Israels "Tor zur Welt" ist zu
Die Ankunftshalle wie leergefegt, auf der Anzeigentafel der Flüge der rote Schriftzug "canceled"; vor den Fluglinienschaltern dagegen Schlangen von Reisenden, die weg wollen und versuchen, umzubuchen: Der Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv bot am Mittwoch ein ungewohntes Bild.
Denn seit die US-Luftfahrtbehörde FAA am Dienstag beschlossen hatte, alle Flüge nach Tel Aviv für mindestens 24 Stunden zu untersagen, und weitere Fluglinien, darunter auch AUA und Fly Niki, mit 36-Stunden-Cancelings folgten, ist gut ein Drittel aller Flüge von und nach Israel ausgefallen. Gestern verlängerte die AUA und die FAA die Streichung ihrer Flüge um weitere 24 Stunden.
Für Israel ein Desaster: Der Flughafen Ben Gurion ist Israels "Tor zur Welt". Dementsprechend heftig reagierte Transportminister Israel Katz: Er rief dazu auf, die Entscheidung der Flugstreichungen rückgängig zu machen, Abflüge und Landungen seien völlig sicher. Die Streichung sei eine "Belohnung für den Terror der Hamas".
US-Außenminister John Kerry (der am Mittwoch aus Kairo kommend bei Tel Aviv landete) hatte zuvor in einem Telefonat mit Premier Benjamin Netanyahu versichert, dass die Flugstreichungen nicht politisch motiviert seien (um Druck auf Israel zu einer Waffenruhe im Gaza-Streifen auszuüben, Anm.), sondern allein aus Sicherheitsgründen getroffen worden seien. Am Dienstag war eine Rakete der Hamas nahe dem Flughafen eingeschlagen. Die israelische Raketenabwehr "Eiserne Kuppel", die 90 Prozent aller Raketen abfängt, hatte diese nicht abgeschossen, weil Trümmer den Flughafen bedroht hätten.
"Gefahr abschätzen"
Aber warum erfolgte die Streichung der Flüge erst zwei Wochen nach Beginn des Raketenbeschusses durch die Hamas? "Die Fluglinien stehen im engen Kontakt mit Luftfahrtbehörden, Regierungsstellen und Geheimdiensten, um die Gefahr abzuschätzen", sagt der Luftfahrt-Sachverständige Thomas Friesacher. Die Fluglinien versuchen, den Betrieb so lange wie möglich aufrecht zu halten, denn "es geht sehr viel Geld verloren, wenn Buchungen vorliegen, die dann storniert werden müssen."
Vor Kurzem hat auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit eine offizielle Warnung ausgesprochen, Tel Aviv anzufliegen. Diese ist zwar nicht bindend für die Fluglinien, verleiht aber wirtschaftlichen Nachdruck: "Für das kurze Aufrechterhalten des Flugbetriebs in so einer Situation will keine Fluglinie die riesigen Versicherungskosten zahlen."
Für Friesacher sollten solche Entscheidungen aber von staatlicher Seite angegangen werden: "Die Luftlinien sind nur ein Puzzle-Teil. Wenn die Luftfahrt-Organisationen und der Staat die grüne Fahne heben, dann würde ich auch meine Operation aufrechterhalten." Zwar sei es möglich, Flugrouten so zu planen, dass Krisengebiete wie die Ukraine, Israel oder Syrien gemieden werden. "Das würde aber die Kosten und damit die Flugpreise erhöhen", sagt Friesacher.
Der entspannte Strandurlaub und das Sightseeing in Tel Aviv wurde für 350 österreichische Urlauber in Israel vom blutigen Nahost-Konflikt überschattet. Wer wieder in die Heimat will, hat aber derzeit schlechte Karten – Austrian Airlines (AUA) handelt im Sinne der Sicherheit und fliegt auch am Donnerstag noch nicht den israelischen Flughafen Ben Gurion an (siehe links). Per SMS informierte das Außenministerium die Reisenden.
Laut AUA-Sprecher Peter Thier warteten am Mittwoch keine Österreicher auf eine Rückreise, da die Betroffenen auf andere Fluglinien umgebucht wurden und über Paris oder Bukarest oder mit El Al zurückkehrten. Wie sich die Situation in den kommenden Tagen entwickelt, will die AUA Donnerstag abklären.
Wer dann unfreiwillig in Tel Aviv festsitzt, obwohl der Arbeitsalltag schon wieder losgehen sollte, braucht sich laut Arbeiterkammer-Expertin Irene Holzbauer keine Sorgen machen: "Angestellte haben in solchen Fällen Anspruch auf bezahlte Freistellung. Arbeiter müssen im schlimmsten Fall unbezahlt freigestellt werden."
In jedem Fall muss der Chef sofort verständigt werden. Weiter den Strand genießen dürfen die Reisenden aber nicht. "Es muss alles Zumutbare versucht werden, um zurückzukommen", sagt Holzbauer. Gibt es also Verbindungen anderer Fluglinien, muss man umbuchen. Mehrkosten übernehmen meist die Fluglinien, oder man muss sie einfordern.
Der UN-Menschenrechtsrat hat am Mittwoch eine Untersuchung der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen beschlossen. Nach einer siebenstündigen Debatte stimmten 29 Mitglieder für eine von den Palästinensern eingebrachte Resolution. Es gab 17 Enthaltungen und nur eine Gegenstimme, die von den USA kam.
Das Untersuchungsteam soll noch festgelegt werden, der Menschenrechtsrat erwartet einen Bericht bis zum März 2015. Für den Antrag stimmten arabische und andere muslimische Länder, China, Russland sowie Staaten aus Lateinamerika und Afrika. Die Enthaltungen kamen von europäischen Ländern. Israel ist im Menschenrechtsrat nicht selber vertreten, hatte aber Rederecht. Der italienische Botschafter Maurizio Serra kritisierte im Namen der Europäischen Union, dass die Vorlage die Verantwortung der radikalislamischen Hamas und das Recht Israels auf Selbstverteidigung nicht erwähne.
UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hatte im Laufe des Tages Hinweise auf Kriegsverbrechen durch die israelische Seite angesprochen. "Es scheint eine starke Möglichkeit zu geben, dass das humanitäre Völkerrecht in einer Weise gebrochen wurde, die Kriegsverbrechen darstellen könnte", sagte Pillay. Sie bezog sich dabei auf israelische Angriffe, bei denen im Gazastreifen hunderte Zivilisten getötet wurden, unter ihnen zahlreiche Kinder.
Der Hamas warf Pillay "wahllose Angriffe" auf Wohngebiete in Israel vor. "Einmal mehr werden die Prinzipien der Unterscheidung und der Vorsicht nicht deutlich beachtet", sagte sie. Die Sondersitzung war von den Palästinensern und den arabischen Staaten einberufen worden. Die europäischen Länder und die USA unterstützten die Einberufung nicht.
Der palästinensische Außenminister Riad Malki sagte, Israel begehe im Gazastreifen "abscheuliche Verbrechen". Der israelische Botschafter Eviator Manor sagte, die Hamas begehe Kriegsverbrechen, indem sie auf israelische Städte und Dörfer Raketen abfeuere und indem sie Zivilisten missbrauche, wenn sie sie vor Abschussbasen postiere.
In dem 16-tägigen Konflikt wurden inzwischen mehr als 680 Palästinenser getötet, die meisten von ihnen Zivilisten. Auf israelischer Seite wurden 32 Soldaten und zwei Zivilisten getötet. Alle internationalen Bemühungen um einen baldigen Waffenstillstand scheiterten. Derzeit halten sich UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und US-Außenminister John Kerry zu Gesprächen in der Region auf.
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