"Fuck the EU": Symptomatisch für Verhältnis EU-USA

Victoria Nuland erbost die EU.
Abgehörtes Gespräch zeigt ungeschminkte Kritik an Europas Krisendiplomatie.

Ausgerechnet. Ausgerechnet die USA, die im vergangenen halben Jahr wegen des Abhörens ausländischer Spitzenpolitiker am Pranger standen, sind jetzt selbst Opfer eines Lauschangriffes geworden. Im Internet ist der Mitschnitt eines Gesprächs zwischen Victoria Nuland, Abteilungsleiterin für Europafragen im US-Außenministerium, und dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, aufgetaucht.

Normalerweise würde jetzt die Schlagzeilen bestimmen, dass die US-Spitzendiplomatin (vom ukrainischen oder russischen Geheimdienst?) belauscht und ihr vertrauliches Gespräch öffentlich gemacht wurde.

Wenn – ja, wenn sich Frau Nuland nur etwas vornehmer ausgedrückt hätte. „Fuck the EU!“, „Scheiß auf die EU!“ sagt sie an einer Stelle – und das dürfte für mindestens genauso viel diplomatische Verstimmungen sorgen wie das Abhören an sich.

Während Vitali Klitschko gegenüber der Bild-Zeitung eine „Falle“ ortet, mit der die USA und die EU provoziert werden sollen, spricht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel Klartext: „Absolut inakzeptabel“ seien Nulands Äußerungen. Jörg Leichtfried, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, forderte am Freitag Nulands Rücktritt, Parlamentspräsident Martin Schulz meinte: „Der Begriff Diplomatin und ihre Wortwahl stehen eigentlich im Widerspruch zueinander.“

Nuland selbst wollte am Freitag keinen Kommentar mehr zur Sache abgeben; laut US-Außenministerium habe sie sich bei ihren europäischen Partnern entschuldigt.

Nulands Wortwahl mag undiplomatisch – wenn auch für ein privates Gespräch nicht unüblich – gewesen sein, doch sie ist symptomatisch für die großen Differenzen zwischen den transatlantischen Bündnispartnern.

Die EU ist „zu weich“

Das macht auch der Rest des Gesprächsausschnittes deutlich: Wir müssen jetzt etwas tun, wir können nicht auf die EU warten – das ist der Kontext, indem Nuland ihr „Scheiß auf die EU“ entfuhr. Für zu zögerlich halten die Amerikaner die Spitzen der Europäischen Union, für zu kompliziert und langsam in ihren Entscheidungsprozessen.

Das gilt für die Krisendiplomatie in der Ukraine, wo Washington längst mit Sanktionen droht, während Brüssel noch auf Vermittlungsgespräche von Kommission und Parlament setzt: In einem ebenfalls auf YouTube veröffentlichten Mitschnitt beklagt eine Mitarbeiterin der EU-Außenbeauftragten Ashton auch gegenüber dem EU-Botschafter in Kiew, „die Amerikaner gehen rum und erzählen, dass wir zu weich sind“.

Und das gilt auch für andere Politikfelder, wie die Gespräche zum Freihandelsabkommen, wo die EU-Verhandler jede Einigung dann doch wieder von 28 Regierungen und dem gemeinsamen Parlament absegnen lassen müssen.

Kurz: Die jahrzehntealte Beobachtung von Ex-Außenminister Henry Kissinger, Europa brauche eine Telefonnummer, bei der die Amerikaner anrufen könnten, gilt aus deren Sicht noch heute.

Umgekehrt ist Nulands Äußerung aus Sicht der Europäer typisch für die geringe Wertschätzung, die ihnen seitens der USA entgegengebracht wird. So kommt Präsident Barack Obama erst nach mehr als fünf Jahren im Amt Ende März zum ersten Mal nach Brüssel. Spät zwar, dafür sicher mit einer schönen Rede im Gepäck.

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