Streit um Laden-Öffnungen an Sonntagen
Hunderttausende Touristen, vor allem Chinesen, könnten in Paris einkaufen, wenn unsere n Warenhäuser am Sonntag offen hätten, statt nach London weiterzufahren um dort ihr Geld auszugeben“, mahnte Premier Manuel Valls – eine Anspielung auf den „Eurostar“, die Hochgeschwindigkeitsbahn im Tunnel unter dem Ärmelkanal, die die Fahrtzeit zwischen den beiden Metropolen auf zwei Stunden reduziert hat. Der Regierungschef warb auf diese Weise für das politisch hoch explosive „Gesetz für Wachstum“, das am Mittwoch, bei einer
Sitzung der sozialistischen Regierung präsentiert wurde und im Jänner vom Parlament ratifiziert werden soll.
Der Gesetzesentwurf, der von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron erstellt wurde, sieht eine Vielfalt an Deregulierungs- aber auch Kontrollmaßnahmen vor, die Frankreichs schwächelnde Wirtschaft wieder auf Touren bringen und die Kaufkraft der Bevölkerung erhöhen sollen: die bisherigen Zulassungsbeschränkungen für so unterschiedliche Berufsgruppen wie private Buslinien-Betreiber, Fahrschulen, Optiker, Apotheker, Notare, Gerichtsvollstrecker und Anwälte sollen gelockert werden. Wobei gleichzeitig der Kundenschutz bei Notaren, Anwälten und Immobilienmaklern durch Honorar-Obergrenzen für bestimmte Leistungen verstärkt werden soll. Außerdem werden den hyperrentablen privaten Autobahn-Pächterfirmen bei ihrer Mautpreis-Gestaltung Riegel vorgeschoben.
"Anschlag auf soziale Errungenschaft"
Aber während letztere Maßnahmen bei den Sozialisten auf allgemeines Wohlgefallen stoßen, könnte die ebenfalls in diesem Gesetz vorgesehene Ausdehnung der Öffnungszeiten für Geschäfte, den bereits angeschlagenen Zusammenhalt des SP-Regierungslagers endgültig sprengen. Eine große Zahl von SP-Parlamentariern will genau deswegen gegen dieses Gesetz stimmen.
Lebensmittel-Läden ausgenommen, durften bisher Geschäfte nur an fünf Sonntagen im Jahr offen halten. In Zukunft soll es zwölf offene Sonntage geben. Außerdem sollen in so genannten „Tourismus-Zonen“ Geschäfte bis Mitternacht und alle Sonntage hindurch offen bleiben dürfen.
Die Sozialpartner, so heißt es in dem Gesetzesentwurf, sollen eine besondere Abgeltung für die Sonntags- und Nachtarbeit der Angestellten vereinbaren, und diese dürfe auch nur freiwillig erfolgen. Aber der linke SP-Flügel glaubt nicht an die „Freiwilligkeit“ der Sonntagsarbeit und sieht in diesem Gesetz den bisher gravierendsten Vorstoß des sozialliberalen Premiers Valls und seines ebenso gefärbten Wirtschaftsministers Macron gegen eine „Errungenschaft der Arbeiterbewegung, das Recht auf Sonntagsruhe“.
"Pariser Lebensart" und Rivalität mit London
Auch SP-Politiker, die nicht zum linken Flügel zählen, allen voran die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo stemmen sich gegen die Ausdehnung der Sonntagsöffnung für Geschäfte. Die populäre und pragmatische Pariser Rathauschefin Hidalgo hat absichtlich eine Plakatkampagne gestartet, in der der „Pariser Sonntag“ beworben wird: Familien flanieren oder radeln auf den neuerdings am Sonntag Auto-freien Ufern der Seine, besuchen Museen und gehen auf die traditionellen Lebensmittelmärkte einkaufen. „20 Prozent der Geschäfte haben am Sonntag in Paris offen, das genügt. Außerdem gibt es zahllose Kulturveranstaltungen“, argumentiert Hidalgo: „Das bringt auch nicht mehr Arbeitsplätze“.
Tatsächlich hat eine von der Stadt Paris in Auftrag gegebene Studie nachgewiesen, dass die allermeisten Touristen vier bis sechs Tage in Paris verweilen und daher auch schon jetzt über genügend Zeit für Einkäufe verfügen. Außerdem haben die bisherigen Geschäftsöffnungen an Sonntagen, etwa bei Heimwerker-Großmärkten am Pariser Stadtrand oder in Einkaufsmailen in französischen Provinzstädten, keinen neuen Kundenzustrom gebracht. Mehrmals verzichteten die Händler wieder auf die Sonntagsöffnung, weil die Läden leer blieben. Gestützt auf diese Studie, befürchtet die Pariser Bürgermeisterin Hidalgo, dass die Ausdehnung der Öffnungszeiten ausschließlich die großen Handelsketten begünstigt und dadurch wiederum die Zukunft der revitalisierten kleinen, innerstädtischen Läden gefährdet: „Da steht unsere Pariser Lebensart auf dem Spiel. Die opfern wir nicht den angelsächsischen Geschäftsmethoden“.
Wohl auch ein Seitenhieb auf die aus London herüberwehende Häme über den „französischen Sozialismus“, hinter der sich auch die chronische Rivalität zwischen Paris und London verbirgt. Erst kürzlich hatte Andy Street, Boss einer britischen Geschäftskette, nach einem Paris-Abstecher mit dem „Eurostar“ über den angeblichen „Dreck“ in der französischen Hauptstadt gelästert und erklärt: „Frankreich ist erstarrt und erledigt“.
Indem Hidalgo ihrerseits die überbordende englische Geschäftigkeit ins Visier nimmt, hebt sie sich auch von Premier Valls ab, der auf Besuch in der Londoner City vor einer Unternehmerversammlung auf Englisch (was für einen französischen Politiker unüblich ist) versichert hatte: „My governement is pro-business“.
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