G20 bekennen sich zu 1,5-Grad-Ziel, bleiben aber sonst vage

G20 bekennen sich zu 1,5-Grad-Ziel, bleiben aber sonst vage
Keine Einigung mehr auf "sofortiges Handeln". Merkel zufrieden, UNO-Generalsekretär enttäuscht.

Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bekannten sich auf dem G20-Gipfel in Rom zu ehrgeizigeren Klimazielen. Das geht aus der Abschlusserklärung des Gipfels hervor, die betont, dass es von "zentraler Bedeutung ist, bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts weltweit Netto-Null-Treibhausgasemissionen oder Kohlenstoffneutralität zu erreichen". Die Staaten wollen sich zudem im Grundsatz hinter das 1,5-Grad-Ziel stellen. Die Nennung klarer Zieldaten blieb aber weitgehend aus.

In der Abschlusserklärung bekennen sich die G20-Staaten zum Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen - und betonen, dass dafür mehr getan werden müsse. Allerdings gibt es keine Einigung mehr auf "sofortiges Handeln", wie es in einem anfänglichen Entwurf noch geheißen hatte. Jetzt ist weniger dringlich von "bedeutungsvollem und wirksamen Handeln" die Rede. Nur allgemein bekräftigt die G20, dass sie weiter den Zielen des Pariser Abkommens verpflichtet seien. Experten halten dafür aber eine deutliche Nachbesserung der Aktionspläne der einzelnen Länder für erforderlich.

Zudem hätte anfangs konkret das Jahr 2050 für "Netto-Null-Emissionen von Treibhausgasen oder Kohlendioxidneutralität" festgeschrieben werden sollen. Jetzt ist als Ziel nur noch allgemein von "bis oder um die Mitte des Jahrhunderts" die Rede. Damit ist gemeint, dass nur soviel Emissionen ausgestoßen werden wie auch gebunden werden kann. Der Rückzug erfolgte offenbar aus Rücksicht auf China und Russland, die das Ziel erst 2060 anstreben. Indien möchte sich nicht festlegen.

Ein Kohleausstieg wurde nicht direkt erwähnt. Auch die Zusage, die Investitionen in Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen, blieb wenig konkret. Sollte das ursprünglich "in den 2030er Jahren" geschehen, fehlte im Abschlusskommuniqué die Jahreszahl. Es wird jetzt "so schnell wie möglich" ins Auge gefasst. Damit könnte Rücksicht wieder auf China oder Indien genommen worden sein, die ihre Stromerzeugung stark auf Kohle stützen und dem Bedarf nur schwer nachkommen.

Hilfe für Entwicklungsländer

Ende des Jahres soll zumindest die internationale öffentliche Finanzierung neuer Kohlekraftwerke enden. Die G20 wollen Entwicklungsländern helfen, "so schnell wie möglich" aus der Kohletechnik auszusteigen. Die Staaten betonen zudem das Ziel, den Entwicklungsländern noch bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. In dieser Dekade müsse daran gearbeitet werden, die nationalen Klimaschutzziele anzuschärfen.

Ein Hinweis auf die "alarmierenden Berichte" des Weltklimarates, der vor den Gefahren der Erderwärmung gewarnt hatte, wurde im finalen Text mit "jüngste Berichte" abgeschwächt. Eine erste Formulierung, in den 2030er Jahren eine "weitgehend kohlendioxidfreie Stromversorgung" anzustreben, fehlt ebenfalls. Vielmehr wird allgemein der Wunsch geäußert, saubere Energien auszubauen.

Die G20-Chefunterhändler hatten die ganze Nacht über die Erklärung verhandelt. Die Klimadebatten im G20-Rahmen gelten als besonders schwierig, weil die Interessen in der Gruppe mit so unterschiedlichen Ländern wie Japan, China, den USA, Saudi-Arabien und den EU-Staaten sehr verschieden sind. Am Sonntag beginnt in Glasgow auch die Weltklimakonferenz. Etliche G20-Staaten wollen erst dort Zusagen über neue nationale Klimaziele machen.

In dem Klimateil der Gipfelerklärung versprechen die G20-Staaten aber zumindest, nationale Konjunktur- und Resilienzpläne aufzustellen, "die je nach den nationalen Gegebenheiten einen ehrgeizigen Anteil der Finanzmittel für die Abschwächung des Klimawandels und die Anpassung an ihn bereitstellen". Zu dem Maßnahmenmix soll neben Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen und innovative Technologien "gegebenenfalls auch die Nutzung von Mechanismen zur Bepreisung von Kohlenstoff" gehören.

Merkel zufrieden

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler - und voraussichtlicher Nachfolger - lobten die Beschlüsse als "gutes Signal" für Glasgow. "Man kann sehen, dass sich die Welt in die richtige Richtung bewegt", sagte Scholz, Merkel sprach zudem davon, dass die Einigung auf eine globale Mindeststeuer für Konzerne ein "Meilenstein" für die internationale Zusammenarbeit sei.

Auch der Gastgeber, Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, zeigte sich zufrieden: "Wir sind stolz auf dieses Ergebnis, aber wir müssen bedenken, dass dies erst der Anfang ist." Bei dem Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel und weiteren Klimaschutzmaßnahmen handle es sich nicht bloß um "Bla bla", beteuerte Draghi. Mit der Formulierung bezog sich Draghi auf die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die der internationalen Gemeinschaft im September jahrzehntelange Untätigkeit und "Bla bla" beim Klimaschutz vorgeworfen hatte.

Guterres enttäuscht

UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich dagegen enttäuscht: "Ich verlasse Rom mit unerfüllten Hoffnungen - aber wenigstens sind sie nicht beerdigt", schrieb Guterres am Sonntag auf Twitter. Nun gehe es bei der Weltklimakonferenz in Glasgow darum, das "1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten".

Die G20 habe es versäumt, die Unzulänglichkeit ihrer Selbstverpflichtungen unter dem Pariser Abkommen anzuerkennen und sich zur "dringend notwendigen, sofortigen Nachbesserung" zu verpflichten, kritisierte auch Klimaexperte Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam. "Der G20-Gipfel hätte eine Steilvorlage für die UN-Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow werden müssen", sagte er. "Das ist nicht gelungen." So steuere die Welt derzeit auf eine katastrophale Erwärmung um 2,7 Grad zu, obwohl maximal 1,5 Grad als kritische Schwelle gilt.
 

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