Frankreich: Vorstadt-Cafés als No-Go-Areas für Frauen

Wie die Gefahr der stellenweisen islamistischen Gleichschaltung zum Wahlkampfthema wurde.

Es ist die Art von TV-Reportage, die die Zuschauer unter Strom setzt. Ein vom Fernseh-Sender France 2“ im vergangenen Dezember ausgestrahlter Bericht über die de facto Verbannung der Frauen aus Cafés in islamisch geprägten Vororten hat im französischen Wahlkampf nachhaltige Spuren hinterlassen und ist im Web weltweit millionenfach heruntergeladen worden.

Eine Szene, die mit versteckter Kamera gefilmt wurde, hat sich besonders eingeprägt: zwei franko-arabische Frauenrechtlerinnen, Nadia Remadna und Aziza Sayah, werden in einem Café im Pariser Vorort Sevran von einem Mann angeherrscht: „Wen suchen sie hier? Es ist besser sie warten draußen, in diesem Café gibt es nur Burschen… da gibt’s keine Mischung… Wir sind hier nicht in Paris, Du bist hier im Neun-Drei (Die Frankreich-weit bekannte Postleitzahl des Problem-Bezirks Saint Denis nördlich von Paris). Hier ist die Mentalität anders, hier ist es wie im Bled (Der ins Französisch übergegangene arabische Begriff für das Ursprungsland der nord-afrikanischen Migranten)."

Alle Präsidentschaftskandidaten hatten empört reagiert – mit Ausnahme des SP-Kandidaten Benoit Hamon. Der Linkssozialist hatte in einer ersten Stellungnahme den Vorfall relativiert: „Historisch betrachtet, gab es in Arbeiterkaffees früher auch keine Frauen.“ Frankreichs Staat sei daran schuld, dass derartige „soziale Ghettos“ fortbestünden. Zuletzt aber gestand Hamon, er habe sich „ungeschickt“ ausgedrückt.

Gegen-Reportage

Die Öffentlichkeit wurde aber noch durch einen weiteren Eklat überrascht. Das angesehene Webmagazin „Bondy-Blog“, das von jungen Vorstädtern betrieben wird, brachte eine Nach-Recherche, die breiten Wiederhall fand: eine junge Journalistin besuchte anonym und mehrfach das selbe Lokal, und wurde anstandslos bedient. Außerdem ortete sie mehrere weibliche Stammkunden, die auch anschließend von Radio-Sendern interviewt wurden.

Der Wirt, der in der ursprünglichen TV-Reportage nicht zu Wort gekommen war, spricht von einer „Manipulation“. Nicht-muslimische Anrainer und sogar ein konservativer Lokalpolitiker erklärten ebenfalls, die Reportage gäbe ein falsches Bild dieses Kaffees, das, so wie oft in volkstümlichen Vierteln in Frankreich, auch als Büro für Sportwetten dient, und in dem reichlich Alkohol ausgeschenkt wird.

Diese Dementis sind aber noch lange kein Beweis dafür, dass der Druck, den eifernde Islamisten in französischen Brennpunktvierteln ausüben, bloß ein Hirngespinst wäre. Die umstrittene TV-Reportage hatte auch Szenen aus einem Vorort von Lyon gebracht, die zeigen, in welchem Ausmaß der öffentliche Raum und Kaffees für Frauen zu No-Go-Areas werden können. Szenen, die unter keinen Umständen gestellt sein können und auch nicht dementiert wurden.

Die Problematik besteht freilich darin, dass sich religiöse Gleichschaltung und Einschüchterung der Frauen in gewissen Vierteln mit starker muslimischer Präsenz kaum durch lauthals verkündete Verbote und eher selten durch direkte Gewaltausübung äußert, sondern durch einen vielschichtigen, inneren Gruppendruck.

Auch vor dem Kaffee angeschnauzt

Der Autor dieser Zeilen wurde dessen auch eher zufällig und schrittweise gewahr. Eine meiner Bekannten, eine katholische Sozialaktivistin, die im interkonfessionellen Dialog engagiert ist, berichtete: sie hatte mit einer jungen Frau in einem Vorstadt-Kaffee ein Treffen vereinbart, und als sie bloß vor dem Lokal wartete, kam auch schon ein Mann heraus und schnauzte sie an, sie habe hier als Frau nichts zu suchen. Ein andermal erfuhr ich, wie eine Franko-Marokkanerin sich nicht mehr mit Freunden in einer Kneipe zeigen wollte, nachdem Schulkolleginnen ihrer 17-jährigen Tochter vorgeworfen hatten, ihre Mutter sei eine „ungläubige Hure“.

Es ist der Berufsalltag, der auch manchmal zu Reibereien führt: ein Gärtner klagte mir gegenüber: er sei mit der Bewässerung eines Betriebsareals beauftragt, oft könne er aber seinen Wasserschlauch nicht in der Männer-Toilette anschließen, weil sie von muslimischen Arbeitnehmern für ihre Gebets-Waschungen faktisch beschlagnahmt werde. Als er auf die Damen-Toilette ausweichen wollte, entstand der nächste Streit, weil er verdächtigt wurde, Muslima zu belästigen.

Aber wie repräsentativ sind solche Vorfälle? Sicher ist, dass das Phänomen der religiösen Gleichschaltung durch doktrinäre islamische Gruppen – meistens spricht man von „Salafisten“ – zugenommen hat. Andererseits sind in fast all den betroffenen Vierteln zumindest ebenso viele Jugendliche beiderlei Geschlechts unterwegs, die sich äußerlich nicht als Gefolgsleute eines fundamentalistischen Islams zu erkennen geben. Es ist auch nicht so, dass bei denen, die sich besonders eifernd zeigen, der Migrationshintergrund noch besonders präsent wäre. Im Gegenteil: meistens sind es Kindeskinder von Einwanderern. Ihre noch durch Nordafrika geprägten Großeltern waren weitaus weniger demonstrativ in religiösen Belangen. Erst die eigentlich französischen Enkeln (und oft Konvertiten aus anderen Konfessionen) haben die rigideste Version des Islams zum Lebensprinzip erhoben.

Salafisten als Vorbild

In einem soeben erschienen Sammelband über Erfahrungen in Vorstädten, in denen der islamistische Machtanspruch spürbar ist („Une France soumise“ – ein unterworfenes Frankreich), berichtet eine Pariser Spitzenbeamtin, die sich in eine Vorstadt versetzen ließ, wie Männer in wallender Salafisten-Kluft die örtlichen Treffpunkte, wie das Einkaufszentrum und die Sporthalle, in Beschlag genommen hätten. Sie habe zwar auch etliche Muslime getroffen, die sich den Kleidervorschriften der Salafisten nicht beugten, aber viele von ihnen erklärten, sie würden die Salafisten für ihre religiöse „Lebensführung“ bewundern und hätten vorläufig nur nicht genug Willensstärke, um ihrem Beispiel zu folgen.

Die Frage des Händeschüttelns zwischen Mann und Frau sei zur ständigen Belastungsprobe geworden. Die Beamtin aus Paris habe den Männern immer wieder die Hand gereicht, wohl wissend, dass diese sie verweigern würden – „nicht aus Verachtung, sondern aus Respekt“, wie man ihr erklärte. Allerdings lehnen auch ultra-orthodoxe Juden den Handschlag zwischen Mann und Frau ab. Handelt es sich also um „Islamophobie“, wenn diese Beamtin Muslime diesbezüglich kritisiert? Oder ist es eine Frage der Quantität: während orthodoxe Juden eine winzige, in sich gekehrte Minderheit darstellen, sind die missionierenden Islamisten heute in Frankreichs Vorstädten vielfach auf dem Vormarsch und stellenweise imstande und willens, ihre Umgebung einzuschüchtern.

Behördliche Eingriffe mit begrenzter Wirkung

Freilich kann man derartige Entwicklungen durch behördliche Eingriffe alleine kaum bändigen. Moscheen mit radikalen Predigern werden geschlossen, an Frankreichs Schulen und für öffentliche Dienstnehmer sind „auffällige religiöser Symbole“, darunter das islamischen Kopftuch, verboten. Auf der Straße gilt ein Burka-Verbot. Hingegen ist die Forderung der Nationalistin Marine Le Pen, auch das islamische Kopftuch aus dem Stadtbild zu verbannen, mit dem Grundrecht auf freie Religionsausübung wohl kaum vereinbar.

Öffentliche Ächtung ist immer heikel und zweischneidig: Arbeitssuchende mit muslimischen Namen sind bei der Jobsuche bereits stark benachteiligt. Wie sehr so ein Klima auch durch Republik-treue Muslime belasten kann, schildert die Unterrichtsministerin Najat Vallaud-Belkacem: die SP-Politikerin hatte es während ihrer gesamten Amtszeit vermieden, in den Ferien mit ihren Kindern in ihr Geburtsland Marokko zurückzukehren, um nur ja nicht den im Internet bereits geläufigen Vorwürfen, sie sei eine „marokkanische Islamistin“ Auftrieb zu verleihen.

Frankreich: Vorstadt-Cafés als No-Go-Areas für Frauen
TOPSHOT - French presidential election candidate for the far-right Front National (FN) party Marine Le Pen reacts on stage during a campaign meeting on April 17, 2017 in Paris. / AFP PHOTO / ALAIN JOCARD
Noch selten schien ein Wahlausgang so ungewiss, noch selten stand so viel auf dem Spiel. Fünf Tage vor dem ersten Durchgang der Präsidentenwahlen (Sonntag) liegen vier Kandidaten bei Umfragen zwischen 20 und 23 Prozent, also innerhalb der möglichen Fehlerquote. Zwei davon, die Nationalistin Marine Le Pen und der Linksaußen-Tribun Jean-Luc Melenchon, wollen die Nato verlassen und den Verbleib in der EU aufs Spiel setzen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich diese beiden radikalen Kandidaten für die Stichwahl (am 7. Mai) qualifizieren.

Während die Kampagne von Le Pen zuletzt ein wenig ins Stottern geriet (in Umfragen verlor sie seit Mitte März fünf Prozentpunkt, bei ihrer letzten Versammlung in Paris konnte sie den Saal nicht füllen), wird Melenchon von einer Aufwärtsspirale getragen, die sich in der Verdoppelung seiner Umfrage-Werte seit März und enormen Zulauf bei seinen Veranstaltungen äußert. Der Trend dürfte anhalten, weil Melenchon mit dem Zustrom von Anhängern des abgeschlagenen Linkssozialisten Benoit Hamon rechnen kann.

Auch der Konservative Francois Fillon, der wegen des Skandals um den Scheinjob seiner Frau als chancenlos galt, hat aufgeholt. Am unsichersten erscheint die Lage des liberalen Quereinsteigers Emmanuel Macron. Umfragen bescheinigen ihm zwar noch einen winzigen Vorsprung, er läuft aber Gefahr, zwischen Melenchon und Fillon zerrieben zu werden.

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