Gaddafi-Clan in Algerien

Gaddafi-Clan in Algerien
Die engsten Angehörigen des Diktators haben das Land verlassen. Tochter Aischa soll einen Tag nach der Flucht ein Kind bekommen haben.

Einen Tag nach ihrer Flucht nach Algerien hat Gaddafis Tochter Aisha am Dienstag ein Mädchen zur Welt gebracht. Für die 35-jährige Anwältin, die früher als "Libyens Claudia Schiffer" gefeiert wurde, ist es das vierte Kind.

Die Wut der neuen libyschen Führung kann das nicht besänftigen: Sie fordert von Algerien die Auslieferung Aishas, ihrer Brüder Hannibal und Mohammed und Gaddafis Ehefrau Safia. Sie alle sollen vor Gericht gestellt werden: "Wer den Gaddafis Unterschlupf gewährt, ist ein Feind des libyschen Volkes."

Die Aufnahme des Clans bedeutet eine schwere Belastung des Verhältnisses der beiden Nachbarn, die eine mehr als 1000 Kilometer lange Grenze verbindet. Algeriens Präsident Abd al-Aziz Bouteflika gilt als Freund Gaddafis. Nach außen gab sich der 74-Jährige zwar immer "strikt neutral", doch hat er den Übergangsrat bisher nicht anerkannt.

Gaddafi-Clan in Algerien

Anfangs soll er Kampfflugzeuge ohne Hoheitszeichen gegen die libyschen Rebellen losgeschickt haben. Als die NATO die Flugverbotszone einrichtete, versorgte Bouteflika das bedrängte Regime angeblich mit Waffen, Militärfahrzeugen und auch Söldnern. So wurden in Gaddafis Hauptquartier in Tripolis 400 Kämpfer der Polisario-Befreiungsfront für die Westsahara gefangen genommen, die sonst in Algerien ihre Lager haben.

Die NATO bombardiert jetzt die beiden möglichen Gaddafi-Verstecke Sirte und Bani Walid. Die Rebellen stellten den Hochburgen des Diktators ein Ultimatum zur kampflosen Aufgabe bis Samstag. Der schon zwei Mal totgesagte Gaddafi-Sohn Khamis, der eine berüchtigte Sondereinheit kommandierte, soll auf dem Weg nach Bani Walid erschossen worden sein.

Grausame Leichenfunde

In Tripolis, wo man unterdessen versucht das Chaos nach dem Umsturz in den Griff zu bekommen, haben die Rebellen in der Vorwoche über 10.000 politische Gefangene befreit. Doch die Zahl derer, die das Gaddafi-Regime als Feinde erachtete und verschleppt hatte, ist um eine Vielfaches größer: Bis zu 50.000 Menschen, die in den Zellen und Folterkeller der Diktatur vor sich hin vegetierten, werden noch vermisst, gab der Übergangsrat am Montag bekannt. Viele von ihnen, so die Befürchtung, könnten schon seit Tagen tot sein. Vermutet werden die Vermissten in den riesigen Bunkeranlagen des Landes.

Welch schauerliche Spur tödlicher Menschenverachtung die Getreuen des untergetauchten Tyrannen auf ihrem Rückzug aus Tripolis zogen, davon können sich Rebellen und Reporter nun ein Bild machen. Besonders krass ist, was sie im Spital des Viertels Abu Salim vorfanden: Dutzende in der Gluthitze aufgedunsene Leichen. Wie Ärzte berichteten, waren auf dem Dach der Klinik Scharfschützen postiert, sodass die wenigen Mediziner, die nicht schon längst aus der Hauptstadt geflüchtet waren, nicht zu ihren Patienten vordringen konnten.

Nach Angaben von Human Rights Watch begingen Gaddafis Kämpfer systematisch Folter und Mord, aber auch die Aufständischen agierten nicht menschenrechtskonform. Vor den wenigen Läden in Tripolis, die noch Ware haben, stehen die Menschen Schlange. Auch Frauen und Kinder sind nun wieder im Stadtbild zu sehen. Selbst die Hotels haben kein Wasser mehr. Aber in diesen Tagen der Befreiung teilen jene, die Wasser haben, mit denen, deren Pumpen nicht arbeiten.

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