Spannungen begünstigen Le Pen

Kundgebung gegen „Islamophobie“ vor Metrostation. Auch im toleranten Paris wächst das Misstrauen
Wie die Verunsicherung in einem trendigen Pariser Viertel um sich greift.

Der portugiesisch stämmige Kellner des Café auf der Pariser Place Gambetta wirft einen missmutigen Blick auf das Treiben draußen und murrt: „Elle est belle, la France“. Wörtlich bedeutet das: Frankreich ist schön. Gemeint ist das Gegenteil. Vis-à-vis des Cafés, vor den Toren des Bezirksamts, ist eine fröhliche Schar versammelt, die einem soeben vermählten Paar zujubelt. Alle Hautfarben sind vertreten. Afrikanerinnen in drapierten bunten Kostümen, Frauen aus maghrebinischen Familien mit und ohne Kopftuch. Dann startet die Hochzeitsgesellschaft in einem Auto-Konvoi, frenetisch hupend, wodurch der Kreisverkehr auf der Place Gambetta zusammenbricht.

Der Ärger des Kellners flaut wieder ab, gerade als er die Theke blank geputzt hat. Es ist Schichtwechsel, und er überantwortet einem Kollegen mit ein paar spaßigen Worten die Bedienung. Der Kollege ist Maghrebiner, die meisten Gäste auch, allesamt Fans von Pferderennwetten, dem urtümlichsten Ritual der Pariser. In der Küche stehen Afrikaner, die Zusammenarbeit läuft wie am Schnürchen.

Umfragestar Le Pen

Die Gegend, der trendige Nordosten von Paris, ist eine pulsierende Kontaktzone zwischen frisch zugezogenen Bildungsschichten, Künstlern, Schriftstellern und einem volkstümlichen Milieu, in dem Generationen von Einwanderern aufgegangen sind. Aber auch in diesem Biotop der rot-grünen Pariser Rathausmehrheit sind die Ausläufer der Spannungen spürbar, die andernorts, in verfallenen Provinzstädten und darbenden Industrierevieren, die Nationalpopulistin Marine Le Pen zum Umfragestar machen.

„Ich hatte noch nie so viele Kunden, die ankündigen, dass sie das nächste Mal Le Pen wählen werden“, erzählt der Inhaber eines Zeitungsladens. Unklar bleibt, ob er sich darüber freut. Manchmal streut der Mann ein paar lobende Worte über einen Radio-Auftritt von Marine Le Pen, dann verwischt er diesen Eindruck wieder durch allgemeine Politikerschelte: „Alles Lügner und Taugenichtse“. Sein Freund und Mitinhaber, ein groß gewachsener Holländer, fühlt sich durch aggressive Jugendliche belästigt. Die beiden Zeitungshändler machen aus ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft kein Hehl.

Das wäre mit Sympathien für Marine Le Pen nicht unvereinbar. Die Nationalistin blieb den Kungebungen gegen die Einführung der Homo-Ehe durch die Linksregierung demonstrativ fern, auch wenn andere Führungsmitglieder ihrer „Front national“ mitmarschierten. Hingegen haben die Zeitungshändler schon erlebt, wie Jugendliche aus einem nahen Sozialbau in ihrem Laden mit Anti-Homo-Bemerkungen provozierten. Muslimischer Extremismus ist in der Gegend nicht spürbar, aber das Macho-Gehabe pubertierender Halbwüchsiger mit Migrationshintergrund wird gelegentlich dem Islam zugeschrieben.

Ist es eine Antwort auf diese als bedrohlich wahrgenommene muslimische Präsenz, dass gleich neben der Kassa, an der sichtbarsten Stelle des Ladens, ein jüdisches Wochenblatt mit zündenden pro-israelischen Schlagzeilen aufliegt? Sicher gibt es Kundschaft für diese Zeitung in diesem traditionellen Einwandererviertel, in dem sich viele jüdische Familien, erst aus Osteuropa und später aus Frankreichs Ex-Kolonien in Nordafrika, etabliert haben. Aber der prominente Platz für das Blatt wirkt auch wie eine Parteinahme der Ladeninhaber – beide keine Juden – und sorgt gelegentlich für verbalen Schlagabtausch mit muslimischen Kunden.

Schräg gegenüber, in einem Beisl der örtlichen Intellektuellen-Szene sitzt Stammgast Ahmed, ein franko-marokkanischer Journalist, vor seinem Laptop. Der elegante Publizist gehört zu einer Gruppe von Anrainern, die sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, weil spät nachts unter den Fenstern ihrer Häuser Jugendliche lärmen.

„Mich schüchtert niemand ein“, sagt Ahmed: „Mit Nachbarn bin ich mehrmals auf die Straße gegangen, um gegen diese Banden zu demonstrieren.“ Schaltstelle der Bürgerinitiative ist eine Pizzeria, die von einem Ägypter geführt wird. Der Wirt hatte Drogendealer, die sein Lokal als Umschlagplatz benützen wollten, abgewiesen. Seither werden seine Kunden belästigt, die Dealer wollen ihn vertreiben. Ein paar Straßen weiter kam es zu Schusswechseln zwischen rivalisierenden Banden.

Polizeipräsenz gefragt

Die Bürgerinitiative setzt durch Demos die sozialistische Bezirks-Bürgermeisterin unter Druck. Diese hat eine Aufstockung der Polizeistreifen versprochen, das Thema Sicherheit rangiert in der Kampagne für die Pariser Gemeindewahlen im März an vorderster Stelle. Die Linksregierung hat zwar die Einsparung von Polizei-Posten, die ihre bürgerlichen Vorgänger betrieben hatten, wieder gestoppt. Polizisten sind aber in anderen, weitaus härteren Vierteln gefragter.

Das weiß auch Ahmed, dem die Anbiederungsversuche der „Front national“ an seine Bürgerinitiative missfallen. Ohne greifbare Lösung richtet aber auch Ahmed seinen Frust gegen die linke Stadtverwaltung.

Ähnlich klingt es bei dem holländischen Zeitungshändler, der sich in der Zwickmühle sieht zwischen seinen humanistischen Prinzipien und seinem Wunsch nach Schutz vor Jugendkriminalität: „Ich weiß, dass es einen furchtbaren Mangel an erschwinglichen Wohnungen in Paris gibt. Es ist logisch, dass die Linke Sozialbauten forciert. Aber gleichzeitig kommen dann auch neue Familien, deren Kinder die Gegend unsicher machen.“

Schritt um Schritt rutschen einstige Gegner der „Front national“ in verdrießliche Gleichgültigkeit, während sich Marine Le Pen kontinuierlich Schritt für Schritt ihren Weg ins Zentrum des französischen Politgeschehens bahnt.

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