"Für meine Familie ist das ein sehr emotionaler Tag"
Caroline Mahony flog vor vier Wochen von Dublin nach Liverpool, um ihre Schwangerschaft abzubrechen. Bei ihrem Baby war eine tödliche Missbildung festgestellt worden. In ihrer Heimat Irland durfte sie nicht abtreiben, daher wich sie wie Tausende andere Irinnen vor ihr in den vergangenen Jahren ins benachbarte England aus. Dass die Iren am Freitag mit überwältigender Mehrheit dafür stimmten, das Abtreibungsverbot in der Verfassung abzuschaffen, rührte die 24-Jährige zu Tränen. „Für meine Familie ist das ein sehr emotionaler Tag. Ich hoffe, dass junge Frauen wie ich nie wieder solche Strapazen auf sich nehmen müssen wie wir. Ich wusste, dass alle, denen ich meine Geschichte erzählte, für die Reform stimmen würden. Aber dass es so eindeutig ausgehen würde, hätte ich nicht gedacht.“
66,4 Prozent der Iren stimmten dafür, den umstrittenen achten Zusatzartikel der Verfassung zu streichen. Die Wahlbeteiligung lag bei 61,1 Prozent. Das Ergebnis fiel viel deutlicher aus, als es die Meinungsumfragen vorausgesagt hatten. Der Zusatzartikel verbietet Schwangerschaftsabbrüche und stellt sie unter Haftstrafen von bis zu 14 Jahren. Seit 2013 waren Abtreibungen immerhin dann erlaubt, wenn das Leben der Mutter in Gefahr war. Nachwahlbefragungen zeigten, dass junge und alte, urbane und ländliche Wähler am Freitag gleichermaßen für die Liberalisierung stimmten. „Das ist der vorläufige Höhepunkt einer stillen Revolution in Irland, die vor Jahrzehnten begonnen hat“, freute sich Regierungschef Leo Varadkar über das Ergebnis in dem früher streng katholischen Land. „Es zeigt, dass das Land nicht gespalten ist und Frauen unterstützt.“
Varadkar ist bekennender Homosexueller. Die Schwulenehe ist in Irland erst seit 2015 erlaubt. Dafür war ebenfalls eine Volksabstimmung nötig. Colm O‘Gorman kämpft seit Jahren dafür, Abtreibungen in Irland zu erlauben: „Wir haben das klare Votum vor allem jenen Frauen zu verdanken, die den Mut und die Integrität besaßen, über das persönliche Leid zu berichten, das das Abtreibungsverbot bei ihnen verursacht hat.“ Eirin Darcy hatte für solche Frauen auf Facebook die Plattform „In her shoes“ (In ihrer Lage) geschaffen. Dort erzählten Dutzende Betroffene sehr persönlich von ihren Reisen nach England, um dort abtreiben zu können. „Das deutliche Ergebnis zeigt, dass die Iren Veränderung wollen und Mitleid mit Frauen und Mädchen haben anstatt sie fortzuschicken“, sagte Darcy.
Gegner: „Trauriger Tag für Irland“
Die Gegner der Reform waren angesichts der Deutlichkeit des Votums geschockt. „Das ist ein sehr trauriger Tag für Irland“, erklärte Cora Sherlock, Sprecherin einer der vielen Pro-Life-Bewegungen im Land. „Wir müssen uns vor Augen halten, was Irlands Frauen gewonnen haben. Sie dürfen jetzt abtreiben. Doch niemand spricht darüber, warum sie ins Ausland gereist sind und welche anderen Optionen es geben könnte.“
Es habe keine Diskussion über Alternativen zu Abtreibungen gegeben, klagte Sherlock. Verbittert zeigte sich der bekannte Unternehmer und deklarierte Abtreibungsgegner Declan Ganley: „Ungeborenen Kindern in Irland sind die Menschenrechte genommen worden. Wenn nun Tausende von ihnen in irischen Spitälern getötet werden, können sich jene, die gegen die Reform gestimmt haben, wenigstens bewusst sein, dass sie für die Rechte dieser Kinder gekämpft haben.“
Die Abtreibungsgegner hatten davor gewarnt, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei einem Ja zur Reform stark ansteigen würde. Und dass sich viele Familien dank moderner Diagnose-Methoden dagegen entscheiden würden, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen.
Regierungschef Leo Varadkar versprach den Abtreibungsgegnern, dass Schwangerschaftsabbrüche künftig nur unter Auflagen durchgeführt werden dürfen. Die Regierung plant ein Gesetz, das Abtreibungen bis zur zwölften Woche straffrei stellt. In bestimmten Fällen sollen sie auch später erlaubt sein – etwa wenn eine Missbildung festgestellt wird.
Wandel in irischer Gesellschaft
Das klare Ergebnis des Referendums zeigt, wie sehr sich das früher streng katholische Irland gewandelt hat. Der Verfassungszusatz zum Verbot von Abtreibungen war 1983 auf Drängen der Kirche mit einer Volksabstimmung in Kraft gesetzt worden. Irische TV-Journalisten erinnern sich daran, dass es damals kaum möglich gewesen sei, Gegner des Abtreibungsverbots vor die Kamera zu bekommen. Zu groß sei die Angst gewesen, der konservativen gesellschaftlichen Norm zu widersprechen. Als in den vergangenen 20 Jahren Hunderte Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester bekannt wurden, änderte sich die Stimmung im Land radikal. In der heurigen Kampagne hielten sich die Kirchenoberen stark zurück – wohl wissend, dass sie den Abtreibungsgegnern mit Wortmeldungen mehr schaden als nützen könnten. Nachwahlbefragungen zeigten, dass religiöse Motive nur bei jedem zehnten Iren die Entscheidung beeinflussten.
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