir werden also entweder alle gemeinsam leben oder gemeinsam sterben", ist Park überzeugt. Ähnlich der Germanist Hong Kil-pyo von der Eliteuniversität Yonsei in Seoul. "Ich wohne in der Nähe des Präsidentenpalastes. Wenn etwas passiert, werde ich allein deshalb als einer der ersten sterben. Aber bei einem Angriff mit einer Atombombe möchte ich ohnehin auf gar keinen Fall überleben."

"Sollte es zum Krieg kommen, sind beide Koreas gleichzeitig zu Ende"

"Wenn etwas passiert, können wir alle nicht überleben. Dann wünschen wir uns nur noch den schnellen Tod", pflichtet ihm sein Kollege Joo Ill-sun bei. "Sollte es zum Krieg kommen, sind beide Koreas gleichzeitig zu Ende. Wir haben nur diese eine Wahl: Frieden und Leben oder Krieg und Tod. Dazwischen kann es nichts geben."

"Ehrlich machen wir uns nur wegen dieser beiden Idioten Sorgen"

Mit der permanenten Bedrohung zu leben, gehöre zum koreanischen Alltag, ist zu hören. "Was soll man denn machen, wir müssen damit leben." Joo und Hong vergleichen die Situation Südkoreas mit jener Israels, das ebenfalls unter Bedrohung leben müsse. Hamsterkäufe und andere Vorkehrungen sind kein Thema. "Ehrlich machen wir uns nur wegen dieser beiden Idioten Sorgen." Gemeint sind die Machthaber in Pjöngjang und Washington. Ein Beamter im Wiedervereinigungsministerium ist erleichtert, dass Nordkorea das Gründungsjubiläum der Partei der Arbeit am 10. Oktober nicht zum Anlass genommen hat, wieder eine Rakete abzuschießen.

Das hatte man in Seoul befürchtet. Die Raketenaktivitäten Kim Jong-uns beobachtet Lee auch aus ganz persönlichem Interesse: Für seinen nahenden Ruhestand baut er zur Zeit ein Haus nördlich von Seoul, nur drei Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt. Sollte Kim Raketen auf die südkoreanische Metropole abfeuern, würden die Geschoße über sein Haus hinwegfliegen.

Niemand in Politik und Wirtschaft Südkoreas, niemand im diplomatischen Corps ändert seine Terminplanungen wegen möglicher Aggressionen. Die Aktienkurse steigen unbeirrt. Die Planungen und Werbung für die Olympischen Winterspiele, die im Februar nächsten Jahres in Pyeongchang stattfinden, laufen jenseits der Weltpolitik weiter. Nur ein Tankstellenbesitzer auf der Insel Jindo hofft, dass sein Sohn, dessen zweijähriger Marine-Wehrdienst in Kürze endet, nicht wegen der Bedrohungen verlängern muss. Es sieht aber nicht danach aus.

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