Hilferuf aus Gaza: "Mein kranker Sohn muss hier raus - und Tausende andere Kinder"

Zu helfen, das war für Mohammed Wadi beruflicher Alltag. Seit Jahren ist er Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Gazastreifen, hat für sie Medikamente und medizinisches Material für die Spitäler in Gaza-Stadt organisiert. Seine derzeitige Hilflosigkeit aber stürzt den 40-Jährigen in völlige Verzweiflung, vor allem weil sie seinen eigenen Sohn betrifft. "Ich kann für Yoran nichts mehr tun - außer zusehen, wie es ihm täglich schlechter geht." Der Siebenjährige hat von Geburt an eine schwere Störung der Hirnfunktion, war immer auf besondere Betreuung angewiesen. "Es war viel Mühe, aber wir hatten es geschafft, dass er ein halbwegs normales Leben führen konnte", erzählt der Vater dem KURIER: "Er konnte gehen und sprechen." Doch alle Fortschritte sind dem Krieg in Gaza zum Opfer gefallen. "Es gibt all die Medikamente, die er brauchen würde", nicht mehr, die Räumlichkeiten sind zerstört und die Menschen, die ihn behandeln könnten, sind geflüchtet, oder tot."
Ein Schicksal, das so wie Yoran, rund15.000 Menschen in Gaza zur Zeit tritt, darunter fast 5000 Kinder. Es sind Menschen mit chronischen Krankheiten, für die es keine Medikamente mehr gibt, oder so schweren Kriegsverletzungen, dass man sie unter den herrschenden Bedingungen nicht operieren kann. Auch für Menschen mit Krebs gibt es in Gaza keine Behandlungsmöglichkeiten. Besonders tragisch ist das für Kinder, die an Leukämie erkrankt sind. An sich ist Leukämie meist gut behandelbar, aber weder Hilfsorganisationen, noch das verbliebene öffentliche Gesundheitssystem haben die Möglichkeiten dazu.
Kinder mit Leukämie - In Gaza kann man ihnen nicht mehr helfen
Ähnlich ist die Situation für Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz. Menschen, die dialysepflichtig sind, bekommen keine Behandlung im Gazastreifen. "Fast gesamte Infrastruktur des Gesundheitssystems ist zerstört, erzählt der MSF-Mitarbeiter, "es gibt nicht einmal mehr die Möglichkeit simple Infektionen zu bekämpfen." Auch sein Sohn kämpft mit solchen Infektionen. Durchfall und nicht heilende Wunden sind die Folgen. Die Schmerzen führen bei Yoran zu Krämpfen, was seine Lage noch schlimmer macht.
"Ich habe viele Länder um Hilfe gebeten - umsonst"
Mohammed hat durch seine Arbeit für MSF gute Kontakte, auch ins Ausland. "Mir war schon vor Wochen klar, dass ich ihn irgendwie hier rausbringen muss", berichtet er über seine Bemühungen: "Ich habe Kontakt zu den diplomatischen Vertretungen vieler europäischer Länder aufgenommen, Frankreich, Italien, Großbritannien, habe dort um eine Evakuierung von Yoran angesucht - es war umsonst. Ich habe oft nicht einmal eine Antwort bekommen."
Deutliche Kritik, auch an Österreich
Die israelische Gesundheitsbehörde COGAT zeigt sich inzwischen bereit, diese medizinisch dringend notwendigen Evakuierungen zu unterstützen. MSF, dessen Mitarbeiter weiter im Gazastreifen im Einsatz sind, weiß, wie man diese Evakuierungen auch praktisch durchführen könnte. Woran es derzeit scheitert, ist die Bereitschaft der Europäer auch wirklich Patienten aufzunehmen. "Bisher haben nur neun Länder der EU eine kleine Anzahl an Patienten aufgenommen. Insgesamt sind es nur etwa 300", übt man bei MSF deutliche Kritik - auch an Österreich: "Hier wird keine einzige Person behandelt. Dabei hätten wir Kapazitäten und auch entsprechend spezialisierte Krankenhäuser.“
Mohammed kann sich darum derzeit ohnehin nicht kümmern. Er versucht im Chaos der neuen Fluchtbewegung im Gazastreifen - "Es sind schon wieder Hunderttausende unterwegs" - seiner Familie und seinem Sohn irgendwie das Überleben zu sichern, denn da fehlt es inzwischen an allem: "Ich habe in meiner Arbeit so oft berechnet, wie viel Wasser ein Mensch pro Tag für das Nötigste braucht, und ich weiß, dass die eineinhalb Liter, die es momentan gibt, dafür nicht reichen." Für Yoran hat er sich inzwischen mehrmals auf den Weg gemacht, um Wasser zu suchen: "Ich bin gestern erst sieben Kilometer gelaufen, um eine Flasche Wasser zu kaufen." Er fand eine und kaufte sie, um umgerechnet fünf Euro: "Der Mann, der sie mir verkauft hat, war ein Plünderer, hat eine Hilfslieferung ausgeraubt, aber was hätte ich für eine Wahl gehabt."
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